Gelogen

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John pov

"Sherlock?" frage ich vorsichtig. Sein Blick schnellt nach oben und er sieht mich an. Anscheinend habe ich ihn brutal aus seinem Gedankenpalast gerissen. "Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken." Sherlock sieht mich an und ich weiß sofort, dass er mich mal wieder deduziert. Natürlich bewundere ich ihn für die Fähigkeit, aber eigentlich mag ich es nicht, wenn er das mit mir macht. Kann er mich nicht einfach fragen, wie es mir geht oder was mit mir los ist? Aber um ehrlich zu sein, bin ich heute sehr froh über seine Deduktion. Ich will nicht darüber sprechen müssen. 

"Oh... ähm..." bringt Sherlock schließlich hervor. Ein leichtes Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als ich sehe, wie scharf er nachdenkt, um jetzt nichts Falsches oder Unangebrachtes zu sagen. "E-Es tut mir leid?" Es klingt mehr nach einer Frage, als nach einer Aussage; er ist nicht sicher, ob er das Richtige gesagt hat. Ich nicke ihm zu, als Zeichen, dass es richtig war, und lächle traurig. 

"Brauchst du immer noch einen neuen Mitbewohner?" frage ich dann. Sherlock lächelt und reißt das Absperrband durch, welches er um meinen Sessel gewickelt hat. Erleichtert, dass er mich noch immer bei sich haben will, setze ich mich. "Wieso das Absperrband?" frage ich dann. "Das ist dein Sessel. Niemand anderes darf da sitzen." sagt er und ich sehe einen leichten Welpenblick in seinen Augen schimmern. Niedlich. 

"Willst du darüber sprechen? Ich kann Mrs Hudson holen, wenn..." "Nein, alles ist gut. Ich möchte lieber nicht darüber reden." "Aber ich möchte darüber reden. Naja... Teile davon. Was wird aus Rosie, wenn ihr euch scheiden lasst?" "Wir werden uns das Sorgerecht teilen, denke ich. Abgeben werde ich es auf keinen Fall." "Dazu hätte ich auch nicht geraten." Ich nicke nur. "U-Und jetzt?" stottert Sherlock unsicher. 

"Jetzt bist du der einzige Psychopath, den ich in meinem Leben noch haben will. Die anderen können packen und gehen." "Hochfunktioneller Soziopath." murmelt Sherlock. Ich lächle. "Wann kommt Rosie mal wieder her? Ich habe sie lange nicht gesehen." "Vermisst du deine Patentochter etwa?" grinse ich. 

Alle haben mir davon abgeraten, Sherlock zum Patenonkel meiner Tochter zu machen. Kein Mensch würde sonst sein Kind in die Obhut eines Soziopathen geben, wenn man irgendwann doch frühzeitig umkommen sollte. Aber ich wusste es von dem Moment an, als er eine Deduktion mehr machte, als er erwartet hatte. Er würde Rosie beschützen, wie niemand es sonst könnte. Er würde ihr bei jedem Problem helfen und nach jedem Albtraum bei ihr am Bett sitzen und ihr vorlesen. Er würde sie mit seinem riesigen Mantel zudecken, wenn sie irgendwo einschlafen würde, wie zum Beispiel im Taxi. 

"Ein bisschen vielleicht." brummt er, "Ihre Puppen eignen sich gut, um Tatorte nachzustellen." Ich muss lachen. Eine Weile sitzen wir schweigend voreinander, Sherlock taucht wieder in seinen Gedankenpalast ab. "Ich bin erschöpft. Kann ich in mein ehemaliges Zimmer gehen?" Sherlock schreckt wieder aus seinem Palast auf: "Oh... Natürlich. Soll ich dir einen Tee bringen? Ich habe auch Milch da." "Nein, aber sehr nett, danke." Ohne darüber nachzudenken, streiche ich über seine Locken und gehe nach oben. 

~*~*~

Ich gehe vor der Tür vor Rosie in die Hocke: "Wir müssen ganz leise sein, versprichst du mir das?" "Warum?" fragt meine Kleine und will nun endlich ins Haus gehen. Sie freut sich schon sehr auf Sherlock. "Wir wollen doch Sherly überraschen." Aufgeregt sieht sie mich an und nickt. Ich hebe sie hoch und wir gehen zusammen die Treppe nach oben. Ich versuche die Stufen zu übersteigen, die besonders laut knarzen. Rosie ist ganz still und wartet, bis wir die zwei Treppen nach oben gestiegen sind. 

Dann setze ich sie vorsichtig ab und wir gehen leise ins Wohnzimmer. Sherlock steht vor dem Fenster und spielt Geige. "Sherly!" quietscht Rosie und rennt auf ihn zu. Sherlock lässt sofort Geige und Bogen sinken, legt sie auf seinen Sessel und hebt Rosie hoch, als sie bei ihm ankommt. Lachend wirbelt er sie durch die Luft und gibt ihr dann einen Kuss auf die Haare. "Hey, meine Süße!" Sherlock wirbelt sie erneut herum und stellt sie dann auf den Schreibtisch, um ihr ihre Jacke auszuziehen. "Wollte Daddy, dass du mich überraschst?" Rosie nickt. "Dein Daddy hat immer noch nicht verstanden, dass wir viel zu schlau dafür sind, stimmt's?" Rosie nickt und kichert. "Hey! Hör auf meine Tochter gegen mich aufzuhetzen!" beschwere ich mich und lasse mich auf die Couch fallen. 

Ich habe in der letzten Nacht nicht gut geschlafen. Zwar mag ich die Aufregung, das Adrenalin, die Gefahr, aber manchmal wird es mir auch zu viel. Ich habe Albträume und wache schreiend auf. "Daddy! Kann ich mit Sherly Experimente machen?" Ich öffne die Augen, die ich geschlossen hatte, um sie ein bisschen zu entspannen und sehe meine Tochter an. "Nein, Kleine. Meine Experimente sind nichts für dich, Rosie. Aber was hältst du davon, wenn wir zusammen kochen? Läuft auf das Gleiche hinaus. Und Daddy kann ein bisschen schlafen." Rosie ist begeistert. 

Während sie in die Küche rennt, reicht Sherlock mir das Kissen, welches sonst immer auf meinem Sessel liegt und eine Decke. Er scheint wirklich zu wollen, dass ich mich ausruhe. "Ich bin da. Wenn etwas sein sollte, musst du nur aufwachen, dann bin ich gleich bei dir." Überrascht von seiner plötzlichen Fürsorge sehe ich ihn an. 

~*~*~

Verschlafen öffne ich die Augen. Sherlock sitzt mit meinem Laptop in seinem Sessel und scheint zu lesen. "Was machst du?" frage ich leise. Der Lockenkopf hebt den Blick und kommt dann sofort zu mir, setzt sich vor der Couch auf den Boden um in etwa mit mir auf Augenhöhe zu sein, da ich noch immer liege. "Ich habe deinen Blog gelesen." sagt er, "Und deine Grammatik verbessert." Ich muss schmunzeln. Natürlich hat er das. "Wo ist Rosie?" frage ich dann und sehe mich um. Ich kann meine kleine Tochter nirgendwo entdecken. 

"Hat Mary sie geholt?" frage ich und setze mich auf. Sherlock setzt sich neben mich auf die Couch und schüttelt den Kopf. "Mrs Hudson fand die Spiele, die ich mit ihr gespielt habe, nicht kindgerecht. Sie sind jetzt unten und schauen zusammen einen Disneyfilm." gibt er dann zu. Belehrend sehe ich ihn an. "Sie hatte Spaß!" "Sie ist drei! Sie hat an allem Spaß!" "Außerdem war es doch kein echter Tatort!" nuschelt Sherlock beleidigt. Seufzend schüttle ich den Kopf und lehne mich gegen ihn. Sofort versteift Sherlock sich. Er ist mit körperliche Nähe noch immer überfordert. Meistens jedenfalls. 

"Danke, dass du dich um sie gekümmert hast." "Kein Problem. Sie ist schließlich mein kleines Mädchen." Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Ich mag es, wenn Sherlock Rosie sein kleines Mädchen nennt. "Wir brauchen hier ein Kinderzimmer für sie." bestimmt Sherlock plötzlich. Verdutzt sehe ich ihn an: "Und wie soll das deiner Meinung nach aussehen?" "Naja, so wie ein Kinderzimmer halt aussieht. Ein Bett, Schränke mit Spielsachen, ein Steckdosennachtlicht..." Ich kann nicht anders, als über seine Begeisterung zu grinsen. 

"Das klingt wirklich toll und es bedeutet mir viel, aber wir haben kein Zimmer. Sie kann ja schlecht unten in die Gruselwohnung ziehen." "Du schläfst einfach bei mir. Und sie kann in dein Zimmer ziehen. Du hast deine Sachen ja eh noch nicht ausgepackt. Es macht keinen Unterschied, ob du sie in deinem oder meinem Zimmer auspackst." Noch immer starre ich ihn nur ungläubig an. 

"Hast du es verstanden?" fragt Sherlock nach einer Weile. "Ja, ich bin ja nicht vollkommen dämlich. Aber-" Sherlock lässt mich nicht aussprechen. Er greift meinen Nacken und drückt seine Lippen auf meine. Überrascht spanne ich mich an. Aber dann schließe ich langsam die Augen und erwidere den Kuss. "Es war gelogen, als ich sagte, dass es mir leidtut." haucht Sherlock gegen meine Lippen. "Ich weiß." grinse ich. 

Mary und ich haben Rosie die Wahl gelassen und sie hat sich ausgesucht, bei Sherlock und mir zu wohnen. Natürlich ist sie auch noch regelmäßig bei ihrer Mutter. Sherlock und ich sind zusammengekommen und es auch für immer geblieben. Wir haben geheiratet und sind natürlich nie aus der Baker Street 221B weggezogen. 

Johnlock OneshotsWhere stories live. Discover now