Kapitel 28

655 30 11
                                    

"Charlotte?Lotte,bitte wach auf.",flüstert eine zaghafte Stimme und rüttelt an meiner Schulter.Ich stöhne auf und öffne das nicht zugeschwollene Auge leicht.Tobias schaut mich traurig an."Ich muss zur Schule." Ich rappele mich langsam auf und schleppe mich unter Schmerzen bis nach oben,wo ich mir das gröbste Blut aus dem Gesicht wasche und frische Kleidung anziehe.Dann gehe ich wieder runter und schleppe meinen Körper,der immer wieder nach Pausen ächzte zur Schule.Mal gut,dass es regnet,so konnte ich wenigstens die Kapuze tief ins Gesicht ziehen.Lediglich mein schleichender Gang verrät,dass etwas nicht ganz stimmen konnte.Mein Bruder ist heute besonders still,aber auch ich habe keine Lust auf eine Konversation.Ich muss schließlich meine Luft aufsparen zum Gehen.

Ich hebe leicht die Hand zum Abschied.Dann gehe ich  mehr oder weniger nach Hause.Meinem Chef schreibe ich,dass ich mich nicht gut fühle und zu Hause bleibe.Worauf direkt ein Genesungswunsch kommt und dass es vollkommen in Ordnung sei.Ich mache nicht viel.Die meiste Zeit sitze ich auf einem Stuhl und starre vor mich hin ohne mich anzulehnen.Ich habe nur das Blut weggewischt.Papa dürfte Arbeiten sein.

Ich warte vor Tobis Schule auf ihn.Er wird von seiner Lehrerin begleitet und auch Olis Kinder laufen neben ihnen.Ich schaue mich um und erkennd etwas weiter weg die Mutter der beiden.Ich stelle mich abseits hin und warte.Die Lehrerin kommt auf mich zu."Hallo,du musst also Chatlotte,Tobias große Schwester sein,oder?" "Hallo.Ja,die bin ich",erwiedere ich freundlich.Verdammt bin ich froh,dass es regnet.Sie schaut besorgt."Tobias erzählt nicht sonderlich viel,aber heute hat er dieses Bild gemalt und da mache ich mir doch Sorgen,ob alles in Ordnung ist.",kommt sie auf den Punkt und reicht mir ein Blatt.Darauf hockt eine Person auf dem Boden die Arme schützend über dem Kopf.Daneben eine weitere Person,die kein Gesicht hat und eine riesige Faust auf die hockende Person niedersausen lässt."Ich...Äh bin gestern beim Fern sehen eingeschlafen und er hat,als ich wach wurde einen Thriller geschaut.Da war wohl auch die Szene und er hat außerdem die Nacht nicht gut geschlafen deswegen.Albträume und so.Ich weiß,es hätte nicht passieren dürfen.",versuche ich mich raus zu reden,jedoch ohne Erfolg. "Dein Bruder redet wie gesagt nicht viel,aber er hat mir gesagt,dass das du  bist."Sie seufzt und deutet auf die hockende Person.

Mir stockt der Atem.Er hat gestern alles mitbekommen.Er musste mal wieder mit ansehen,was er mir angetan hat.Es ist mir von Anfang bewusst gewesen,dass er eines Tages nicht mehr damit klar kommt und es nicht verarbeitet bekommt."Schau mich mal an.",sagt sie freundlich.Ich wende meinen Blick noch stärker dem Boden zu und erkenne das Tobias sich hinter der Lehrerin versteckt.Wahrscheinlich aus Angst ich würde das gleiche wie unser Vater machen.Sachte nimmt sie zwei Finger und hebt mein Kinn an und streift mir meine Kapuze vom Kopf.Ich merke vereinzelte Tränen und sehe ihr erschrockenes Gesicht.Sie schaut eine Weile und lässt dann wieder los. Ich schlucke und zittere wieder. "Er hat mir nicht gesagt,wer die andere Person ist...Sagst du es mir?",fragt sie kurz darauf.Ich schüttel kaum merklich den Kopf. "Chatlotte bitte.Wer auch immer dir das angetan hat,gehört bestraft.Das ist doch kein Leben.Ihr tragt beide psychische Traumata davon und du auch noch physische.Es ist nur eine Frage der Zeit bis dieser jemand auch die Hand gegenüber deines kleinen Bruder erhebt..." Wieder schüttele ich den Kopf. "Wenn du es mir nicht so sagst,rufe ich erstmal die Polizei und einen Rettungswagen für dich." Sie holt das Handy aus der Tasche und tätigt den Anruf. "Tobias komm her.Dir passiert nichts." Ich breite meine Arme so gut es geht aus und er schmeißt seine Toni auf den Boden und umarmt,aber darauf bedacht nicht zu fest zu drücken oder den Rücken zu berühren."Es tut mir Leid.",schluchzt er und ich sinke auf die Knie mit ihm."Das muss es nicht.Ich hätte dir das alles nicht zumuten sollen.Entschuldige bitte.",flüstere ich und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn.Der Regen durchnässt uns zunehmends und unsere Tränen gehen darin unter.

Was habe ich nur getan?Ich habe ihm Schreckliches angetan...Mama,bitte verzeih mir,es tut mir Leid.Ich wollte ihn doch nur beschützen.Ich möchte doch nicht,dass ihm etwas passiert.Dabei habe ich es nur schlimmer damit gemacht.Ich bin eine Schlechte große Schwester.Ich habe mein Versprechen dir gegenüber gebrochen,ich habe Schuld an seinem Leiden.Bitte vergib mir.Ich werde mich rächen an mir selbst sobald sich die nächste Gelegengeit dafür bietet.Das kann ich wohl nicht mehr gut machen.Aber erstmal werde ich wohl andere Probleme zu lösen haben.

Stärke ist nicht angeboren!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt