ℕ𝕠𝕔𝕙 𝟛𝟞𝟜 𝕋𝕒𝕘𝕖

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Angestauter Atem entweicht ihrer Kehle und sie lässt mich frei. »Du weißt es.«

Ist es Erleichterung, Angst oder Wut? Keinen blassen Schimmer. Jetzt, wo sie die Hände wieder freigegeben hat, stecke ich sie wärmend zum warmen Futter meiner Jackentasche. »Offenbar weiß ich nicht genug. Wie kann das sein? Existiere ich jetzt wirklich zwei Mal? Was genau weißt du darüber?« Plötzlich sprudeln die Fragen nur so aus mir heraus.

Sie werden von der Hoffnung angetrieben, es sei nur ein Missgeschick passiert. Sicher ließe sich der Fehler ganz schnell wieder beheben. Doch anstatt mir sofort die passende Zeitmaschine zu präsentieren, mit der wir durch Licht und Zeit zurückreisen, starrt sie ins Leere. »Du würdest mir eh nicht glauben.«

Ich lache trocken auf. »Ach, bitte. Nachdem ich ein ganzes Jahr in die Vergangenheit gereist bin, schockiert mich so schnell nichts mehr.«

Sie setzt zwei große Schritte seitwärts auf die gepflasterte Straße. Ihr Schuhwerk sieht auch nicht danach aus, als weist es die Feuchtigkeit des Grases ab. »Glaub mir, es geht noch eine Nummer verrückter.« Sie verschränkt wärmespendend die Arme vor der Brust. Ihre gepunktete Regenjacke eignet sich eher für regnerische Sommertage als für den tiefen, kalten Herbst.

»Hör zu.« Obwohl sie mich in ihrem Keller gefangen gehalten hat, schüchtert ihre Präsenz immer noch nicht ein. Ihr zierlicher Körperbau wirkt im Vergleich zu dem bedrohlichen Antlitz der Jungs an unserer Schule lachhaft. Mit Leichtigkeit geselle ich mich zu ihr auf die Straße. »Ich werde bei dir bleiben, okay? Nachhause kann ich eh nicht, wenn sich dort ein anderer Darian eingenistet hat.«

Erleichtert atmet sie auf und will mir schon ins Wort fallen, doch mir brennt noch etwas auf der Zunge. »Unter einer Bedingung. Du bist ehrlich zu mir. Wieso konnte ich in der Zeit reisen? Gibt es eine Möglichkeit, den Vorgang rückgängig zu machen? Und was bitteschön ist verrückter als Zeitreisen?«

So schnell wie sich die Grübchen auf ihr Gesicht geschlichen haben, schwinden sie auch schon wieder. Wenn ich Glück habe, wird sie mir eine der Fragen beantworten. Das zeigt mir ihre Miene mehr als deutlich. »Alles, was du wissen musst, ist, dass das hier nichts Schlechtes ist. Es ist eine Chance.«

Zeitreisen – das kenne ich zu Genüge aus Buch und Fernsehen, jedoch ein wenig anders. Wenn man zurückreist, dann dorthin, wo die eigene Eizelle noch flüssig ist. So vermindert man die Chance, sich selbst zu begegnen. Muss unmittelbar in die eigene Zeitlinie eingegriffen werden, doch bitte mit einem Sprung in den Körper. Das hier ist einfach nur scheiße. Wer denkt sich sowas aus?

»Und wie soll ich die Zukunft positiv verändern? Sich im Keller einschließen, um ja nicht doppelt gesehen zu werden, ist sicher top«, höhne ich.

Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Die Unterlippe schiebt sich dabei leicht über ihre Oberlippe. »Wenn du aufpasst, dann darfst du dich unter die Leute mischen.«

Ich fasse mir ans Herz. »Danke, wie großzügig.«

Meine Worte lassen ihr Gesicht erstrahlen. Gott, Ironie ist scheinbar ein Fremdwort für sie. Sie darüber aufzuklären, dazu bin ich im Moment nicht in der Lage. Vielleicht ist diese frohe Laune auch geeigneter, um mir weitere meiner unzähligen Fragen zu beantworten. Na gut, dann gehen wir eben schrittweise vor. »Also«, seufze ich. »Wie sind wir hier hergekommen? Mit einer Zeitmaschine?« Unser Gespräch darf echt keiner hören. Die Jungs an meiner Schule, sie würden sich vor Belustigung rollen.

»Puh, wie das Ding heißt, weiß ich nicht genau. Es sah aus wie...« Sie überlegt kurz, schaut sich in der Umgebung um, als finde sie dort den passenden Gegenstand. »Mehrere kleine Kreise, die ineinandergreifen. Ein paar Farbtöne dunkler als die Sonne, wenn sie zur Mittagszeit am Himmelszelt strahlt. An eine der Windungen baumelt ein viel Größerer – vollständig ausgefüllt mit einem Ziffernblatt, das–«

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