• Delian •
Ich liege in meinem Gemach und ruhe mich verdienterweise aus, denn seit dem Überfall gestern teleportiere ich unentwegt irgendwelche Vampire oder hole bestimmte Arzneien aus bestimmten Städten.
Die Sonne geht allmählich unter und ich schaue leicht abgekämpft auf die brandenden Wellen, die man durch den dichten und strömenden Regen kaum sehen kann.
Dann klopft es an meiner Tür.
„Herein", rufe ich und richte mich leicht auf.
Es ist wieder einmal Vittorius, den ich häufig gesprochen habe in den letzten Stunden. Er setzt sich nun mit verhaltenem Blick an den Rand meines Bettes und deutet mir, dass ich mich ruhig wieder zurücklehnen soll.
In aller Ruhe berichtet er mir von dem aktuellen Stand und der Wirksamkeit des Anti-Vampir-Serum. Und dass Runa bereits mit Sorins Vampirgen versorgt ist.
„Taavi hat sich entschieden, erst Valerie und dann Simeon. Er will dich da haben, falls du auf die Schnelle was holen sollst. Wäre das in Ordnung?", fragt Vittorius prüfenden Blickes.
Im Notfall geht das sicher klar, ausruhen kann ich mich danach ja immer noch. Zumal ich nun schon seit guten zwei Stunden meine Ruhe hatte.
Nickend stehe ich auf, bekomme einen besonderen Dank und so folge ich Vittorius schließlich.
Valerie und Simeon liegen bereits auf je einem Bett, dazu wurde ein Raum extra für die beiden geschaffen. Ich hinterfrage besser nicht, warum er Valerie nicht in deren Gemach bringt. Andererseits hat er hier viel medizinischen Schnickschnack stehen und so seine beiden neuen Schützlinge auf einem Fleck. Damit habe ich mir die Frage praktisch selbst beantwortet, kann man sagen.
Ich finde es falsch dabei zuzusehen, auch wenn das äußerst interessant ist, deshalb gehe ich zur Terrassentür und schaue hinaus. Dieses Gemach geht zum Innenhof des Schloss hinaus, der Ausblick liefert perfekte Sicht auf den botanischen Garten.
Welch Ironie ...
Taavi verabreicht Valerie nun sein Vampirgen und sein Blut. Vittorius scheint ihm dabei zu helfen, zwischendurch wittere ich nämlich frisches Blut als Stärkung für Taavi, ehe er auch Simeon sein Vampirgen injiziert.
Letztendlich braucht Taavi mich gar nicht, es verläuft alles nach Plan und die Zwei schlummern jetzt in ihrer Vampirverwandlung.
Dennoch spricht er mir seinen Dank aus und entlässt mich dann.
Zusammen mit Vittorius verlasse ich nun das hergerichtete Gemach und wir lassen Taavi da zurück. Jore wird ihm aber wohl gleich Gesellschaft leisten, also geht das klar.
„Taavis und Sorins Vampirgene sind aber nicht so tödlich wie euers, mein König, oder?", hake ich sicherheitshalber nochmal nach.
„Taavi hat ganz selten Probleme damit, bei Sorin kann ich das nicht so einschätzen. Er hat mit Abstand die wenigsten Vampire verwandelt, er hat wohl aber eine geringe Todesquote. Im Vergleich aber dennoch höher als Taavi", berichtet Vittorius ruhig.
In Panik verfallen hilft ja keinem weiter.
Und auf genauere Informationen verzichte ich, stattdessen trennen sich unsere Wege und ich geselle mich zu Silas, Isajah und meiner Mutter auf das Sofa des Wohnbereiches.
Enya ruht ausnahmsweise mal in den Armen von meiner Mutter, die beiden kuscheln ganz niedlich zusammen und Isajah schaut dämlich grinsend dabei zu. Silas hält einen ziemlich genervt aussehenden Shade in seinen Armen. Immerhin ist er ruhig, aber wohl nicht ganz freiwillig.
„Gibt es denn keinen Turnraum für Kinder?", frage ich interessiert nach.
Isajah und Silas sehen mich fragend an, meine Mutter fängt an zu grinsen.
„Nein, aber das wäre sicher die Idee für Shade!", betont meine Mutter nun.
Kurzerhand klären wir Silas und Isajah über solche Kinderparadies Indoor Spielplätze auf, die ganz offensichtlich Anklang finden. Shade sieht jedenfalls sehr interessiert aus und Silas verspricht seinem Sohn nun, zuhause so einen Raum in dem unteren Teil des Schlosses einbauen zu lassen.
„Sag mal Mama, du bist doch Erzieherin? Hast du nicht gelernt Alltagsobjekte umzubauen? Fürs Erste würde das doch reichen", kommt es mir in den Sinn.
„Das ist schon einige Jahre her, aber ja, lasst uns kreativ werden!", meint sie grinsend.
Kurz darauf gehen wir gemeinsam in Silas' Gemach und Silas holt aus der Kampfhalle ein paar Matten in sein Gemach. Isajah findet das leicht befremdlich, sieht sich das aber freudig und auch neugierig an. Er bekommt kurzerhand auch Enya in seine Arme, die fasziniert zusieht.
Silas packt mit meiner Mutter und mir tatkräftig an, wir verwandeln den halben Raum in eine kleine Sporthalle für fast Einjährige.
Nun hat Shade eine große Fläche mit kleinen Hindernissen, auf die er voller Tatendrang zuläuft. Zumindest in dem Rahmen, wie man das in seinem Alter laufen nennen kann. Silas sitzt hoch verliebt auf Knien daneben und stützt Shade, sofern das notwendig ist.
„Und was ist mir dir, junge Frau? Faul herumsitzen ist nicht! Na los, komm schon! Oder soll ich dir mal Feuer unter'm Hintern machen?", fragt Isajah nun Enya. Zeitgleich löst er die Kleine von sich und stellt sie auf ihre wackeligen Beine, mit denen sie aber lieber nicht stehen will.
Das kommt bei Enya nicht so gut an, sie quengelt sofort und streckt sich wieder in Isajahs Richtung aus.
„Wie kann das eine Kind einen unnatürlich großen Bewegungsdrang haben und das andere ist chronisch faul?", will ich nun amüsiert wissen, während ich mich neben Silas auf die Matten knie.
„Glaub es mir, das frage ich mich jeden Tag", erwidert Silas amüsiert und sieht mir kurz in die Augen, ehe er weiter den kleinen Shade betreut.
Und der hat richtig seinen Spaß beim kleine Berge überkrabbeln.
Dann kommt Vittorius herein, der mitten in der Bewegung innehält und uns ansieht, als hätten wir den Verstand verloren. Meine Mutter spielt mittlerweile mit Enyas Ärmchen und singt ihr ein paar Fingerspiele vor. Und Silas und ich unterhalten uns hier nebenbei.
„Was macht ihr da? Silas, was machen die Kampfmatten in deinem Gemach?", will Vittorius nun mit erhobener Augenbraue wissen.
„Shade hat die hergetragen, frag ihn", haut Silas vollkommen ernst raus.
Keine Sekunde später reißt Vittorius ihn um und beide rangeln nun lachend auf den Kampfmatten. Wenn die schon mal da sind, warum also nicht?
Shade beginnt zu lachen und kommt nun auf die beiden zu getorkelt. Enya sieht aber auch neugierig zu.
„Ach, du willst auch? Sag das doch gleich!", meint Vittorius, reißt Shade von den Füßen und fängt an mit dem Kleinen herum zu toben.
Wirklich jeder im Raum sieht erstaunt dahin, wobei Isajah und meine Mutter ein Lächeln im Gesicht haben. Vittorius wirft Shade nun ein Stück weit in die Luft und fängt ihn wieder. Das findet er sowas von enorm witzig, er ist vor lauter Lachen völlig außer Atem.
„Weißt du, mein lieber Shade, dein Vater hat das als Kleinkind auch immer geliebt", verrät Vittorius schmunzelnd.
Zumindest erklärt es das ein Stück weit.
• Fenja •
In aller Ruhe verprügle ich Benedikt mit einem Kissen und das aus gutem Grund: Es ist der Auftrag von Jaron.
Und natürlich tue ich das gerne, wenn mein Zukünftiger solche Wünsche hat.
„Den anderen Arm, Benedikt", belehrt Jaron seinen Hauptmann streng.
„Bin dabei", erwidert er abgekämpft und versucht Leben in seinen gelähmten Arm zu bekommen.
Übrigens ist das eine Empfehlung der Vampirmediziner, denn wenn Benedikt seinen Arm nur schlaff hängen lässt, wird nie eine Besserung eintreten.
Volle Kanne haue ich das Kissen nun auf Benedikts Arm, mit dem er echt Mühe hat, irgendwie eine Kampfhaltung aufrechtzuerhalten. Aber eines muss man ihm lassen: Er schlägt sich gut und bekommt Konzentration, Abwehr, Kampftaktik und weiß nicht was noch alles unter einen Hut.
„Du bist nicht dabei, Benedikt, ich sehe das!", betont Jaron in voller Ausstrahlung als steinalter Vampirmeister.
Ich habe ihn so echt so nie erlebt und bekomme langsam die Vorstellung davon, was Tinon gemeint haben könnte.
Benedikt jedenfalls zieht den Kopf ein und selbst ich sehe nun den Unterschied, denn Benedikt steckt nun wesentlich mehr Mühe in seine Verteidigungshaltung.
„Geht doch, warum nicht gleich so?", will Jaron amüsiert wissen.
Zu einer Antwort kommt Benedikt nicht, denn ich haue immer und immer wieder mit dem Kissen zu.
„Besser du konzentrierst dich ausschließlich auf die Verteidigungshaltung, dabei erzielst du den besten Fortschritt", rät Jaron seinem Hauptmann nun.
Benedikt nickt und wechselt nun seine Körperhaltung. Seinen Arm kann er wenig bis gar nicht regen, aber erste leichte Muskelzuckungen sind erkennbar.
Nach einer Weile verkündet Jaron grinsend eine Pause, weil ich keuchend darum bitte. Benedikt beginnt nun damit mich zu ärgern, er streichelt wie bei einen Kleinkind über meinen Kopf und lächelt mich hoch amüsiert an.
Abgewehrt bekomme ich ihn nicht, dabei hat er nur noch einen Arm zur Verfügung.
„Jaron! Jetzt hilf mir doch mal!", betone ich nun verärgert und sehe hilfesuchend in seine Richtung.
Ein Blick von Jaron reicht und schon hört Benedikt auf. Also, warum genau funktioniert das bei mir nie? Ich gucke auch so streng und bedrohlich! Wirklich!
Schließlich genieße ich meine wohlverdiente Pause und höre nebenbei zu, wie Jaron Benedikt einige Beobachtungen seines Kampfstils schildert und wo er Verbesserungen ansetzen würde.
Gerade, als wir uns weiter der Kissenschlacht widmen wollen, klopft es an Jarons und meiner Tür.
„Komm rein, liebe Derya", ruft Jaron nun mit wachsamem Blick. Auch Benedikt wird ernst und unterlässt jeden weiteren Versuch mich zu ärgern.
Derya öffnen nun zaghaft die Tür und streckt ihren Kopf hinein, auf ihren Lippen ein leichtes Lächeln.
„Daryun will das nur ausprobieren, wenn du dabei bist, Fenja. Bitte komm mit, bitte!", trägt Derya ihr Anliegen vor.
Ich nicke natürlich und überlasse Benedikt und Jaron dann sich selbst. Die Zwei werden auch ohne meine Kissenangriffe Benedikts Arm trainiert bekommen.
Auf dem Gang folge ich Derya nun, die richtig aufgeregt wirkt.
„Wie geht es ihm sonst so?", hake ich leise bei ihr nach, bevor wir deren Gemach erreichen.
Deryas Schritte werden ganz langsam, damit wir genug Zeit zum Bereden haben.
„Er leidet sehr darunter und es gibt kaum ein anderes Thema. Er denkt nun, dass er mich nie wieder beschützen können wird, nur weil ihm das Bein nun fehlt. Von seinem Stand als Landesherrscher einmal abgesehen, darüber haben wir noch kein Wort verloren. Milo und Haru sind aber stets an unserer Seite, ohne die beiden wäre es echt schlimm. Ich bekomme Daryun alleine echt schwer gestützt, immerhin ist er ziemlich massiv gebaut. Aber es erleichtert uns, dass er nicht vom Tod spricht", vertraut Derya mir leicht besorgt an.
Ich fühle echt so sehr mit ihm, ich sag's euch.
Schließlich folge ich Derya bis in deren Gemach, wo Taavi bereits an einem kleinen Tischchen mit seiner Medizintasche steht und neues Verbandsmaterial an die Seite legt.
Milo und Haru halten sich wie lebhafte Schatten im Hintergrund, die uns aus deren eisblauen Augen wachsam beobachten.
Wow, Taavi lässt Valerie und Simeon alleine? Das muss was heißen. Aber naja, Daryun braucht ihn genauso und er ist nun mal schon immer eng mit Taavi verbrüdert und nicht mit Sorin.
„Yara und Delian haben mir Visionen von den Prothesen und Gehhilfen der alten Welt von denen gezeigt. Ich habe eine dieser Gehhilfen nachbauen lassen, schau mal", beginnt Taavi und holt vom Rand nun zwei längliche Stöcker, die ziemlich verstärkt und stabil aussehen. Und sie haben sogar Griffe!
Derya und ich schauen mindestens genauso erstaunt auf diese Gehhilfen, Daryun sieht da schon weniger begeistert aus.
„Und wann bekomme ich so eine Prothese?", will Daryun nun verhalten wissen.
Auf diese Gehhilfen geht Daryun erst gar nicht ein, aber ihm wird nichts anderes übrig bleiben.
„Yara, Mattheo und ich sind am Design und an den Berechnungen dran. Vorerst muss dein Bein aber vollkommen verheilt sein und das Narbengewebe muss stabil sein. Dann kann ich einen Abdruck anfertigen und die Prothese drum herum bauen lassen. Du hast Glück, dass du dein Kniegelenk noch hast und du das Bein erst darunter verloren hast. Aber bitte benutze solange diese hier, damit bist du immerhin ein wenig mobil", erläutert Taavi in aller Ruhe.
Daryun versteht das, aber ich sehe den tiefen Schmerz in seinem Gesicht. Neben mir steht Derya, die wirklich sehr betroffen dabei zusieht. Kaum merklich halte ich ihre Hand und sie wirft mir ein dankbares Lächeln zu.
Aber auch Daryun versteht, dass das erstmal besser als nichts ist. Also ermutigt er Taavi zur Erklärung.
„Also, du stützt dich so wie ich es gerade vormache auf den Gehhilfen ab und stößt dich dann quasi so ab. Das Unterteil ist extra mit rutschhemmendem Material ummantelt, pass aber bitte dennoch auf. Bei den ersten Metern stütze ich dich aber zusätzlich", berichtet Taavi und vollführt mit einem Bein in der Luft die Fortbewegung mit dem Hilfsmittel.
So sieht das fürs Erste völlig in Ordnung aus, wie ich finde.
„Fenja soll mir dabei helfen. Das ist die einzige Person weit und breit, die ohne zu hinterfragen akzeptieren würde, wenn ich Nein sage", stellt Daryun nun die Bedingung.
Taavi hält inne, sieht Daryun einen Moment verwundert an, sieht dann aber mich an. Und er hat mit dieser Aussage sowas von recht.
Aber ...
„Daryun, du wiegst fast so viel wie die Stadtmauer. Wenn du fällst, gehen wir beide unter. Und entschuldige, aber deinen gigantischen Riesenkörper will ich nicht auf mir drauf fallen haben", kommt es verhalten aus mir heraus.
„Bezeichnet du mich gerade als schwer?", fragt er echt erstaunt nach.
Ah, das spricht sein Temperament an.
„Kennst du denn Stadtmauern, die leicht wie ein zartes Blatt sind? Nein? Ich auch nicht", platzt es lachend aus mir heraus.
Neben mir müssen sich Taavi und Derya ordentlich zusammen reißen. Und Haru und Milo geben sich erst keine Mühe, die lachen einfach vor sich hin.
Nun folgt natürlich das Echo.
Und ich hätte es lassen sollen.