s i e b z e h n

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Ich ziehe den Mantel enger um meinen Körper und mische mich unter die Menge, die mich problemlos in sich aufnimmt. Umgeben von anderen Menschen, deren Augen ähnlich funkeln wie Leahs, schlendere ich über den Markt, bis ich an einem Glühweinstand hängen bleibe. Ich schiebe mich aus der Masse heraus und suche nach einem freien Platz an der Theke, um meine Bestellung aufzugeben.

Auf der anderen Seite des Pavillons befinden sich drei Frauen und Männer, die mit den Heißgetränken und dem Geld, das ihnen von Gästen gereicht wird, alle Hände voll zu tun haben. Sie huschen um die Behälter herum, zapfen die dampfenden Flüssigkeiten in Bechern, die verschneite Landschaften oder unsere Stadt bei Nacht zeigen. Während ihres Dienstes werden sie gehetzt von Menschen, die zu wenig Zeit mitgebracht zu haben scheinen. Ich runzle die Stirn und lehne mich an der Fassade des Standes an. Mir ist schleierhaft, wie man sich selbst bei einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt auf diese Weise stressen kann.

„Was kann ich dir bringen?" Ich hebe den Blick an und mustere den jungen Mann, der vor mir zum Stehen gekommen ist. Er faltet die Hände vor seiner Brust und wartet darauf, dass ich meine Bestellung aufgebe. Scheinbar hat er mich unter den schreienden Menschen bemerkt.

„Einen Glühwein bitte. Weiß", entgegne ich und mache mich daran, mein Portemonnaie aus der Handtasche zu suchen. Der Mann mit einer ähnlichen Weihnachtsmütze wie die, die ich bei Leah gesehen habe, nickt und wendet sich an die Behälter. Gerade öffne ich meine Brieftasche, als er den dampfenden Becher vor mir abstellt.

„Stimmt so." Eine Hand schiebt sich an meiner Schulter vorbei und reicht dem Mann sein Geld. Ein wenig skeptisch sieht er zwischen uns hin und her, bedankt sich dann aber und wünscht uns einen schönen Tag, ehe er sich den nächsten Gästen zuwendet.

Ich halte inne, starre die helle Flüssigkeit in dem Becher an und traue mich nicht nachzusehen, wer mir meinen Glühwein bezahlt hat. Denn eigentlich weiß ich, wen ich hinter mir zu erwarten habe. Ich kann seine Stimme inzwischen so gut zuordnen wie die von meinen Freunden. Denn sie geht mir durch Mark und Bein, wobei sie gleichzeitig so sanft ist, dass ich am liebsten die Augen schließen würde.

„Wenn man eingeladen wird, ist es ziemlich unhöflich, sich nicht wenigstens zu bedanken", tadelt Rafael mich. Ich räuspere mich und stopfe das Portemonnaie zurück in meine Handtasche, als wäre ich sauer darauf, dass es nicht zum Einsatz gekommen ist. Meine Hände greifen nach der Tasse und ich drehe mich langsam zu Rafael um.

Dieser hat die Arme locker vor der Brust verschränkt und den Mund zu einem siegessicheren Grinsen verzogen. Seine Lippen sind gerötet, ebenso wie seine Wangen, obwohl er ohne Jacke vor mir steht. Vermutlich hatte er schon mehr als einen Glühwein.

„Danke", presse ich hervor und tue dabei so, als würde es mich alle Überwindung kosten. „Aber eigentlich bevorzuge ich es, für meine Getränke selbst zu zahlen", schiebe ich noch hinterher. Ich weiß nicht, woher meine abwehrende Haltung ihm gegenüber plötzlich herkommt. Vorgestern Abend, als ich mit ihm gegessen und mir schließlich seinen Wagen geliehen hatte, war noch alles in Ordnung gewesen. Auch gestern morgen, als er sich die Schlüssel abgeholt und ein paar Worte mit den Männern in der Backstube gewechselt hatte, war alles wie zuvor gewesen.

Ich senke den Blick und versuche durch sanftes Pusten den heißen Wein in meiner Tasse auf eine trinkbare Temperatur zu kühlen. Eigentlich möchte ich es nicht, aber ich kann nicht vermeiden, dass ich immer wieder versuche, ihn durch meine Wimpern anzusehen.

Zimtherzen ₂₀₂₁ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt