#8 WHISTLE

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Einerseits war Claire sehr erleichtert, endlich nach Hause gehen zu können, aber am liebsten würde sie die Zeit anhalten, um einen bestimmten Moment von sich zu halten.

Mit zitternden Beinen schminkte sie sich für den Abend und zog sich um. Ihre Mutter saß im Wohnzimmer und wusste von nichts.

"Mein Chef meinte, ich muss heute früher los, also bis morgen!", rief Claire ihr zu und verschwand durch die Haustür. Zwar war das gelogen, aber sie wollte es einfach so schnell wie möglich hinter sich haben und vielleicht mildert es ja die Strafe, wenn sie früher da ist. Claires Mutter hatte keine Ahnung, wo die Schülerin arbeitet und wie lange sie immer da ist. Sie schlief, wenn die 15-Jährige nach Hause kam, was ja auch wirklich der Fall wäre, allerdings war es halt später, als sie immer sagte.

Schnellen Schrittes stöckelte Claire über den Gehweg und zog den Mantel enger um sich. Nur die pinken fast High-heels verrieten, dass dies kein normaler Abendspaziergang war. Ihre Frisur saß perfekt und blieb das auch, trotz des Windes, der ihr um die Ohren pustete.

Nicht viel später kam sie an und betrat mit rasendem Puls die Lokation. Es stank nach Alkohol und war voll und laut. Sie drückte sich flink an betrunkenen Kerlen vorbei und ignorierte gekonnt die Anmachen, die sie alleine auf dem Weg zur Bar zugeflüstert bekam.

"Na wer kommt denn da?", hörte sie ihren Chef sagen. Schuldbewusst blickte Claire zu Boden. "WO WARST DU GESTERN?", rief er, was teils auch einfach an der Musik lag, die gerade lauter aufgedreht wurde. Dennoch war Jackson Wallis einfach nur wütend und das zurecht. "Ich hatte Schularbeiten zu erledigen", log die 15-Jährige. "DAS INTERESSIERT MICH EINEN FEUCHTEN DRECK!", erwiderte er und hatte wahrscheinlich nicht mal zugehört, "Niemand stand hinter der Bar und niemand bediente meine Kunden. Du hast nur Glück, dass mir einer der Stammkunden Bescheid gegeben hat, sodass ich den Abend retten konnte! UND SIE MICH GEFÄLLIGST AN, WENN ICH MIT DIR REDE!". Eingeschüchtert hob Claire sofort den Blick. Hastig sah ihr Chef sich um, doch niemand hatte etwas mitbekommen. Er raufte sich die Haare. Mehrmals atmete Jackson ein und aus, um sich zu beruhigen. "Kannst du dir vorstellen, wie ich da stand?", fuhr er fort, "Oh ich würde dich am liebsten hochkant rausschmeißen!". Ängstlich weitete sie ihre Augen. "Aber dann müsste ich jeden Abend hier stehen und darauf habe ich auch keinen Bock!". Erleichtert atmete Claire aus, doch das hielt nicht lange. "Du holst deine Stunden in der nächsten Woche nach und sollte das nochmal vorkommen bist du gefeuert!".

Aber anstatt nach dieser Standpauke von ihr zurück zu treten machte er das Gegenteil. Für ihren Geschmack war er viel zu nah, aber es ist nicht das erste Mal. Claire roch den Whiskey aus seinem Atem, genauso wie der Geruch von Zigarette. "Du kannst dein Geld aber auch auf einem anderen Weg kassieren", hauchte er. Durch die Musik waren seine Worte kaum verständlich, allerdings brauchte Claire ihn nicht zu hören, um zu wissen, was er möchte. Sanft schob sie ihren Chef von sich. "Nein danke", lehnte sie schmunzelnd ab. Jacksons Laune ändert sich innerhalb Sekunden und sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um sein Temperament einschätzen zu können. Trotzdem konnte er sie leicht einschüchtern, besonders, wenn er bereits mehr als einen Drink hatte. "Och komm schon", bettelte er und machte einen Hundeblick. Doch Claire lachte nur. "Du kennst meine Antwort und die wird sich auch nicht ändern". Nur weil sie in so einem Laden Geld verdiente hieß das noch längst nicht, dass sie sich auf sowas einlässt.

Grinsend wandte sie sich der Arbeit zu, die erstmal aus Gläser spülen bestand. Dabei beobachtete Claire die Gäste und schüttelte über so manches Verhalten den Kopf. "Hey Süße, hast du mal nen Drink für mich?", riss sie ein Mann aus den Gedanken. Lächelnd nahm die Minderjährige eins der sauberen Gläser und mischte ihm etwas zusammen. "Klar doch", raunte sie und schob ihm das Gemisch zu. Dabei lehnte sie sich vor, sodass ihr tiefer Ausschnitt gut zur Geltung kam. Das passt zwar eigentlich nicht zu ihr, aber es ist erstaunlich zu sehen, wie einfach es doch ist, den Kunden ein bisschen Trinkgeld zu entlocken, was man sich in die Tasche stecken kann. Der Mann ließ Claire nicht aus den Augen, bis er den Becher komplett geleert hat. "Na wie sieht's aus mit ner Runde oben im Zimmer?", fragte er. "Tut mir leid, aber ich habe zu tun", sagte sie gespielt traurig. "Schade", seufzte er und stand auf, um sich jemand anderes zu holen. Die Geldscheine, die er dabei auf den Tresen legte nahm sie sofort an sich. Zufrieden widmete Claire sich erneut den dreckigen Gläsern.

So läuft das jede Nacht. Zwischendurch, wenn sie nichts zu tun hat mischt sie sich einen eigenen Drink. Das war Eigennutz, aber auch gut für die Kunden, wenn sie wieder eine neue Mischung anbieten konnte.

Jackson ließ sie tatsächlich länger arbeiten und als sie zuhause ankam hechtete sie in ihr Zimmer, da ihre Mutter jeden Moment aufwachen kann. Sie schälte sich aus den engen, kurzen Klamotten und bewegt ihre Füße, die durch die unbequemen High Heels ganz schön gelitten haben. "Wochenende", sagte sie zu sich, doch klang mehr gequält, als glücklich. Immerhin etwas Zeit, um Schlaf nach zu holen. Die Woche wird anstrengend genug, sodass sie den dringend brauchte.

Sobald Claire alle verdächtigen Sachen versteckt hat, sich abschminkte und die Frisur löste sah sie wieder ganz "normal" aus. Normal, wie sie ist, wenn niemand bei ihr war.

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Frohes neues Jahr euch allen. Ich hoffe es geht euch gut und wünsche euch nur das Beste für 2020 🤗

Danke fürs lesen ❤

I love you | SchülerxLehrerDonde viven las historias. Descúbrelo ahora