Kapitel 43

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Alexander zog die schwere Tür auf und stieß June in den großen Saal dahinter. Schweratmend sah sie sich um. In der Mitte des Saales war ein riesiges Pentagramm aufgezeichnet, an dessen Rand dutzende Wörter mit verschnörkelten Buchstaben zu erkennen waren, die sie jedoch nur mit Mühe entziffern konnte.

Im gesamten Saal standen Männer und Frauen in langen Kutten herum. Jeder von ihnen besaß ein Brandmahl auf der linken Wange, soweit June das im Schatten der Kapuzen ausmachen konnte. Einige von ihnen zündeten Kerzen an, während andere einem älteren Mann, der neben dem Pentagramm kniete, Kräuter und komisch aussehende Flüssigkeiten anreichten, die dieser in einer Schüssel zusammenrührte und um das Pentagramm herum verteilte.

Als der Mann die Schritte von June und Alexander hörte, schaute er kurz auf. Aus seinem Blick sprach Trauer und man sah ihm an, dass er nicht freiwillig hier war. Sein Blick fiel auf June. „Ein Kind, Alexander?!", fragte er ungläubig und erhob sich, „Du bist wirklich skrupellos! Sie ist noch ein Kind!"

„An deiner Stelle würde ich mir lieber Sorgen um deine Schwester machen Corvin. Ich denke nicht, dass du Ayula in Gefahr bringen willst.", meinte Alexander und stieß June in die Mitte des Pentagramms. June schlug hart mit den Knien auf dem Steinboden auf und unterdrückte einen Schrei.

Robin lugte um eine weitere Ecke. „Ok, die Luft ist rein.", meinte sie. „Glaubt ihr, es ist noch weit?", fragte Dean, der das Schlusslicht bildete, „Uns läuft langsam die Zeit davon. Ich wette der Vollmond steht schon fast vollständig am Himmel."

Robin blieb stehen und starrte auf die riesige Tür, die sich vor ihr auftat. „Nein, es ist nicht mehr weit. Wir sind da."

„Und jetzt?", fragte Dean frustriert, „Wir können da doch nicht einfach reinspazieren. Da wimmelt es doch bestimmt von Necromancern."

„Das ist wirklich ein Problem.", meinte Jack und spielte mit seinem Jackenärmel.

Robin drehte sich unterdessen zu ihren Freunden um und erstarrte. „Ähm Leute...", begann sie leise.

Jack fuhr jedoch unbeirrt fort: „Ich vermute, dass die alle irgendeine Kutte tragen. Da fallen wir erst recht auf wie bunte Hunde und nicht nur, weil wir bestimmt zu jung sind."

„Leute?", versuchte es Robin erneut, diesmal etwas lauter. Endlich schenkte Cole ihr Beachtung. „Was ist denn?" Ohne ein Wort deutete Robin auf eine Person hinter ihren Freunden. Ganz still stand sie da, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Jetzt drehten sich auch die anderen um. Dean, der am nächsten an der Person stand, machte einen großen Sprung nach hinten und zu Cole, der sich schützend vor ihn stellte.
„Ihr müsst euch beeilen.", sagte die Person, den Kopf immer noch gesenkt.

Cole legte den Kopf schief und trat wieder einen Schritt auf die Person zu. Er hatte ihre Stimme erkannt. „Nicole?", fragte er unsicher.

Die Gestalt hob den Kopf, schlug die Kapuze zurück und sah ihn aus liebevollen Augen an „Ja. Ich bin's" Erleichtert stieß Cole die Luft aus. „Es ist alles in Ordnung. Das ist Nicole. Von ihr haben wir den Dolch."

„Wir haben keine Zeit für lange Vorstellungen.", drängte Nicole.

„Aber wir kommen nicht da rein. Wir werden auffallen.", gab Robin zu bedenken. „Da kann ich euch helfen.", meinte Nicole und winkte die Freunde zu sich, „Die Necromancer haben einen Raum, in dem sie die Kutten lagern, die sie dann möglichen neuen Mitgliedern geben können. Mit denen könnt ihr euch verkleiden."

„Gut, wo ist der Raum?", fragte Jack nervös. Nicole drehte sich um. „Kommt mit."

Nicole führte die Freunde einige Meter im Gang zurück und drehte sich dann zu einer der steinernen Wände. Langsam hob sie die Hand, wobei sie von den Freunden erwartungsvoll beobachtet wurde. Langsam ließ sie ihre Hand über den kalten Stein gleiten, bis sie endlich den Stein fand, den sie gesucht hatte. Kurzerhand drückte sie auf den Stein, der kurze Zeit später in die Wand glitt. Gleich darauf ertönte ein Knacken und ein Teil der Wand verschwand ruckelnd im Boden.

„Das es so etwas in einer Miene gibt...", staunte Dean.

Nicole zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Hier wurde im Laufe der Zeit sehr viel umgebaut und erneuert.", erklärte sie, während sie eine Fackel aus der Halterung an der Wand nahm. „Kommt. Die Zeit drängt."

Nicole übernahm die Führung und zusammen gingen sie den dunklen Gang entlang. Cole beschleunigte seinen Schritt und lief, soweit es in dem Gang möglich war, neben Nicole.

„Warum sind Sie hier?", fragte er leise, „Sie müssten das nicht tun."
Nicole schaute ihn an. „Oh doch Cole, ich muss das hier machen.", sagte sie sanft und bog um eine Ecke. „Aber warum? Sie haben sich von der Sekte abgewandt. Sie haben eigentlich nichts mehr mit uns zu tun. Sie haben uns den Dolch gegeben. Ihr Auftrag ist doch erfüllt."

Nicole lächelte schwach. „Ich habe gedacht, dass all das vorbei wäre und ich habe gedacht, dass ich nichts mehr damit zu tun habe. Doch dann ist mir klar geworden, dass das nicht nur euer Kampf ist. Es ist auch meiner. Ich werde nicht mehr weglaufen."

„Ich bin froh, dass Sie hier sind Nicole.", sagte Cole. Nicole seufzte und lächelte Cole an.

Schließlich stoppte sie vor einer hölzernen Tür, die wohl seit Langem nicht mehr geöffnet worden war, denn vor ihr hingen große Spinnennetzte. Nicole wischte sie angeekelt zur Seite und rüttelte an dem morschen Türgriff. Nach einigem Ziehen und Ruckeln sprang die Tür auf und auch gleich mit einem Krachen aus dem Angeln.

„Ok, das war einmal eine Tür.", murmelte Robin und folgte Nicole und Cole in den dahinterliegenden Raum. Nicole entzündete zwei Fackeln in den Halterungen neben der Tür mit ihrer Fackel, sodass sie etwas Licht hatten und sie die Batterien der Taschenlampen schonen konnten. Nicole sah sich um. „Sieht aus, als wäre lange niemand mehr hier gewesen.", stellte sie fest und zog mit spitzen Fingern eine Decke von einer Kiste.

„Hoffen wir mal, dass da keine Motten dran waren.", murmelte sie und machte sich an dem großen Schloss der Kiste zu schaffen. Fluchend suchte sie den Boden ab und fand schließlich wonach sie gesucht hatte. Nicole hielt einen faustgroßen Stein in der Hand, mit dem sie nun auf das verrostete Schloss einschlug. Schließlich erzielte dies den gewünschten Erfolg und das Schloss gab nach. Nicole pustete etwas Staub von der Truhe und öffnete sie. Im Inneren konnte man einige Stofffetzten erkennen. Nicole griff hinein und zog einige Kutten heraus, die sie an die Freunde verteilte.

„Klopft die besser nochmal aus.", riet sie, „Die sind wirklich sehr staubig."

Wenig später hatten sich beinahe alle eine Kutte übergeworfen, nur Dean zögerte noch und fummelte an seiner Kutte herum. „Was ist?", drängte Jack, „Wir müssen wirklich los."

„Haben diese Dinger Taschen?", fragte Dean. Robin nickte. „Ja, haben die, zumindest meine. Warum?"

Dean zögerte, bückte sich dann jedoch und öffnete den Reißverschluss seiner beinahe kniehohen Stiefel. Darunter kam eine blitzende Messerscheide zum Vorschein. Robin lachte. „Darum also die hohen Stiefel.", kicherte sie. Dean holte den Dolch aus seinem Versteck, schloss den Reißverschluss wieder und richtete sich auf.

„Ich will den lieber in einer der Taschen verstauen.", erklärte er, „Da komme ich dann besser ran."

Schnell warf auch er sich die Kutte über und ließ den Dolch in einer der tiefen Taschen verschwinden.

„Lasst uns gehen.", meinte Jack und sah in die Runde, „Lasst uns June und Aiden retten."

„Ist es nicht ein bisschen auffällig, wenn wir durch die Vordertür kommen?", wandte Robin ein, „Die sind doch bestimmt schon alle in dem Saal."

Nicole nickte. „Du hast recht und genau deswegen nehmen wir den Hintereingang. Oder denkt ihr etwa das wäre hier der einzige Geheimgang gewesen? Wir kommen relativ unbemerkt in den Saal und können uns unter die Leute mischen.", erklärte sie und trat auf eine weitere Wand zu, auf der sie, nach kurzem Abtasten, ebenfalls einen Mechanismus betätigte. Auch diese Wand verschwand mit einem Knarzen im Boden.

„Kommt ihr?"

Nacheinander folgten sie Nicole. Cole jedoch blieb noch einmal stehen und schaute zu Deans Rucksack. Dean hatte ihn dort gelassen, da er zu auffällig war. Schnell ging Cole zurück und kramte darin herum, bis er die Schachtel mit dem Salz gefunden hatte. Konnte ja nicht schaden. Schnell ließ er die Schachtel in der Kuttentasche verschwinden und rannte seinen Freunden hinterher.

Clairvoyance- Zwillinge Der Hellsicht| #Wattys2020Donde viven las historias. Descúbrelo ahora