The Best Man

By agustofwind

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Der Tag der Hochzeit ist der Wichtigste im Leben einer Braut. Ein Tag voller Zuckerguss und schneeweißer Taub... More

0 | The Best Man
1 | Tag der Miserien
2 | Wo bin ich hier nur gelandet?
3 | Nicht die feine englische Art
4 | Dinner und Chaos
5 | Der Königssohn und der Bauernjunge
6 | Sisyphusarbeit vom Feinsten
7 | Eskalation der Geschehnisse
8 | Regenschauer als Eisbrecher
9 | Offenbarungen und Buchkritiken
10 | Das Janus-Syndrom
11 | Nerven wie Drahtseile
12 | Sir Evan und Lady Lexi
13 | Familienbande
14 | Der Tag ist gerettet
15 | Drama im Überfluss
16 | Margarets Fehler
17 | Das Blatt wendet sich
19 | Sehr viele Entschuldigungen
20 | In Retrospektive
21 | Zwei Jahre später
Danksagung

18 | Erkenntnis

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By agustofwind

Es gibt wirklich viele unpassende Zeitpunkte um zu erkennen, dass man verliebt ist.

Es kann auf der Autobahn geschehen, nach dem Blickkontakt mit einem Wildfremden auf der Überholspur.

Oder als Taucherin mitten im Marianengraben beim Erblicken einer seltenen Fischart, die einen an den Aquariumsbesuch vor zwei Wochen erinnert.

Kurz vor dem Verbluten, wenn der Sanitäter endlich das Zimmer betritt.

Aber nichts davon ist ansatzweise so schmerzhaft wie es zu erkennen, wenn er an den Lippen einer anderen Frau hängt.

Ich starrte auf die beiden, während ich plötzlich von einer ungewohnten Taubheit umgeben wurde.

Es fühlte sich an, als wären meine Beine zu schwach um mein Gewicht zu tragen und meine Arme zu schwer, um die Menge auseinander zu drücken und nach draußen zu rennen.

So blieb mir nichts anderes übrig als meine Augen auf die beiden zu fixieren und daran, wie Amelia jetzt beide Arme um seinen Hals legte.

Irgendwann brach Evan los und sah mich.

Sah mich mit verletzter Miene und dieser stummen Erkenntnis in den Augen, die immer dann erscheint, wenn es zu spät ist.

Amelia sah mich auch.

Endlich fand ich die Kraft mit umzudrehen und mich durch die Menge in den oberen Stock zu kämpfen, der wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen war.

Kein Raum dort oben war möbliert, und so ließ ich mich unter eines der Fenster sinken und starrte leer auf die unverputzte Mauer mir gegenüber.

Immer wieder spielte mir mein hinterfotziges Gehirn die gleiche Szene vor, Evan und Amelia eng umschlungen.

Sie hatten sogar gut zusammen ausgesehen.

Wahrscheinlich lag es daran, dass sie seiner Größe in irgendeiner Weise nachzukommen schien, im Gegensatz zu mir, die ich ihm gerade einmal bis zur Brust reichte.

Meine Gedanken kreisten um alles Mögliche, kehrten sogar einmal kurz auf den Verbleib meiner Verräterschwester zurück, aber wann immer mich eine Synapse daran erinnern wollte, was ich gerade eben unten auf der Tanzfläche erkannt hatte, würgte ich sie ab.

Daran zu denken würde es wahrer machen. Und ich wollte alles vergessen, was mit Evan zu tun hatte.

Ein paar Minuten blieb ich in der selben Position unter dem unisolierten Fenster sitzen und starrte auf meine Finger.

Schließlich, als ich mich gerade dazu entschieden hatte, Piper aufzusuchen und ihr wenn möglich die Haare aus der Kloschüssel zu halten (alles war besser als mit meinen düsteren Gedanken in dieser Gespensterwohnung zu verweilen), vibrierte mein Handy in meiner Tasche und ich war so erschrocken, das ich erst einmal ein paar Sekunden benötigte, um die Quelle des Lärms zu orten.

Katherines Name stand auf dem Display und seufzend hob ich ab.

"Lexi?", keuchte sie in mein Ohr. "Ich hatte Recht."

Ich seufzte. Gerade war ich nicht in der Laune mir ihre Belehrungen anzuhören.

"Kitty-Kat, ich kann jetzt nicht. Wir reden morgen." Ich wollte schon auflegen, aber da hatte sie bereits die Worte ausgestoßen, die mich für ein paar Sekunden paralysieren.

"Es geht um Amelia. Ich hatte Recht!"

"Was ist mit ihr?", fragte ich nun, und richtete mich auf.

"Weißt du noch unser Gespräch vorhin in Pipers Zimmer? Wir haben darüber gesprochen, dass Amelia wirklich seltsam sein muss, dass sie mit Evan Schluss gemacht hat und ihn nun wieder will."

Ich erinnerte mich klar und deutlich. "Du hast nach ihren Motiv gefragt."

"Woraufhin Piper etwas unbedacht geantwortet hat, das mich zum Denken angeregt hat."

"Was hat sie gesagt?"

Ich hörte Schritte im Hintergrund und dann einen dumpfes Geräusch. Katherine hatte sich wohl auf ihr Bett fallen lassen.

"Irgendwas mit impulsiven Frauenzimmern."

"Und?", fragte ich gespannt.

"Impulsivsein ist ein ziemlich eindeutiges Symptom", sagte sie mysteriös. "Ich habe mich in Amelias Zimmer geschlichen und habe ihre Sachen durchsucht, bis auf eine Apothekertasche gestoßen bin. Und jetzt rate mal, was drin war."

"Die Haut ihrer Erzfeinde?"

"Lexi, bleib mal ernst."

"Ich bin todernst."

"Auf jeden Fall", fuhr Katherine fort. "Dort drinnen sind reihenweise Psychopharmaka und zwar von einer wirklich starken Sorte."

Mein Herz begann schneller zu schlagen. "Und was—?"

"...bedeutet das?", beendete Katherine meine Gedanken. "Zuerst wusste ich nicht so recht, was ich mit der Information anfangen sollte und habe weitergesucht. Schließlich bin ich in ihrem Koffer auf einen doppelten Boden gestoßen."

So viel Perfidität hatte ich ihr überhaupt nicht zugetraut.

"Und was war dort drinnen?", fragte ich jetzt nervös.

"Müll", erwiderte Katherine und ich wollte schon enttäuscht sein, als sie hinzufügte: "Sehr aufschlussreicher Müll."

"Und zwar?" Musste sie sich jedes Wort aus der Nase ziehen lassen?

"Alles aus Zeitungen ausgeschnittene Papierfotos, wie man es aus diesen Psychofilmen kennt. Und alle waren von—"

"Evan."

"Genau", antwortete sie.

"Okay, und was bedeutet das jetzt?", fragte ich sie, nur weil der Verdacht, der mir gekommen war, viel zu schrecklich erschien.

"Sie ist besessen von Evan. Außerdem ist sie wirklich krank, sogar um einige Stufen stärker als Evan."

Ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. "Und das bedeutet?"

"Ich habe keine Ahnung, Lexi, aber ich würde Amelia von Evan fernhalten. Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorgeht, aber wenn man bedenkt, was sich alles in den Tiefen ihres Koffers verbirgt..."

Oh, verdammt. "Ich fürchte, dazu ist es zu spät."

Ich sprang sofort auf und hörte Katherine noch ziemlich übel fluchen, dann legte ich auf.

Mit ein paar Schritten hatte ich die große Oberetage durchquert und sprang über die Absperrung auf der Treppe.

Von Evan und Amelia war nirgendwo eine Spur und als ich selbst Piper in diesem Riesenclub nirgendwo finden konnte, riss ich panisch mein Handy aus der Tasche und wählte Evans Nummer.

Natürlich meldete sich eine freundliche britische Stimme mit: "Der gewünschte Teilnehmer ist derzeit nicht verfügbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton."

Ich stürzte aus dem Club über die zwei Parkplätze hinweg zu dem Pub, in dem die Bachelorparty von David stattfand.

Dort drinnen war die Lage noch viel übler, ich konnte kaum einen Schritt nach vorne tun, ohne irgendeinem von Davids zahlreichen Oxford-Freunden auf den Fuß zu treten.

Den Mittelpunkt der Party fand ich alleine in einer Ecke vor einem Whiskeyglas.

"David!", rief ich. "Was machst du hier?"

"Es ist alles so leer", murmelte er.

Ich wusste nicht ganz wovon er sprach, denn der Pub war um einiges voller als der unsrige. "Unsinn", erwiderte ich, wider besseren Wissens. "Sieh doch mal wie viele gekommen sind, um deinen Polterabend zu feiern."

Ich verschwendete wertvolle Zeit, aber ich konnte ihn auch nicht hier sitzen lassen wie ein trauriges Hündchen.

"Das meine ich nicht", nuschelte er. "Alles so leer ohne Piper."

Oh, wie süß. Ich musste lächeln. "Morgen ist es so weit, David."

Er nickte, eine Spur besser gelaunt.

"Hast du Evan wo gesehen?"

"Nein", gähnte er. "Das letzte Mal habe ich ihn vor zwei Stunden dort hinten gesehen." Er deutete auf den Ausgang. "Willst du ihm endlich sagen, dass du auf ihn stehst?"

Ich verschluckte mich. "Wie bitte?"

"Na, ist doch offensichtlich", lallte er. "Er mag dich und du magst ihn. Wo ist das Problem?"

"Das Problem, mein Lieber", sagte ich und entwendete ihm sein Glas, "ist, dass Evan gerade Amelia geküsst hat, die, wie ich aus zuverlässigen Quellen erfahren habe, an einer ziemlich schlimme Psychose leidet, und gerade mit Evan verschwunden ist."

"Das ist allerdings übel", murmelte David und rollte sich auf die Seite. Nur wenige Sekunden später konnte ich ein Schnarchen vernehmen. Ich verdrehte die Augen und deckte ihn mit seiner Lederjacke zu, bevor ich den Barkeeper anwies, ein Auge auf ihn zu haben.

Dann machte ich mich wieder auf die Suche.

Evan war nicht bei uns und auch nicht bei David.

Das bedeutete, dass er vielleicht irgendwo im Dorf verschwunden war.

Naja, Dorf war gut.

Es war eher eine einzelne Kirche, zwei Häuserreihen und eine Autobrücke, die nach London führte.

Großartig. Einfach genial.

Ich sprintete los, wobei mir die Träger meiner Sandalen unangenehm in die Haut schnitten. Laut meinem Handy war es inzwischen weit nach elf und wir würden um halb zwölf wieder abgeholt werden.

Das hieß ich hatte weniger als zwanzig Minuten um eine eventuelle Katastrophe abzuwenden.

Die Kirche war leer (Überraschung), die zwei Häuserreihen auch verlassen und schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als zur Autobrücke zu eilen, auf der sich zu dieser späten Stunde kaum noch ein Auto verirrte.

Und tatsächlich, zu meiner unbändigen Erleichterung erkannte ich zwei Gestalten weiter oben auf der Brücke.

Amelia und Evan.

Ich atmete tief ein und aus und machte mich daran, die letzten Meter zu meinem Ziel zu erklimmen.

Evan entdeckte mich zuerst. Er schien eher abwesend zu sein, während Amelia schnell auf ihn einredete.

"Lexi", sagte er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. War es Reue?

Amelia wirbelte sofort zu mir herum. "Du schon wieder. Kannst du nicht einfach das Feld räumen, wenn du verloren hast?"

"Entschuldige mal", meldete sich Evan hinter ihr zu Wort und sprang vom Brückengeländer. "Was meinst du mit 'verlieren'?"

Er war seine Anzugsjacke losgeworden und trug ein blütenweißes Hemd, das neben dem Mond den einzig hellen Flecken in dieser düsteren Umgebung darstellte.

Seine Augen ruhten auf mir und ich fragte mich unwillkürlich, was in seinen Gedanken wohl gerade vorging.

"Amelia, ich weiß alles", sagte ich laut und deutlich und kurz sah ich in ihren Augen Angst aufleuchten.

"Was meinst du?", höhnte sie. "Hast du endlich verstanden, dass Evan—"

"Ich weiß alles über deinen Zustand und warum du so besessen mit Evan bist."

Sie machte ein paar Schritte auf mich zu und wirkte in diesem Augenblick wahrlich furchteinflössend.

Evan sah verwirrt zwischen uns beiden hin und her. "Wovon sprichst du?"

Amelia drehte sich schlagartig wieder zu ihm um, als hätte sie vergessen, dass auch er Zeuge unseres Gesprächs war.

"Vergiss sie", sagte sie und ihre Augen flackerten wild. "Sie ist eifersüchtig und will uns auseinanderbringen."

"Evan", setzte ich erneut an. "Amelia ist besessen von dir. Sie sammelt ausgeschnittene Bilder von dir, die sie in ihren Koffer versteckt. Ich glaube, sie ist krank."

Amelias Blick war in den Sekunden in denen ich diese Worte ausgestoßen hatte, immer dunkler geworden und jetzt kreischte sie: "Lügnerin! Du bist nur eifersüchtig!"

Sie wollte auf mich losgehen, aber Evan hielt sie geistesgegenwärtig an ihren Oberarmen fest und so trat und wand sie sich so lange, bis er sie zu sich umdrehte.

"Stimmt das, Amelia?", fragte er langsam.

"Nein", stritt sie sofort ab. "Glaub ihr nicht. Sie ist die Verrückte."

Ich lachte ungläubig. "Ich? Du bist hier diejenige, die Evan ständig umschwänzelt, nicht ich."

"Eifersüchtig, eifersüchtig, eifersüchtig", sang sie und als Evan und ich und über ihren Kopf hinweg schnell ansahen, wusste ich, dass er verstanden hatte.

"Bist du deshalb hierher zurückgekommen?" Er schob sie eine Armlänge von sich weg und betrachtete sie prüfend.

"Evan!", schrie Amelia. "Ich habe immer dich geliebt. Immer dich. Und du musst mich auch geliebt haben, weil du immer auf mich gewartet hast!"

"Ich habe mit dir in der Sekunde abschlossen, als du mit McVey über alle Berge verschwunden bist."

"Das war ein Fehler", sagte sie jetzt, ihr Blick kurz auf ihm und dann kurz auf mir. "Ich wollte dich testen, wollte wissen wie stark du bist." Sie legte eine an Hand auf seinen Oberarm. "Wir beide, wir sind gleich."

"Nein, seid ihr nicht", sagte ich kalt. "Evans Charakter wird nicht durch seine Krankheit definiert, selbst wenn es für dich so erscheint. Er ist tapfer, edelmütig, sogar großzügig. Er hat in den vergangenen Tagen so unendlich viel Gutes getan und sich nicht von seiner Erkrankung als verlorener Fall abstempeln lassen."

Evan sah mich wieder an und diesmal erwiderte ich seinen Blick so lange, bis ich glaubte, nie wieder etwas anderes sehen zu wollen.

Es war plötzlich unheimlich ruhig auf der Brücke und zuerst realisierte ich überhaupt nicht, dass Amelia weinte.

Ihr schlanker Körper wurde von Schluchzern geschüttelt und ich betrachtete sie hilflos.

"Ich– ich habe verstanden", brachte sie zwischen zwei Schluchzern hervor. "Es tut mir leid. Du kannst mich loslassen."

Zögernd löste Evan seine Hände von ihren Oberarmen und sie umklammerte hastig das Brückengeländer, als würde sie sonst den Halt verlieren.

Ich wandte meinen Blick verlegen von ihr ab, da ich es hasste, mich im Unglück anderer zu laben.

Ein Fehler, wie ich später erkennen würde.

Ich hörte, wie Evan etwas schrie und dann verlor ich das Gleichgewicht, als mich zwei Hände erstaunlich geschickt über das Geländer stießen.

Und ich fiel und fiel und fiel, bis ich im kalten Wasser aufkam und das Bewusstsein verlor.

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