Change My Clothes ~ Alec Benjamin

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Wie bereits erwartet höre ich wie sich ausgerechnet die Tür des Klassenraumes, in dem ich mich befinde, öffnet.
Mit dem Rücken zur Tür gewandt hocke ich auf dem Boden. Schnell trockne ich mir mit dem Ärmel die Tränen, ehe ich mich umdrehe.

Vor mir steht kein Lehrer, allerdings weiß ich nicht, ob das viel besser ist.

Macy's karamellbraune Augen starren mich steif an. In den Armen hält sie einen Zeichenblock fest umklammert. Der Schock ist ihr ins Gesicht geschrieben.
Ohne ihren Blick von mir zu lösen, tappt sie vorsichtig ein paar Schritte nach hinten.
Es tut weh zu sehen, wie abneigend sie sich verhält. Es gibt mir das Gefühl, ein Monster zu sein.

Ich bin komplett mit der Situation überfordert und habe keine Ahnung, wie ich reagieren soll. Ich wurde zwar schon häufiger erwischt, doch da war das was komplett Anderes. Da konnte ich abweisend reagieren, so als würde es mich gar nicht interessieren oder sogar laut werden. So darf Macy mich allerdings nicht sehen.
Alles was ich möchte ist, dass sie mich jetzt nicht hasst oder irgendwas Schlechtes denkt, selbst wenn das berechtigt wäre.

"Hey", durchbreche ich die unangenehme Stille zwischen uns und versuche dabei komplett normal zu klingen.
In einer langsamen Bewegung legt sie ihren Block ab, wobei sie ihre Augen keine Sekunde lang von mir löst.
Ich kann ihrem angsterfüllten Blick nicht standhalten. Er bohrt sich tief in meine Seele.
Was ist wenn sie mich nie mehr vernünftig anschaut und ich für sie nur noch der Kerl bin, der sich nicht unter Kontrolle hat? Sie kennt nicht einmal irgendwelche anderen Seiten von mir, da wir so selten reden.
Allein der Gedanke zerreißt mir das Herz. Ich möchte nicht so angesehen werden.

"I-ich kann das erklären-", versuche ich sie irgendwie davon anzuhalten, das Schlimmste zu denken.
Dabei kann ich es nicht einmal richtig erklären.
Glaube ich zumindest.

"Brauchst du Hilfe dabei, die Tische wieder hinzustellen?", fragt sie, anstatt eine Erklärung zu verlangen. Würde ich nicht sehen, dass sie am gesamten Körper zittert, hätte ich angenommen, dass alles gut zwischen uns wäre.

Ich nicke. Einerseits könnte ich Hilfe wirklich ganz gut gebrauchen und andererseits verschafft mir das die Möglichkeit, mich mit ihr zu unterhalten.
Wäre das nur so leicht getan wie gedacht.

Sie legt ihren Zeichenblock auf einen der noch stehenden Tischen ab.
"Ich wusste gar nicht, dass du auch eine Freistunde hast", murmelt sie, während sie anfängt Ordnung in den Raum zu bringen.
"Habe ich nicht", gestehe ich und hebe den ersten Tisch an. Macy nickt kurz, sagt aber nichts dazu.
"Ich habe mich nicht so nach Unterricht gefühlt.. brauchte einfach ein wenig Zeit für mich", probiere ich es zu erklären. Allerdings habe ich nicht das Gefühl, dass ich es schaffe, die richtigen Worte zu finden.

"Warum hast du das gemacht?", fragt sie mich. Sie streckt ihre Hand aus und deutet auf das Chaos.
Seufzend neige ich meinen Kopf in Richtung Boden. Ich schäme mich für meine Reaktion. Das möchte ich mir allerdings nicht zu sehr ansehen lassen.
Schnell richte ich mich wieder auf und entspanne die Schultermuskulatur.
"Ach, keine Ahnung", sage ich so lässig wie möglich, was sich irgendwie falsch anfühlt. Ich hole einmal tief Luft und versuche einen Mittelweg zu finden, der mich weder wie ein Arschloch noch wie ein Nervenwrack dastehen lässt.

"Kennst du das, wenn sich so ein Klotz in deinem Magen bildet? Also nicht wortwörtlich natürlich.. es ist eher so wie Bauchschmerzen, die aber nicht wirklich wehtun. Alles fühlt sich verdreht und falsch an und dann plötzlich fängt dieses elende Gefühl an sich zu ändern. Der ganze Körper wird mit so viel Energie überflutet, das er sie nicht mehr halten kann. Die Energie muss so schnell entladem, dass es kaum möglich ist nachzudenken. Es ist wirklich so als wäre ich blind vor Wut.. und es fühlt sich so gut an, das Ventil zu öffnen und den ganzen Frust hinauszulassen. In den Momenten kann ich nicht an Konsequenzen denken."
Shit, das hat mich jetzt sicher wie ein Arschloch und ein Nervenwrack dastehen lassen.

Macy meidet es, mir direkt in die Augen zu sehen, hilft mir allerdings weiterhin, den Raum in Ordnung zu bringen.
Ihre Reaktion versetzt mir einen Stich in der Brust.

Ich weiß, dass alles, was ich denke egoistisch ist. Für sie wäre es besser, sich von mir fernzuhalten. Ich bin nichts weiter als eine Zeitbombe, die irgendwann hochgeht und alle Leute um sie herum mit sich reißt. Ich bin toxisch. Wie soll sich so jemand sicher in meiner Nähe fühlen?
Mit solchen Menschen sollte sie sich nicht umgeben, besonders nicht nach dem, was sie durchmachen musste... und obwohl ich das alles weiß, wünschte ich, sie könnte mich einfach mögen.

Schneller als erwartet sieht der Raum wieder so aus als wäre nichts passiert. Das Einzige was bleibt ist mein schlechtes Gewissen und der pochende Schmerz in meiner Hand. Schuldzuweisend funkel ich die fucking Heizung an.

"Also", wendet sich Macy trotz allem an mich. Ihre Hände sind von ihren viel zu langen Ärmeln verdeckt und sie verlagert das Gewicht von einen Fuß auf den Anderen. "Möchtest du vielleicht.. du weißt schon.. darüber reden?"

Perplex ziehe ich die Augenbrauen nach oben. Zu meiner eigenen Überraschung nicke ich leicht- Eine unüberlegte Entscheidung wie mir einen Moment später klar wird. Direkt korrigiere ich mein Fehler mit einem Kopfschütteln.

"Du bist wieder ruhig, oder?", geht sie sicher, was ich bestätige. Ob ich wirklich ruhig bin kann ich nicht einmal sagen, aber ich weiß, dass ich viel zu kaputt bin, als dass sowas erneut geschehen könnte.

"Wie wäre es, wenn ich ein wenig Musik anmache? Du magst Musik, richtig? Du hast ja immer Kopfhörer dabei. Was möchtest du hören?"

Mein Herz macht einen Sprung. Ich kann nicht anders als zu Lächeln. "Das, was du gerne hörst", antworte ich und setzte mich auf den Boden, auch wenn zwei Dutzend Stühle in unmittelbarer Nähe sind. Der Boden hat einfach ein ganz anderes Feeling.

Langsam tapst sie zu mir und nimmt neben mir Platz. Schüchtern schenkt sie mir ein kleines Lächeln und neigt ihren Kopf dann von mir weg. Als nächstes greift sie nach dem Handy in ihrer Hosentasche.
Ich beobachte sie dabei wie sie eine Weile durch ihre Playlists auf Spotify scrollt, bevor sie sich für eine entscheidet.
Ehe sie auf Shuffle drückt, zieht sie noch eben ihre Kopfhörer aus dem Handy, sodass auch ich die Musik hören kann.

Ich schließe die Augen und genieße den Moment. Ich schaffe es mich intensiv auf die Musik zu konzentrieren. Alles drumherum kann ich problemlos ausblenden.
Das Lied klingt eher sanft und ruhig und passt somit perfekt zu Macy. Ganz meins ist es allerdings nicht. Trotzdem kann ich nicht anders als zu lächeln.
Dieser Augenblick ist einfach zu. perfekt.
Und auch wenn dieses Lied nichts für mich ist, würde ich kein Anderes hören wollen.

"Das ist einer meiner Lieblingssänger", verkündet Macy. "An manchen Tagen höre ich ihn rauf und runter"
Ich schlage die Lider auf und schaue sie fragend an, damit sie weiß, dass sie mehr erzählen soll.
"Sein Name ist Alec Benjamin.. und uhm..." Sie überlegt kurz.
"Das Lied heißt Change My Clothes."
Ich nicke kurz.

Obwohl es so schlecht gestartet ist, spüre ich zum ersten Mal eine richtige Verbindung zu Macy. Ich könnte mir vorstellen, dass wir auch außerhalb der Gruppe Freunde sein könnten.
Das Mädchen, dessen Musik ich höre, ist sie allerdings garantiert nicht. Von diesen Alec habe ich nämlich nie was gehört.

Ich bin nicht einmal enttäuscht, auch wenn das heißt, dass ich ganz von vorne starten muss.
Mein kleines Abenteuer wird wohl noch eine ganze Weile andauern, aber vielleicht ist das nichts Schlechtes.

Deine MusikWhere stories live. Discover now