We are never Safe

By VivianGrant

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»Du kannst dich verstecken, versuchen zu fliehen oder kämpfen. Egal, für was du dich auch entscheidest: Du bi... More

|Widmung|
|Prolog|
|Kapitel 1 - Gefangen|
|Kapitel 2 - Kristallklar|
|Kapitel 3 - Verzweiflung|
|Kapitel 4 - Distanz|
|Kapitel 5 - Erniedrigung|
|Kapitel 6 - Entscheidung|
|Kapitel 7 - Leben|
|Kapitel 8 - Sterben|
|Kapitel 9 - Erinnerungen|
|Kapitel 10 - Stolz|
|Kapitel 12 - Abschied|
|Kapitel 13 - Wiedersehen|
|Kapitel 14 - Dunkelheit|
|Kapitel 15 - Misstrauen|
|Kapitel 16 - Gespräche|
|Kapitel 17 - Funken|
|Kapitel 18 - Verbündete|
|Kapitel 19 - Leere|
|Kapitel 20 - Verschwimmen|
|Kapitel 21 - Antworten|
|Kapitel 22 - Fürsorge|
|Kapitel 23 - Fortschritte|
|Kapitel 24 - Verloren|
|Kapitel 25 - Lichtermeer|
|Kapitel 26 - Offengelegt|
|Kapitel 27 - Schrecken|
|Kapitel 28 - Lasten|
|Kapitel 29 - Überzeugung|
|Kapitel 30 - Berechnend|
|Kapitel 31 - Umdenken|
|Kapitel 32 - Countdown|
|Kapitel 33 - Fünf|
|Kapitel 34 - Vier|
|Kapitel 35 - Drei|
|Kapitel 36 - Zwei|
|Kapitel 37 - Eins|
|Kapitel 38 - Null|
|Kapitel 39 - Fehler|
|Kapitel 40 - Angelfall|
|Kapitel 41 - Antwort|
|Kapitel 42 - Gefühle|
|Kapitel 43 - Verlassen|
|Kapitel 44 - Wunden|
|Kapitel 45 - Grenzen|
|Kapitel 46 - Sünden|
|Kapitel 47 - Endlichkeit|
|Kapitel 48 - Dämon|
|Kapitel 49 - Weg|
|Kapitel 50 - Hölle|
|Epilog|
|Danksagung|
|Zusatzmaterial: Skara|
|Namensglossar|

|Kapitel 11 - Scham|

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By VivianGrant

Kenshin steht mit verschränkten Armen und hochgezogener Braue an einer Hauswand und beobachtet mich prüfend. Wie gewöhnlich schweigt er, um mich zum Sprechen zu bewegen und die unangenehme Stille zu durchbrechen. Und natürlich falle ich wieder darauf herein.
»Du hättest mir ruhig helfen können«, bemerke ich kalt und klopfe mir den Staub von den Klamotten. »Immerhin könnte ich jetzt tot sein.« Die Masche zieht bei ihm nicht. Auch nichts ungewöhnliches.

»Bist du aber nicht.«
»Richtig. Aber das ist nicht dein Verdienst«, knurre ich und verschränke ebenfalls die Arme. Kenshins Augenbraue wandert noch ein kleines Stückchen höher. Ich hasse diesen Gesichtsausdruck an ihm. Er analysiert mich, versucht meine Gedanken zu erraten und zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen, um mich in die Enge zu treiben.
»Dieser Kerl hätte dir nichts getan und das wissen wir beide. Außerdem habe ich dich perfekt ausgebildet. Du kommst auch ohne mich zurecht.« Ich lache trocken.
»Ach was? Jetzt traust du mir plötzlich so viel zu, nachdem du mich vor dem Glatzkopf wie den letzten Schwächling hast da stehen lassen!«

»Ich wollte keinen unnötigen Ärger«, erwidert er grimmig, was mir gewaltig auf die Nerven geht. Ständig werde ich unterschätzt, ständig wird auf mir herumgehackt und ständig mischen sich andere Leute in mein Leben ein. Ich habe das alles so satt.
»Du hättest auch keinen verdammten Ärger bekommen! Das war allein meine Sache. Meine verdammte Entscheidung! Du hättest dich nicht ungefragt einmischen dürfen!«, fauche ich und bewirke endlich eine Gefühlsregung bei dem dunkelhaarigen Mann. Seine Augen verengen sich, während eine Ader auf seiner Stirn zu pochen beginnt.

»Hörst du dich eigentlich selbst reden?!«, bellt Kenshin verärgert. »Hörst du nicht wie unvernünftig du geworden bist! Gott, Lyra ich erkenne dich in letzter Zeit überhaupt nicht wieder. Du wärst den Typen nur wegen eines dummen Spruchs beinahe angefallen.« Ich knirsche mit den Zähnen, bleibe aber stur. Ich lasse mich nicht länger beleidigen. Von niemandem!
»Und wenn schon. Einer weniger schadet keinem.« Kenshin schnappt erstaunt nach Luft. Er scheint ehrlich von mir schockiert. Die eine Hälfte in mir möchte sich sofort entschuldigen und um Verzeihung bitten. Die andere würde am liebsten noch eins obendrauf setzen.

Ich bleibe stumm. Beobachte. Warte ab.
»Die Lyra, die ich ausgebildet habe, hätte das nie gesagt. In ihren Augen habe ich nie diese blanke Mordlust gesehen, wie in deinen vorhin! Sie wäre auch nie blindlings Lorcan Befehlen gefolgt oder hätte sich ihm aufgedrängt.« Der Zorn kehrt zurück. Kochend heiß brennt er in meinen Adern, während mir so einiges klar wird. Meine Schultern straffen sich, während ich unbewusst einen Schritt auf ihn zumache.
»Ach darum geht es hier also! Es passt dir nicht, dass ich in die innere Stadt aufbreche.« Kenshin holt tief Luft, dann entweicht ihm ein Seufzer.
»Nein. Ehrlich gesagt passt mir das ganz und gar nicht.«

»Ich glaube es einfach nicht.« Das schrille Kichern entweicht mir noch, bevor ich es zurückhalten kann. Es klingt irre. Mein Mentor wirkt ungerührt. »Du warst es doch, der mich dazu gedrängt hat, einen guten Auftrag von Lorcan zu bekommen. Du hast mich erst zu ihm gebracht! Und jetzt wo ich meiner Schwester endlich wieder etwas halbwegs Nahrhaftes auf den Tisch stellen kann, sodass sie nicht verhungert, sagst du mir ich soll es lassen. Ich verstehe dich einfach nicht!«
»Es geht dir also nur um Skara.«
»Nein, um die Ratten in der Kanalisation.« Kenshin ignoriert meinen Sarkasmus einfach. Seine dunklen Augen bohren sich in meine sturmgrauen. Er glaubt mir nicht. Natürlich glaubt er mir nicht. Aber das interessiert mich nicht.

»Du kannst mich sowieso nicht mehr aufhalten. Ich werde gehen und das weißt du auch. Ich habe ohnehin keine Wahl mehr.« Ohne es zu wollen klinge ich zum Schluss wehmütig. Außerdem steigt Scham in mir auf. Scham, da ich alle Menschen um mich herum enttäusche. Du bist ein Monster, höre ich erneut Skaras Stimme in meinem Geist. Ein Monster.

Ein verdammtes Monster.
Ich schüttele über mich selbst den Kopf. Selbst wenn. Lieber ein Monster als tot. Lieber mit fremden Blut bedeckt als im eigenen ertrunken. Doch natürlich versteht Skara das nicht. Sie hat niemanden ein Versprechen gegeben, einen anderen Menschen mit seinem Leben zu beschützen. Sie kann nicht wissen, wie ich mich fühle oder was in mir vorgeht. Sie würde es nie verstehen. Das tut niemand, solange er nicht in der selben aussichtslosen Lage ist. Ich muss es tun.
Entschlossen balle ich meine Hände zu Fäusten und recke herausfordernd das Kinn.
»Wie ich sehe hast du deine Wahl getroffen«, höre ich Kenshin durch den dichten Nebel aus Gedanken zu mir durchbrechen. Er spricht völlig emotionslos.

»Wahl? Wohl kaum. Die hatte ich nie.« Wenn ich erneuten Widerspruch erwartet habe, so enttäuscht mich mein Mentor. Er versucht nicht länger an mein Gewissen zu appellieren, versucht nicht länger mich umzustimmen. In seinen Augen steht blanke Gleichgültigkeit. Ich zeige ihm nicht, wie sehr mich das eigentlich trifft. Wie er bleibe ich ohne jegliche Gefühlsregung.

»Wir sind spät dran«, wechselt der Mann mit den asiatischen Wurzeln abprubt das Thema. »Lorcan erwartet uns und wir sollten ihn nicht länger warten lassen.« Mein Mentor, der sich mittlerweile wieder seines Mantels bemächtigt hat, stößt sich von der Hauswand ab und setzt seinen Weg fort. Er sieht nicht zurück, ob ich ihn folge, was mich insgeheim fuchsteufelswild macht. Wie sein kleines Schoßhündchen trotte ich hinter ihm her, bis wir endlich Lorcans Versteck erreicht haben.
Ich höre auf leise vor mich hinzufluchen, als die Türen zu seinem Hauptquartier aufgestoßen werden und Valerian in mein Blickfeld tritt. Lorcan steht keine zwei Meter hinter ihm. Wie immer ist das Licht hier drinnen nur dürftig, sodass man nur schemenhaft etwas erkennen kann. Warum Lorcan diese Art von Beleuchtung bevorzugt wird mir immer ein Rätsel sein. Lorcans Mund verzieht sich zu einem abscheulichen Grinsen, was wohl Freude nahe kommen soll.

»Lyra, wie schön dich zu sehen«, strahlt er über beide Ohren. Er wirkt vollkommen verändert, was wohl daran liegt, dass er mich jetzt braucht. Wie schnell sich die Dinge doch ändern können. Von unserer kleinen Verspätung ist nicht die Rede. »Ich hoffe du bist fit, nach unserer kleinen … Auseinandersetzung gestern.« So kann man das auch nennen. Mordversuch wäre passender. Aber ich halte den Mund.
Ich nicke lediglich, während mein Blick zu Kenshin fliegt, doch der sieht gegen die nächstbeste Wand und ignoriert mich damit komplett. Lorcan folgt der Bewegung meines Kopfes und lacht lauthals.
»Welche Laus ist dir denn heute wieder über die Leber gelaufen? Erträgst es wohl nicht, wenn sie erwachsen werden, was?«

Kenshin schweigt, was das Oberhaupt der Schatten noch positiver stimmt.
»Spielverderber. Hör nicht auf ihn, Lyra. Er war schon immer so, wenn ihm etwas nicht passte. Nicht wahr, Kenny?« Erneut sehe ich zu meinem Mentor, doch der bleibt stumm. Nicht einmal sein neuester Spitzname kann ihn aus der Reserve locken. Valerian sieht mich irritiert an und formt mit seinem Mund: »Was ist passiert?« Nicht das noch. Genervt zuckte ich die Achseln und versuche ihn auszublenden.
Lorcan fährt sichtlich belustigt fort.

»Wie dem auch sei, du Miesepeter. Hier sind die versprochenen letzten Details, die du wissen solltest, Lyra.« Er drückt mir einen vorn und hinten beschriffteten Zettel in die Hand, welcher sich als handgezeichneter Gebäudeplan entpuppt. Ein Raum ist mit einem großen roten Kreuz versehen. Noch klischeehafter geht es nicht.
»Wie gestern bereits besprochen, wird dich Val durch die Kanalisation direkt unter das DCD bringen. Das Labor ist auf Ebene neun, die Krankenstation auf zehn. Die Ratsmitglieder, unseren Spion eingeschlossen, leben auf Ebene acht und Hemingway ist mit ihren Leibwachen auf Stockwerk zwölf vertreten. Du dürftest also weder ihr noch deinem Vater in die Quere kommen.«

Bei dem Gefanken an Raphael Farang steigt bittere Galle in mir auf. Wenn ich meiner Mutter nur etwas Glauben schenken darf, ist er der schrecklichste und grausamste Mensch der je gelebt hat. Kein Wunder, dass sie ihn noch vor Skaras Geburt verlassen hat.
»Was befindet sich auf Ebene elf?«, erkundige ich mich schnell, um meine finsteren Gedanken zu vertreiben und stoße dabei auf Zähneknirschen Lorcans.

»Wir wissen es nicht«, schaltet sich Valerian ein, bevor Lorcan mir eine Antwort geben kann. »Wir wissen nur, dass dieser Gebäudesektor besonders stark gesichert ist und niemand Zutritt erhält. Er ist auf keiner Karte verzeichnet. Unser Spitzel konnte noch nichts genaueres darüber herausfinden. Wir hoffen, dass er gestern Nacht mehr in Erfahrung bringen konnte.« Also ein weiteres Geheimnis der Regierung, welches es zu lüften gilt. Ich nicke verstehend und das Oberhaupt fährt fort. Er wirkt nun um einiges angespannter.
»Zugang zu allen Etagen bekommst du über das Lüftungssystem des Komplexes. Bis Ebene acht geht es ununterbrochen nach oben. Eine entsprechende Vorrichtung konnte bereits angebracht werden.
Alles höher gelegene wird separat gespeist und ist nicht an die alten Schächte gebunden. Weiter kommst du also nicht.« Ich nicke erneut, obwohl ich die vielen Informationen kaum verarbeiten kann.

»Gut. Dein Zielobjekt heißt Reeves. Sein Zimmer ist bereits markiert und unmittelbar an die Lüftungsschächte gekoppelt. Da er nicht weiß, dass du kommst und ich dir aus Sicherheitsgründen, solltest du erwischt und gefoltert werden, keine genauere Beschreibung von ihm geben kann, musst du auf deine Instinkte vertrauen. Wenn er wichtige Informationen hat, kommst du sofort zurück, ohne Umwege und erstattest Bericht. Auftrag abgeschlossen.«

»Und wenn nicht?«, hake ich nach, sicher, dass mir diese Option weit weniger gefällt. Das Gesicht des Dunkelhäutigen ist ernst.
»Dann bringst du ihn hier her zurück. Es wäre sinnlos ihm länger dieser Gefahr auszusetzen, wenn er keine Resultate bringt. Er ist einer meiner besten Schatten. Ihm darf unter keinen Umständen etwas geschehen.« Er verschweigt mir etwas. Da steckt eindeutig mehr dahinter. Ich sehe es in seinen Augen. Trotzdem riskiere ich es nicht nachzufragen. Ich verrate ihn schließlich auch nicht alles. Doch etwas irritiert mich.

»Wieso kommt er denn nicht einfach selbst? Die Karte stammt, nehme ich an, von ihm. Er kennt also die besten Wege. Außerdem hat er allem Anschein nach, erst gestern noch Bericht erstatten können. Also weshalb jetzt nicht mehr?«, forsche ich bedächtig nach. Nun ist es Valerian, der meinem Blick ausweicht, während Lorcan noch grimmiger wirkt. Von Kenshin geht kein Ton aus.

»Weil heute nichts mehr so ist wie gestern«, brummt er kurz angebunden.
»Aber warum? Ich verstehe nicht.«
»Hoffen wir einfach, dass du es nicht herausfinden musst. Und jetzt …« Er gibt Valerian ein Zeichen, der sich daraufhin in Bewegung setzt. Zeit zu gehen. Oder zu sterben.
Kurz bleibe ich neben Kenshin stehen. Streit hin oder her. Ich habe ihm alles zu verdanken.
»Pass bitte auf meine Wohnung auf«, flüstere ich und versuche nicht an Skara zu denken, die ich in ihrem Zimmer eingesperrt habe. Sie ist die Einzige, die mir noch geblieben ist. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn etwas zu Bruch gehen würde.« Natürlich versteht er den Wink mit dem Zaunpfahl. Trotzdem schenkt er mir nichts weiter, als ein angedeutetes Nicken.

»Komm.« Ich folge Valerian, der mir bereits die wuchtige Tür aufhält.
»Viel Glück«, kommt es noch von Lorcan, dem ich so viel Feingefühl überhaupt nicht zugetraut hätte. Doch natürlich holt er sofort nach dem Zuckerbrot mit der Peitsche aus. »Du hast eine Woche. Bist du oder Reeves bis dahin nicht zurück, wissen wir, dass ihr beid tot seid.« Tot.

Ich sehe nicht zurück, als ich gehe. Auf meinen Lippen liegt nur ein einfaches: »Verstanden.«

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