26. Zepar

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Das penetrante Ticken der Wanduhr war seit Stunden das einzige Geräusch im Zimmer.

Was nervig, dachte ich. Ich sollte die Uhr auf den Sperrmüll werfen.
Aber dann müsste ich raus.

Bei dem Gedanken, vor die Zimmertür zu treten, wurde mir etwas unwohl zumute. Ich wendete meinen Blick von der Decke ab und drehte den Kopf zur Seite. Das Bett war gemütlich, aber zu weich. Ich bekam davon Rückenschmerzen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich fast den ganzen Tag nur lag.

Es klopfte an der Tür und ich zuckte zusammen.

„Arya, ich habe das Essen vor die Tür gelegt, zusammen mit den Schulaufgaben. Mike und Isaac waren wieder hier und haben nach dir gefragt." Sie schwieg und wartete meine Antwort ab.

„Sie scheinen sich wirklich Sorgen zu machen, Schatz", fügte sie hinzu, als ich nichts sagte.

Ich seufzte und zog die Decke über meine Schultern. Vielleicht sollte ich etwas schlafen. Müde war ich nicht, nur erschöpft. Mein Verstand sagte mir, dass ich heute bloß vier Wachstunden hatte, und das obwohl bereits Nachmittag war, doch mein Körper sehnte sich nach noch mehr Ruhe. Ich drehte mich zur Wand und betrachtete die kleinen Lichtflecken, die durch die Jalousien hindurchschienen und auf die hässliche Tapete reflektiert wurden. Ich hörte, wie Tante Am wieder die Treppen runterstieg. Draußen bellte der Hund des Nachbarn und ich schloss fest meine Augen.

Es war nun einige Tage her, dass ich bei Tante Am eingezogen war und seither hatte ich nichts von Blake gehört. Es war, als würde sich die Situation von damals wiederholen. Ich wache im Loch auf, Blake ist weg, mein Vater rastet aus.

Nur war es dieses Mal weitaus schlimmer: Ich wache im Loch auf und die Welt, wie ich sie kannte, gerät aus ihren Fugen. Blake ist weg und das seit praktisch mehr als einer Woche, was alle bisherigen Rekorde sprengt. Mein Vater rastet aus und landet im Pflegeheim.

Tante Am gab wirklich ihr Bestes, aber sie musste verstehen, dass sie mir gerade nicht helfen konnte.

Immer wieder sah ich den schwebenden Stuhl vor meinen Augen und hörte den Satz: "Das sind die Fähigkeiten eines Kindes, das aus der Verbindung zweier Engel hervorgeht und du gehörst, genauso wie alle anderen in diesem Raum auch zu ihnen."

Von klein auf war mir klar gewesen, dass etwas mit der Welt, wie wir sie kannten, nicht stimmte. Allein Blakes Existenz hatte mir verraten, dass es da mehr gab, als sich uns offenbarte. Im Grunde wusste ich schon immer, dass vieles sich im Verborgenen des Universums abspielte, aber so direkt und plötzlich damit konfrontiert zu werden, war zu viel für mich gewesen.

Ich hatte mich in diesem Zimmer eingesperrt, unter dem Vorwand, ich bräuchte Zeit um einen klaren Kopf zu fassen und über einige Sachen gründlich nachzudenken, doch die Wahrheit war, dass es nichts mehr gab, worüber man Nachdenken konnte. Ich war allein mit all den Fragen, die mich auffraßen und an meinem Geist nagten.

Hatte all das etwas mit meiner Mutter zu tun? Was wusste Blake? Wie ging es meinem Vater? Wozu genau diente das Loch?

Mit Tante Am hatte ich über nichts von alldem geredet. Sie war zwar die Schwester meiner Mutter, aber was war, wenn ich mich irrte. Sie würde mich als komplett verrückt abstempeln. Sie dachte, dass ich mich hier einsperrte, lag an dem Schock, den ich durch den plötzlichen Verlust meines Vaters erlitten hatte.

Ich konnte es nicht leugnen: Ich wollte mehr davon hören, was Nathan angefangen hatte, mir da zu erzählen. Was genau hatte es mit den biblischen Wesen auf sich oder hatte mir mein Geist vielleicht sogar einfach nur einen großen, unlustigen Streich gespielt?

Mit diesem Gedanken driftete ich in meinen überflüssigen Schlaf.

***

Ich sehe dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt