Dear Arkansas Daughter ~ Lady Lamb

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Die Deutschstunde vergeht schneller als gedacht. Normalerweise fühlen sich die 90 Minuten mit der Kenny wie eine halbe Ewigkeit an. Ich dachte ich hätte mehr Zeit,
mehr Zeit mit Jean.
Jetzt sind es allerdings nur noch so fünf Minuten, ehe sich unsere Wege wieder trennen.

Auch wenn sich die Stunde weniger schleppend als sonst anfühlt, heißt das nicht, dass ich aufgepasst hätte. Auch jetzt höre ich nur mit einem halben Ohr zu. Meine Gedanken sind ganz woanders.
Kenny redet gerade über eine freiwillige Präsentation über Epochen oder so. Mehr kann ich auch nicht wiedergeben.
Interessant ist das für mich eh nicht. Nie im Leben würde ich etwas für die Schule machen, das ich nicht machen muss und selbst die Sachen, die ich eigentlich tun müsste, erledige ich nicht zuverlässig.

Wie zu erwarten scheint Jean anders darüber zu denken, da sie direkt ihre Hand hebt. Warum sie sowas machen möchte, ist für mich unerklärlich. Ich glaube nicht, dass sie ihre wahrscheinlich perfekte Note noch mit einer Präsentation verbessern kann. Vielleicht führt unsere Schule ja 16 Punkte ein, wenn sie es weiterhin probiert.

"Eljean, möchtest du die Präsentation alleine machen oder soll sich dir jemand anschließen?", fragt Frau Kenny. Bisher hat Jean, insofern ich mich erinnere, alle Präsentationen alleine gehalten. Ich wette andere Personen halten sie wahrscheinlich eher auf.
"Ja, mit Nash", beschließt Jean.
Warte.. war das gerade mein Name? Ich drehe meinen Kopf zu Jean und schüttel ihn leicht. Ich glaube sie hat  die Memo, dass ich kein Fan von Arbeit bin, nicht bekommen.

"Mit Nash?", hakt Frau Kenny genauso skeptisch nach wie ich gerade bin. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mal ausnahmsweise auf meiner Seite wäre.
"Ja, mit Nash", bestätigt Jean, obwohl ich alles getan habe, um ihr anzudeuten, dass ich keine Lust darauf habe.
"Na dann trage ich das wohl so ein", akzeptiert die Kenny ihre Entscheidung, ohne mich überhaupt zu fragen. "Aber wehe ich höre am Ende, dass Sie die Arbeit alleine vollrichtet haben."
Ah klasse. Also kriege ich auch noch Probleme, wenn ich einfach nichts mache? Uff.
Ich sehe mich allerdings echt nicht in der Position mich zu beschweren, weil ich genau genommen nie laut geäußert habe, dass ich das gar nicht möchte, was daran liegen könnte, dass ich es vielleicht doch möchte- zumindest zu einem kleinen Teil. So scheiße ich Extraarbeit auch finde, es wäre Extraarbeit mit Jean.
Und das macht es tausendmal besser.

Dann klingelt es zur Pause. Ich stopfe meine Sachen, abgesehen von Handy und Kopfhörern, in meine Tasche und probiere mit Jean zu sprechen, aber jemand anderes war schneller.
"Eljean, was ist denn bitteschön in dich gefahren??", kichert Miriam, die sich mit dem Armen auf Jeans Tisch abstützt. Jean ist noch dabei ihre Sachen einzuräumen.
Allein Miriams nervige Stimme zu hören bringt mich zum Kochen. Ich kann nicht einmal sagen, warum Miriams Stimme so nervig ist. Ich glaube es ist alleinig der Fakt, dass die Stimme ihr gehört.
"Girl, du machst nie freiwillig Aufgaben in einer Gruppe."
"Wird wohl Zeit, dass ich Teamfähigkeit lerne", bemerkt Jean unbekümmert und widmet sich wieder dem Einräumen.

"Aber mit Nash??", hinterfragt Miriam empört und auch nicht gerade leise, während ich literally neben Jean sitze.
Ich verdrehe die Augen. Selbst ich wurde besser erzogen und ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt erzogen wurde.

"Ist das irgendso ein Märtyrer-Akt?", fügt sie noch dazu. Langsam reicht es wirklich. Ich richte mich auf. Ich öffne meine Mund, unwissend welche Wörter ihn gleich verlassen werden.
"Nash, hast du Mittwoch nach der Schule schon was vor?", fragt mich Jean, ehe ich irgendwas zu Miriam sagen kann.
Ich nicke aus Reflex. Darüber nachgedacht ob ich Zeit habe, habe ich nicht. Wird schon passen.
"Super, dann lass das am Mittwoch machen", beschließt sie, schultert ihre Tasche und geht, ohne nur ein weiteres Wort zu Miriam zu sagen.

Dann verlasse auch ich den Raum. Auf dem Weg ins Forum probiere ich mir keinen Kopf  zu machen, aber letztendlich tue ich eher das Gegenteil.
Ich frage mich was Miriams fucking Problem ist. Ich habe nicht einmal etwas mit ihr zu tun. Und warum hat mich Jean zu dieser Gruppenarbeit gedrängt? Ist das eine Form von Sadismus? Oder doch Zuneigung?

Auf einmal spüre ich eine Hand auf meiner Schulter und werde dadurch komplett aus meinen Gedanken gerissen.
"Yo Nash!", begrüßt mich Eric mit einem fetten Lächeln im Gesicht, "Wie steht's?" Er macht einen großen Satz nach vorne, sodass wir nebeneinander laufen.
"Ganz okay", sage ich eher aus Gewohnheit und nicht, weil ich es wirklich so meine. Aber das machen alle. Also ist es okay.
"Und dir?", frage ich aus Höflichkeit zurück, obwohl ich weiß, dass es ihm gut geht. Das kann man der Grinsebacke direkt aus dem Gesicht ablesen und außerdem ist es Eric. Der ist sowieso chronisch glücklich.

"Gut!", kommt wie erwartet von ihm.
"ich glaube ich hatte so ein super Wochenende. Gerade läuft einfach alles perfekt. Ich fühle mich irgendwie wieder mehr von meinen beiden engsten Freunden gewollt, bin mit meinen Songs zufrieden und ich und Jo haben gestern ausgemacht, wann wir uns treffen wollen. Ich bin so hyped." Mit einer längeren Antwort hatte ich dann doch nicht gerechnet. Ich dachte es bleibt bei dem Gut und dann würden wir beide unser Leben weiter leben.

"Uuuund? Wie läuft es mit Jean?", interessiert ihn.
"Hm? Jean?" Ich fühle mich nahezu ertappt, so ertappt, dass ich spüre wie ich rot anlaufe.
"Du weißt schon, dein Crush."
"Crush???"
Er schmunzelt. "Jetzt tu nicht überrascht. Es ist so offensichtlich. Deine Wangen glühen förmlich. Du bist so Rudolf das Rentier, aber statt der Nase sind es die Wangen. Ich habe dich schon letzte Woche in Kunst durchschaut."

"Ich glaube nicht, dass es ein Crush ist", entgegne ich und hoffe, dass er das als Antwort akzeptiert.
"Jaja, natürlich", sagt er mit einem ironischen Unterton, der unmöglich zu überhören ist. Sogar eine Person, die keine Social Cues lesen kann, hätte das verstanden.
"Selbst wenn", erkläre ich, "würde das nichts werden. Hast du sie mal gesehen? Und hast du mich gesehen? Wir sind sowas von nicht in einer Liga."
"Ach Nash", säuselt er, "du hast aber verkorkste Vorstellungen. Liebe ist doch kein Handel, bei dem du einen bestimmten Wert hast und jemandem mit demselben Wert, den du dir zugeordnet hast, suchst."

Ich denke kurz darüber nach. "Eigentlich, denke ich genau das", gebe ich zu.
Aber es ist doch auch wirklich so. Im Regelfall sind Partner doch ungefähr gleich hübsch, schlau und was auch immer man sein kann.
"Damit würdest du aber doch sagen, dass Menschen unterschiedlich wertvoll sind, nicht? Und wenn du negativ von dir selbst denkst, dann dürfte deine potentielle Partnerin oder Partner in deinen Augen auch keinen hohen Marktwert haben. Ich fänd's schon komisch sowas über den eigenen Beziehungsmenschen sagen, not gonna lie."

Bevor wir weiter darüber sprechen können, kommen wir im Forum an, wo Jason bereits auf uns wartet. Ich bin relativ erleichtert darüber, nicht darauf antworten zu müssen, denn das wäre kompliziert geworden. Keine Ahnung wie ich das, was ich denke, in Worte fassen soll.
So komisch das mit dem 'Marktwert' auch klingen mag, ich glaube da ist was dran.

Ich setze mich neben Jason und stecke mir nur einen der Hörer ins Ohr, sodass ich gleichzeitig Musik und meine Freunde hören kann. Kaum läuft das erste Lied, krame ich auch schon mein Musiktagebuch aus der Tasche; es läuft wieder eines ihrer Lieder.
Schon wieder ist es eines, das ich nicht kenne, weshalb ich probiere die Lyrics mitzuschreiben:

You with the dark curls,
you with the watercolor eyes,
You who bares all your teeth in every smile
He says: "I can always hear you sing,
I wanna hear you speak to me"

Jason lugt mir neugierig über die Schulter.
"Dark Curls? Geht das über dich?"

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