Noahs P.O.V.:
Dad und ich saßen uns am Küchentisch gegenüber und fochten wortlos ein Blickduell aus, während Mom mit Wes herumalberte.
Malcolm hob seine Gabel und rammte sie in sein Fleisch. Also das auf seinem Teller.
Ich hätte gerne gewusst, ob er jetzt versucht hätte, ein Stück ohne Hinzusehen abzuschneiden, oder ob er weggeguckt hätte.
Aber da klingelte es und er wechselte schnell seinen Gesichtsausdruck.
Von Ich-bin-dein-Vater-ich-gewinne-immer-gegen-dich zu Ich-bin-dein-Vater-und-du-musst-dich-meinen-Befehlen-beugen.
"Noah, mach die Tür auf."
Seufzend stand ich auf und ging zur Haustür.
Dad konnte mich mal, ganz ehrlich.
Er .... er ... arrgh!
Es war Blue, und er sah nicht gerade happy aus.
"Komm rein. Bevor Dad dich gleich wieder wegschicken kann", flüsterte ich.
Er umarmte mich kurz (mit einem "Hey, Cutie") und ich klammerte mich an ihn. "Ich ... Dad, er ... das ist alles so mies!"
Blue war wie ein großer Bruder oder der beste Kumpel, den man sich vorstellen konnte, für mich, deshalb ließ ich ihn auch nicht los.
Er klopfte mir tröstend auf den Rücken. "Erzähl's mir gleich. Nicht jetzt", flüsterte er mir dann ins Ohr und setzte mich wieder ab.
Ich war erst verwundert, aber dann bemerkte ich Dad, der im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnte, und der Blue in seinem dunkelblauen Pulli mit der Muppet Show Band musterte.
Und seine Haare. Und seine enge, rote Hose.
"Hallöchen", grinste Blue.
Man konnte Dad ansehen, dass er sich nicht freute, aber er schmiss meinen Kumpel wenigstens nicht wieder raus.
"Komm rein."
Wir gingen wieder in die Küche. "Ich ess noch schnell auf, okay?"
"Jaja, klar."
Wes starrte Blue an, als wäre er gerade mit einer vierstöckigen Torte aus einem UFO gestiegen und hätte das Glaubensbekenntnis auf Japanisch gebetet.
"Hi", sagte Blue zu Mom und ihm.
"Bist du jetzt wirklich schwul? Noah hat das nämlich gesagt!"
"Das war reinster Sarkasmus gewesen, aber gut, verdreh die Tatsachen", murmelte ich, während ich ein paar Erbsen aufpikste.
Schon wieder so ein dummes deutsches Gericht.
Blue wurde nicht einmal rot, als er leise lachend "Nein" antwortete.
"Gut, weil Dad meinte, dass es doch wirklich unakzeptabel wäre, wenn du mit Noah rummachen würdest. Besonders beim Sex. Er hat gesagt, als ich gefragt hab, wie das denn gehen soll, dass einer seinen- mrrgh! Mh-mrghg!"
Malcolm hielt Wes den Mund zu. "Geh auf dein Zimmer, Wesley! Sofort! Kein Wort mehr!"
Ich war fertig, packte Wes' Hand und zog ihn mit mir mit. "Komm, Blue. Und danke, Dad, dass du so denkst. Blue ist mein Freund, aber mehr nicht. Sei ganz beruhigt."
Mann, war ich sauer.
Blue kicherte. "Schätzchen, seit wann bist du denn schwul?"
"Ey, bitte, bitte, kann ich zu euch ins Zimmer? Mir ist langweilig!", quengelte mein kleiner Bruder, während er versuchte, sich loszumachen.
Ich wollte gerade Nein sagen, aber Blue fiel mir in den Rücken. "Klar."
"Cool!"
Wir setzten uns also alle drei auf mein Bett. Ich nahm mein Kopfkissen und schlang meine Arme darum.
"Also stimmt das, was Dad erzählt hat? Dass die das ... mit dem Po?" Wes grinste uns breit an.
Blue lachte laut auf und nickte. "Ja ... oh Mann! Wes! Weißt du eigentlich, wie peinlich das für Malcolm da unten war?!"
"Ist doch egal! Aber ... Mann, das ist ja cool! Also können Männer auch- "
Ich unterbrach ihn. "Ja, Wes. Und jetzt hau ab, ich will Blue noch was erzählen, was du nicht unbedingt mitbekommen sollst!"
"Uouh! Oder wollt ihr das jetzt ausprobieren, ob Sex mit dem Ar- "
"WES! HAU AB!" Er sprang vom Bett, fasste sich dann aber schnell wieder und streckte mir die Zunge raus und haute sich zweimal auf den Po. "Jetzt hab ich gehauen! Und übrigens, Blue will aber, dass ich bleibe."
"Will er nicht", sagte Blue. "Blue wäre auch sehr erfreut, wenn du gehen würdest."
"Ach, kommt schon, ich bin auch ganz lei- "
Blue packte ihn, hob ihn hoch und trug ihn in sein Zimmer.
Als er wiederkam, schloss er meine Tür von innen ab.
Dann sah er mich besorgt an. "Was ist los?"
"Dad verbietet mir den Wettbewerb." Ich knautschte mein Kopfkissen zusammen und schluckte. "Und meine Gitarre hat er mir auch weggenommen."
"Oh, scheiße. Aber wenn schon, dann leihen wir uns eine aus der Schule und fahren heimlich hin!"
"Und die Einverständniserklärung?"
"Deine Mom muss sie halt unterschreiben." Er lächelte mich zuversichtlich an. "Wir schaffen das schon, okay?"
Ich nickte. "Warum bist du hier?"
Gleichzeitig fiel mir Schritt Fünf meines und Elodies Plans wieder ein.
"Mike hat ... er hat mich geküsst." Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Und ich hab ... erwidert."
Das letzte klang ziemlich dumpf und ich brauchte einige Sekunden, weil ich überlegte, was genau er gesagt hatte.
"Ist das nicht gut?", fragte ich dann.
JAA! SCHEIßE, DASS WAR MEGA GUT!
"Nein ... ich bin doch nicht in ihn verliebt ... und ich hab ihm wehgetan, glaube ich."
Ich legte einen Arm über seinen Rücken. "Bist du in wen anders verliebt?"
"Vielleicht ... glaub nicht ... oder vielleicht doch, ich- ach, keine Ahnung. Du?"
OH. BITTE.
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich ... nee."
Sehr überzeugend klang das aber nicht.
"Sollen wir morgen was unternehmen? Schwimmbad oder so?"
"Okay, schwimmen. War ich schon lange nicht mehr."
Am nächsten Nachmittag klingelten Ello und ich bei Blue, mit unseren Fahrrädern.
Mike hatte partout nicht mitgewollt.
Blue machte mit roten Augen auf und presste seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
"Was ist los?" Besorgt sahen wir ihn an.
Er schluchzte auf.
"Mom ... will wegz-ziehen und i-hich w-will doch nicht weg h-hier!"
Sue kam an und legte ihrem Sohn eine Hand auf den Rücken. "Sweetie, das ist doch nicht weit weg. Dartford ist wirklich nicht die Welt." Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und gab ihm seine Sporttasche.
"Ich liebe dich, ja? Außerdem steht es noch gar nicht wirklich fest- "
"Klar, Matt hat doch Ja gesagt!"
Blue lief an uns vorbei nach draußen.
"Tschüss!"
Als Blue sein pinkes Mountainbike endlich abgeschlossen hatte, betraten wir das Schwimmbad New Chiswick Pool.
Es war voll cool hier.
Und voll voll.
Aber das hieß auch: viele Jungs für Blue.
Blue und ich warteten vor den Damenduschen darauf, dass Elodie endlich mal rauskam.
Ich hatte ihr extra gesagt, dass sie langsam machen sollte, aber soo langsam war dann doch etwas übertrieben.
"Endlich", seufzte Blue, als sie dann mal vor uns stand.
"Was denn? Ich bin ein Mädchen, ich darf das! Und ich musste erst gucken, ob mein Make Up wasserfest ist."
Blue rollte mit den Augen und zog uns dann mit zu den Sprungtürmen. "Kommt!"
"Also, ich springe nicht", sagte Elodie und blieb stehen.
"Wieso denn nicht?! Bist du doch sonst auch immer!"
Ich sah möglichst unbeteiligt zum Becken und versuchte, nicht zu lachen.
"Nachher verliere ich noch mein Bikini-Oberteil! Oder willst du das etwa?!"
Unser Kumpel seufzte tief. "Dann halt nicht. Kommst du wenigstens, Noah?"
Was tat man nicht alles, um seinen Freund davon zu überzeugen, dass Jungs nicht so kompliziert waren. Ich nickte und schluckte.
Ich hasste springen. Drei Meter waren einfach zu hoch.
Als Blue aber begeistert "Oh, der Fünfer ist ja offen!" rief, rutschte mir das Herz fast in die Hose.
Ach. Du. Scheiße.
Ich warf Elodie einen verzweifelten Blick zu. Rette mich, Mädel!
"Eh ... Noah! Noah! Komm mal schnell!"
Huh. "Sorry, Bluey ... "
Ich lief mit ganz kleinen, ganz schnellen Schritten wieder zu ihr, weil man ja eigentlich nicht rennen durfte.
"Sag mal schnell einen Namen, den hier garantiert keiner hat! Einen Mädchennamen!", flüsterte sie.
"Öhm ... Trude? So heißt die Frau von Papas Freund, der nach Deutschland ausgewandert ist."
Sie zeigte irgendwohin und rief: "Guck mal, da ist Trude! In die warst du doch mal verknallt! Lass mal Hallo sagen!"
Blue kam genervt wieder zu uns. "Noah, du wolltest doch- "
"Nein! Nein, er muss mitkommen! Wir gucken dir von da zu, wenn du springst, okay?"
"Ich will aber nicht alleine, Noah, bitte!"
"Da sind doch noch ganz viele andere Jungs, Noah muss mit mir mitkommen! Ich bin die Lady hier, schon vergessen?"
Während die beiden sich um mich zankten, bemühte ich mich, nicht zu lachen.
"Okay? Dann komm, Noah! TRUDE!" Sie zog mich mit und ließ Blue bedröppelt stehen.
Dann ging er aber wirklich alleine zum Sprungturm.
Da, wo er uns nicht sehen konnte, blieben wir stehen und lachten uns einen ab.
"Scheiße, das klappt doch niemals!"
"Tru-hude! Bist du blöd?! Wie soll ich denn da ernst bleiben!"
"Er muss .... " Ich erblickte ein Mädchen aus unserem Französischkurs.
"Ey! Idee! Wir fragen Mary, ob sie uns hilft!"
Ich rief sie zu uns. Ein Wunder, dass sie kam, denn eigentlich war ich ja der "Schüchterne, Uncoole" in der Schule.
"Hey!"
"Hi. Kannst du uns helfen?", fragte Elodie.
"Klar, was gibt's denn?"
"Es geht um Blue."
Sie fing an zu grinsen. "Ist er hier? Ich wollte ihn immer schon mal ohne Shirt sehen... ist er jetzt eigentlich gay oder nicht?"
War ja klar.
"Bald vielleicht schon. Wenn du uns hilfst?" Ich sah sie unsicher an.
"Ach, straight gefällt er mir eigentlich ganz gut ... aber okay. Was muss ich machen?"
Wir hatten es ihr gerade erklärt, als Blue um die Ecke kam. "Was macht ihr denn hier?"
Mary starrte kurz auf seinen Bauch, fasste sich aber schnell wieder. "Ehm, wir- "
Bevor sie noch was Falsches sagte, unterbrach ich sie.
Elodie hatte ich schon lange nicht mehr geärgert, jetzt war eine gute Gelegenheit dazu.
"Elodie dachte, sie hätte ihre Tage bekommen und musste mal auf- "
"Noah, du Arsch!"
" -die Toilette, aber dann war doch nichts, und ich hab in der Zwischenzeit Mary hier getroffen- "
"Hi!"
"- und dann haben sie und Elodie die ganze Zeit über ... ehm ... "
"Michael Clifford gequatscht. Bist du Fan? Weil, deine Haare- "
"Nein! Und Elodie, seit wann magst du 5sos?"
"Seit ein paar Wochen. Seit ... "
"Seit She's Kinda Hot!"
" ... genau, über Michael geredet, und jetzt haben wir deinen Sprung verpasst und Mary will dich noch mal springen seh- "
"Oh, ja!"
" -en."
Meine Güte, das war anstrengend gewesen.
Mary sah Blue bittend an. "Bitte, kannst du das nochmal machen? Bitte! Oh mein Gott, Susie! Da ist meine Freundin! Susie! Hier bin ich! Guck mal, hier sind ein paar Schulfreunde von mir, Blue, Elodie und ... ehm ... "
"Noah", warf Blue etwas angepisst ein.
Er sah zu mir und ich zuckte nur mit den Schultern.
Blues P.O.V.:
Meine Fresse, Susie und Mary nervten echt total!
Und Elodie war auch mega mädchenhaft gewesen.
Und was war das bitte eben für ein Gespräch gewesen?
Und ich hatte ernsthaft noch mal springen müssen. Wenigstens hatte ich den Salto sauber hinbekommen. (Ich war auch nur noch einmal vom Dreier gesprungen.)
Jetzt saßen wir alle draußen im Wasser und Mary himmelte mich an, während Susie lautstark mit Elodie über Shawn Mendes und Troye Sivan redete.
"Du bist echt süß", flüsterte Mary so laut, dass Noah loskicherte.
"Danke", quetschte ich raus und rutschte unauffällig ein Stück von ihr weg.
Noch mehr ungewollte Küsse konnte ich nicht gebrauchen.
"Und ich bin kein Fan von Michael Clifford", wiederholte ich. Vielleicht war sie dann ja beleidigt.
Aber nein ....
"Schade! Der ist fast so cute wie du ... "
Während ich innerlich stöhnte, quietschte Susie auf. "Oh, Elodie, guck mal! Die beiden Typen da!"
Ich folgte ganz automatisch ihrem Blick und sah am Ende zwei Jungs an, die ziemlich fit aussahen.
Elodie grinste auf einmal breit. "Die kenne ich sogar."