Kapitel 17

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Im Klassenraum ließ Robin sich neben Dean nieder und stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch. Dean sah sie nur verwirrt an. „Was ist?", fragte er, während er in seiner Schultasche kramte. „Du bist verknallt." Dean kramte etwas tiefer in der Tasche, um seine zitternden Hände zu verstecken. „In wen sollte ich verknallt sein?", murmelte er leicht überfordert.

„Du stehst auf den Halbbruder von unseren Zwillingen.", sagte Robin frech. Dean versank nun beinahe komplett in der Tasche. „Stimmt gar nicht.", drang seine dumpfe Stimme aus seinem Rucksack. „Du kannst es ruhig abstreiten.", sagte Robin und lehnte sich in dem ungemütlichen Stuhl zurück, „Aber, dass du ihn süß findest, sieht doch ein Blinder mit nem' Krückstock."

Dean fiel ein Stein vom Herzen, als June sich neben ihn setzte und Jack neben Robin Platz nahm, sodass das Thema vorerst beendet war. Es stimmte. Dean mochte Cole, obwohl er ihn kaum kannte. Er hatte etwas gespürt, als der Halbbruder der Zwillinge den Raum betreten hatte. Es war wie ein Blitzschlag gewesen, wie ein warmer Sonnenstrahl, der sein Gesicht an einem kalten Wintertag gestreift hatte. Doch Dean machte sich keine große Hoffnung, dass Cole dasselbe fühlte wie er. Dean hatte bis jetzt immer Pech gehabt, was sowas anging. Alle Jungen, in die er sich verguckt hatte, waren heterosexuell gewesen.

Trotz der ganzen Zweifel wurde Dean warm ums Herz, als er an Cole dachte und daran, dass er ihn in der Pause sehen würde. Er konnte nicht glauben, dass er ihn vorher noch nie gesehen hatte, als er bei Jack und June zu Hause gewesen war. So eine wunderschöne Person konnte man doch nicht einfach verschweigen. Andererseits musste Dean zugeben, dass er nicht besonders scharf darauf gewesen war Cole kennenzulernen, da vor allem Jack kein gutes Haar an ihm gelassen hatte.

June schaute unentwegt zur Tür. Wo war Aiden? Jede Sekunde konnte sie sich öffnen und Aiden würde im Türrahmen stehen. Die Minuten verstrichen und der Unterricht begann bereits. June schenkte ihrem Lehrer jedoch keine Beachtung, der gerade versuchte ihnen etwas über die Bevölkerungsentwicklung zu erklären. Ihr Blick hing an der Tür und wollte sich nicht davon lösen. June stupste Dean an, der gerade einige Herzchen in seinen Hefter malte. „Sag mal, hat dir Aiden geschrieben, dass er krank ist oder so? Er ist schon fast zehn Minuten zu spät." Dean schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keine Nachricht bekommen." Gerade wollte June Robin fragen, ob sie eine Nachricht bekommen hätte und beugte sich bereits vor, als es an der Tür klopfte. Sichtlich genervt drehte sich der Erdkundelehrer von der Tafel weg, wo er gerade in seiner unleserlichen Handschrift irgendeine Feststellung notiert hatte, und ging zur Tür, die er mit einem „Wer stört?" öffnete.

June verrenkte sich beinahe den Hals. Ihre Mitschüler hatten sich ebenfalls zur Tür gedreht. June hörte jemanden sagen: „Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich habe verschlafen. Wird nicht wieder vorkommen." Der Lehrer murrte nur etwas von: „Dann stell dir nächstes Mal einen Wecker." Und trat zur Seite, sodass die Person an ihm vorbeischlüpfen konnte. Es war Aiden, was June erleichtert aufatmen ließ.

Kurze Zeit später setzte er sich neben sie und ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten. „Hey.", begrüßte June ihn erfreut und lächelte ihn an. Aiden drehte seinen Kopf zu June. „Hey.", flüsterte er und gähnte. June betrachtete ihn genauer. Aidens Augen waren klein und er schaute insgesamt müde aus. „Alles in Ordnung?", fragte sie besorgt und legte ihre Hand auf seine. „Ja, ich bin nur etwas müde.", sagte Aiden und wechselte das Thema. „Ist noch irgendwas passiert?" Das war typisch für Aiden. Er war besorgter um andere, als um sich selbst. June nickte. „Ich gebe dir die Zusammenfassung in der Pause." Aiden nickte abwesend. June drückte seine Hand und malte kleine Kreise mit ihrem Zeigefinger auf seinen Handrücken.

Robin beugte sich vor, um Aiden anzusehen. „Hey Aiden, wie kann es denn sein, dass du verschlafen hast? Das passiert doch sonst nie." Aiden zuckte nur mit den Schultern. „Ihr da hinten seid jetzt auch mal bitte ruhig.", sagte der Lehrer grimmig und drehte die abgenutzte Kreide in den Händen.

Robin schaute ihren Lehrer kurz an und wollte etwas Freches entgegnen, verkniff es sich jedoch, als Jack ihr einen warnenden Blick zuwarf. Durch diesen Vorfall blieb Aiden ihr eine Antwort schuldig und schaute müde geradeaus. June strich ihm weiterhin über die Hand. Aiden schenkte ihr ein kleines Lächeln, was Junes Herz höherschlagen ließ. Jack beobachtete die Beiden aus dem Augenwinkel. Er war neidisch. June fiel es leicht, über ihre Gefühle zu reden und sie zu zeigen und Jack konnte es nicht. Er war daran gewohnt seine Gefühle zu verstecken. Wie oft war er innerlich zerbrochen und wie oft hatte er seine Gefühle in sich eingeschlossen, um stark für Andere zu sein. Und vor allem wie oft wollte er sich seine Gefühle nicht eingestehen. Wie oft wanderte sein Blick zu Robin, die er schon seit Ewigkeiten kannte. Er mochte sie schon seit sie in der fünften Klasse waren. Damals hatte er es sich nicht eingestehen wollen, da er Angst hatte, dass sie nicht dasselbe fühlte und er damit ihre Freundschaft zerstören würde. Und jetzt, Jahre später, traute er sich immer noch nicht. Vielleicht musste er es einfach langsam angehen und nicht mit seinen Gefühlen für sie zu überschütten.

Jacks Blick wanderte zu Robin, die gerade versuchte das Geschriebene an der Tafel zu entziffern. Sie notierte sich etwas in ihr Heft, wobei ihr eine ihrer roten Haarsträhnen ins Gesicht fiel. Ohne richtig zu wissen was er tat, streckte Jack seine Hand aus und strich ihr die Haarsträhne aus dem Gesicht. Das Gefühl, was sich in seinem Bauch ausbreitete, war ungewohnt und angenehm. Robin drehte ihren Kopf zu Jack. Dieser jedoch starrte nur auf sein Blatt.

Clairvoyance- Zwillinge Der Hellsicht| #Wattys2020Where stories live. Discover now