Kapitel 4

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Am nächsten Morgen weckt mich die Sonne,die in unser Fenster scheint.Verschlafen blinzel ich und schaue zu Tobias rüber.Sein Brustkorb hebt und senkt sich gleichmäßig.Mit einem Seufzer lasse ich mich zurück ins Bett plumpsen und starre eine Weile an die Decke ohne einen konkreten Gedanken zu verfassen.Dann stehe ich auf und gehe mich umziehen. Von unten höre ich wie unser Vater im Wohnzimmer Fern schaut.

Mit einem Blick in den Spiegel stelle ich fest,dass mein Gesicht besser aussieht als gestern.Die kleinen Bläschen sind kleiner und blasser geworden und insgesamt habe ich eine angemessene Gesichtsfarbe.Lediglich ein blauer Fleck, an der Seitewo mein Vater mich getreten hat,besitze ich noch.

Unten angekommen frühstücke ich ein wenig und anschließend räume ich den Rest auf,wozu ich gestern einfach zu müde war.Auch mein kleiner Bruder ist mittlerweile wach und frühstückt.Danach geht er in unserem Zimmer spielen.

Die Klingel lässt mich von meinen Schulvorbereitungen aufsehen und zur Tür gehen. "Hallo",begrüße ich die zwei Polizisten außer Dienst."Hallo,Lotte.Habt ihr vielleicht Lust mit uns zum See zu gehen?",ergreift Paul das Wort. "Ich hab noch was zutun,aber wenn es euch nichts ausmacht,könntet ihr Tobi mitnehmen.Er wird sich bestimmt freuen.",erzähle ich ihnen mit einem Lächeln. Beide nicken. "Kommt doch eben rein.Ich hole ihn dann." Mit den Worten verschwinde ich nach oben,wo ich ihm beim fertig machen helfe und noch einen kleinen Rucksack packe. Freudestrahlend springt er runter auf die beiden Männer zu. "Na du kleiner Springfloh.",vegrüßt Robin ihn und nimmt ihn kurz hoch. Als sie das Haus verlassen,winke ich den anderen,die an der Straße im Schatten warten,kurz zu."Danke und passt mir ja gut auf den Kleinen auf." "Aber sicher doch!" Mit einem Lächeln ziehen die drei ihrer Wege.

Unschlüssig stehe ich an der Tür zum Wohnzimmer. Soll ich wirklich?Ich mein jetzt oder nie. Ich atme tief durch und spüre wie mein Herz bis zum Hals schlägt.
Es ist schon später Nachmittag und gleich sollten die anderen wieder kommen,doch vorher sollte ich wohl mal mit Papa sprechen.Also deswegen stehe ich hier und habe Angst.Ich habe Angst vor meinem eigenen Vater,Angst im eigenen Zuhause,Angst um mich,Angst um meinen Bruder.Ich fühle mich Unwohl und fremd,obwohl ich in diesem Haus groß geworden bin,aber seit Mama letztes Jahr an Krebs gestorben ist,hat sich vieles verändert und damit meine ich nicht nur das Verhältnis zwischen unserem Vater und uns,nein,auch das Verhältnis zwischen mir und meinem Bruder.Ich übernehme jetzt nicht nur die Rolle der großen Schwester,sondern auch die der Mutter.Allerdings hat Mama auch immer so viel Leben ins Haus gesteckt.Überall hatte man das Gefühl geborgen zu sein.

Ich trete ein.Mein Vater sitzt auf dem Sofa,schaut Fern und tippt zeitgleich auf seinem Handy.Mal ehrlich warum lässt man dann beides laufen?Naja,das ist ein anderes Thema. Er schaut noch nicht mal auf. Ich räuspere mich."Ähm....Ich ....Also..." "Komm zum Punkt.",sagt er genervt. "Ich finde es nicht okay wie du mich behandelst.Ich kann schließlich nichts dafür,dass Mama nicht mehr da ist oder ich eben aussehe wie ich eben aussehe.",gebe ich von mir.Erleichtert darüber sein,dass ich es ausgesprochen habe,kann ich nur kurz sein,denn sofort überkommt mich wieder die Angst.Ich senke den Blick. "Natürlich kannst du nichts dafür",beginnt er ruhig,zu freundlich für seine Art,befremdlich fast schon sorgenvoll."Aber versteh mich doch mal." Seine Stimme fängt an zu beben und er erhebt sich vom Sofa und steht bedrohlich nahe vor mir. "Jeden Tag muss ich dir in die Augen schauen und sehe deine  Mutter in dir.Ich kann doch auch nicht dafür,aber es tut so verdammt weh und dann werde ich wütend darüber,dass ich ihr nicht helfen konnte.Aber weißt du was,wenn du es abfängst,tut es so gut.Es fühlt sich gut an.Ich habe das Gefühl so könnte ich deiner Mutter zeigen wie sehr sie mich verletzt hat.Du wirst für sie büßen!",schreit er schon fast. "Aber...Was kann ich denn dafür,was Mama gemacht hat?Außerdem tust du mir weh,Verstanden?Mama fehlt nicht nur dir!Sieh es endlich ein.Ich will meinen Vater zurück,der du mal warst!" Er sieht mich an und in seinem Blick spiegelt sich so viel Hass und Wut,dass ich es mich zwei Schritte von ihm entferne. "Den gibt es nicht mehr und wenn du es wagst,auch nur ein einziges Mal,nochmal so mit dir zu sprechen,dann....dann wirst du deines Lebens nicht mehr froh!" "Das werde ich auch so nicht.Also was hast du dann vor?Mich wieder ins heiße Wasser zu döppen?Oder mich direkt darin zu ertränken?Du solltest das doch wissen,dass sowas eine ziemlich saftige Strafe nach sich zieht,wenn es jemand raus findet",rufe ich aufgebracht. "Und deshalb wirst du und dein kleiner Bruder auch eure verdammten Mäuler halten,ansonsten kann ich für nichts garantieren!" Er holt aus und schlägt mir ins Gesicht. Ich stehe zitternd da und er setzt sich wieder. Es klingelt. "Wirst du dann mal endlich gehen?!",blafft er mich dämlich von der Seite an. Ich nicke und merke,dass ich Nasenbluten habe.

"Was mit dir denn passiert?",fragt Robin sorgenvoll und schiebt mich rein.Er begrüßt meinen Vater knapp und bringt mir ein Tuch und ein Kühlpack."Das...Das hab ich schonmal.Ist nicht so schlimm."Er schaut mich etwas komisch an,nimmt es aber so hin.Was sollte er auch anderes sagen. Tobi ist wieder im Zimmer spielen und Robin erzählt vom Tag am See.Die anderen sind anscheinend schon vor gegangen.Papa gesellt sich später dazu und die beiden quatschen nun über alte Zeiten im Dienst.Das Nasenbluten hat schon längst auf gehört und ich fange schon an Abendessen für Tobi zu machen als Papa Robin verabschiedet. Er schaut mich nochmal durch dringend an und verzieht sich in sein Zimmer,weil er am nächsten Tag Frühschicht hat. Mein kleiner Bruder ist schon ziemlich müde und gähnt immer wieder während er isst,sodass auch danach ins Bett geht.Ich selbst lasse das Abendbrot weg und sitze nun heulend draußen auf einem der Stühle mit einer Decke bestückt und genieße die kühler werdende Luft,das zirpen der Heimchen im Gras,das treiben von Fledermäusen am Himmel.

Irgendwann sitze ich nur noch da und starre die Sterne an.In der Hoffnung Mama wäre einer von ihnen.Ich muss mich von meinen Hoffnungen befreien,dass Mama da oben sei und dass Papa wieder zur Vernunft komme und unserer richtiger Vater werde. Mit einem Seufzer begebe ich mich ins Bett und schlafe recht schnell ein.

Stärke ist nicht angeboren!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt