• Fenja •
Ich stehe nun allen ernstes mit dem Minidämon am seitlichen Rande des Kriegslager Quartiers und schmiede einen Plan, um mit Shade ins Quartier einzubrechen. Weil ein Baby das will!
Was zum Geier mache ich hier eigentlich?
„Ich, ähm, also ... Ich frage dich die Räume ab und du lächelst einfach, wenn ich den Raum nenne, wo du hin willst, ja?", schlage ich vor.
Das erste Mal in meinem Leben wünsche ich mir, dass Jaron, Benedikt oder Khojin mich erwischen und mich daran hindern. Ich will das eigentlich gar nicht, kann aber auch nicht „Nein" zu Shade sagen. Er ist zu niedlich und zu sehr Baby, verdammt. Und ich kann nicht damit umgehen, wenn er Babytränen weint!
Was ein Dilemma!
„Eingangsbereich? Nein, wäre auch zu einfach gewesen. Einer der Flure? Auch nicht. Das Hauptbüro vom Befehlshaber? Nein. Der Aufenthaltsraum der Soldaten? Den auch nicht. Das Waffenlager? Eine der Waschkammern? Eine der Unterkünfte? Echt gar nichts?", klappere ich eins nach dem anderen ab.
Seit zehn Minuten überlege ich nun schon, welche Räume es noch gibt und Shade wartet echt voller Geduld.
„Shade, ich habe keine Ahnung, welchen Raum du meinst, es gibt nur noch die Kerkerzellen unten, die extra in den Boden ... Nein, Shade, da kann ich nicht einbrechen! Spinnst du?", kommt es vollkommen entgeistert aus mir heraus.
Nun sieht er mich an und bekommt die ersten Tränchen in den Augen.
„Das ist Erpressung!", raune ich ihm verhalten zu.
Und dann beginnt er ganz leise zu weinen und sieht dabei so aus, als wäre ich schuld daran, dass seine kleine Welt gerade zerbricht.
Der weint eiskalt lautlos vor sich hin und sieht mich dabei verheult an!
Schließlich lasse ich mich erweichen, nehme augenrollend den Minidämon auf den Arm und schleiche weiter an dem Rand des Quartiers entlang.
Ich halte dann an der Zeltwand, wo der Gang mit dem Abgang zum Kerker ungefähr sein sollte, inne und strecke meine Wahrnehmung in den Bereich vor uns. Blöd, dass die Luft rein ist. Mit ein paar geschickten Erdmagie Kniffs räume ich eine kleine Kuhle aus und klettere unten hindurch, Shade schiebe ich dabei voran.
Mich überkommt bereits jetzt das ungute Gefühl des Jahres ...
Auf Zehenspitzen schleiche ich nun den Gang entlang und gebe echt alles, um nicht aufzufliegen. Ich komme dann vor einer provisorischen Holztür an, die einen nun befestigten Weg hinab markiert. Der schmalen Wendeltreppe aus kühlen Stein folge ich runter und stehe schließlich am Fuße der Treppe vor dem T-Stück, was drei Gänge der kleinen verstärkten Zellen beherbergt. Was soll ich nur sagen, wenn uns einer über den Weg läuft?
Ja, hallo, du auch hier?
Schönes Wetter hier unten, findest du nicht?
Ich suche Kuchen, bin ich hier richtig?
Entschuldigung, wo ist das Klo?
Das Kunstzimmer ist woanders, kann das sein?
Neue Bettdecken finde ich wo genau?
Ist hier das Lager für Babykleidung?
Alle Ausreden fühlen sich nicht gerade wie die Lösung des Problems an. Ich bin aber zunehmend gespannt, was Shade hier unten eigentlich will.
„Zeig mal in die Richtung", trage ich dem Minidämon auf und dann tut er das zu meinem Erstaunen.
Das Baby ist offiziell kaputt, ich schwöre es.
Ich schleiche nun weiter den Gang entlang und dann krallt Shade sich an mir fest, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen und auf eine verstärkte Tür neben uns zu zeigen.
Mein Allerwertester ist sowas von auf Grundeis und Shade ist die Ruhe in Person.
Hilfe!
Jaron! Benedikt! Khojin!
Vittorius! Bitte, mein Vampirvater, bitte!
Wenn ich nicht eh schon keinen Atem hätte, würde ich ihn gerade anhalten. Ganz vorsichtig lege ich meine Hand auf den Knauf der Kerkerzelle und versuche so leise und unauffällig wie möglich daran zu ziehen.
Abgeschlossen.
Verflucht aber auch nochmal, was will Shade in einer verschlossenen Kerkerzelle? Es hilft alles nichts, ich beiße die Zähne zusammen.
„Hallo?", nehme ich sämtlichen Mut zusammen, den ich finden kann.
„Fenja?", ertönt gedämpft die Stimme von Mattheo.
Da ist es bei mir vorbei, mir entweicht echt alles aus dem Gesicht und nun rüttle ich doch an der Zellentür.
„Mattheo! Was tust du hier? Um Himmels Willen, keine Angst, ich hole dich da raus!", kommt es leicht panisch aus mir heraus.
Jetzt verstehe ich die Intention von Shade. Aber woher im Namen der Hölle weiß der Minidämon hiervon?
„Shhh! Leise! Der Obervampir vom Kriegslager ist extrem streng und wenn er dich erwischt, buchtet er dich auch direkt ein! Verschwinde, Fenja, hau ab! Ich komme schon klar!", betont Mattheo nun auf der anderen Seite der Tür.
„Hast du sie noch alle? Warum sperrt er dich ein? Das darf doch nicht wahr sein!", sage ich völlig ungehalten.
„Fenja! Nein! Hör auf, verzieh dich! Bitte! Fenja, bitte!", versucht Mattheo mich nun zu überreden.
Einen kurzen Moment halte ich dann nach ein paar Befreiungsversuchen inne und starre planlos diese Tür an.
„Ich ... gehe den Schlüssel holen, der muss oben ja irgendwo sein", kommt mir der Einfall des Jahrhunderts.
„Nein, verdammte Scheiße! Bitte halte dich da raus!", fleht Mattheo förmlich. Er rüttelt nun von innen an der Tür, die felsenfest in der Verankerung sitzt.
Aber ich höre nicht auf ihn, stattdessen drehe ich mich um, gehe eilig los und bin in Gedanken schon im Büro des Befehlshabers.
Mit einem Ruck pralle ich gegen einen Berg aus Muskeln und schaue dann hoch in die tiefroten Augen des obersten Vampirs. Mir rutscht sowas von mein Herz in die Hose. Und der Blick strahlt Eiseskälte aus.
• Delian •
Mein Schlaf dauert gerade mal ein gutes Stündchen, ehe ich von lauten Hintergrundgeräuschen geweckt werde. Auf dem Gang höre ich das Donnern von den stabilen Stiefeln laufender Krieger, die hektisch durch den Gang rufen.
Genaue Sätze verstehe ich nicht, aber die paar Wörter, die zu mir durchdringen, reichen: Befestigung, gefallen, Feind, Hafen, Schloss und Zerstörung.
Und Hilfe.
Verfluchter Bockmist, die große Schutzanlage vor Lucans Stadt ist gefallen und die Schiffe des Feindes laufen in Lucans Hafen ein. Jetzt liege ich alles andere als entspannt im Bett, denn ich bekomme immense Gewissensbisse, dass ich mich jetzt ausruhe.
Lucan braucht meinen Drachen, sonst fehlt ein entscheidender Vorteil. Außerdem ist Daryun schwer verletzt hier, den kann man nicht mal eben umparken. Ich habe aber auch keine Freigabe für meine Hilfe, was im Zweifelsfall meinen Tod bedeutet, weil ich keine Rückendeckung habe. Und, da mache ich mir nichts vor, die habe ich bitter nötig.
„Val? Benedikt? Ist jemand da?", rufe ich nun verhalten und richte mich langsam auf meiner Liege auf.
Es kommt niemand, was mich aber auch echt nicht verwundert. Ich beschließe Valorians Befehl zu ignorieren und stehe vorsichtig auf. Ausgelaugt und kaputt bin ich noch immer und sicher benötige ich noch einen guten Tag Bettruhe, aber ich kann einfach nicht liegen bleiben. Zu groß ist meine innere Furcht, im richtigen Moment nicht am richtigen Ort zu sein.
Also werfe ich so schnell wie möglich meine ledernen Rüstungsteile über meine Kampfkleidung und befestige die vier Dolche, die zu meiner Standardausrüstung gehören. Wenigstens gehe ich geschützt vor die Tür, so viel Zeit muss sein.
Mein Weg führt mich zum Raum, in dem Daryun liegt. Über ihm hängt ein Medizinvampir an seiner Blutmagie Grenze und heilt Daryuns noch immer lebensgefährliche Blessuren.
„Verzeihung, wo finde ich Valorian? Oder Benedikt? Ich kann nicht ... alleine sein", kommt es als Erklärung aus mir heraus.
„Der Angriff bricht durch, jeder verfügbare Vampir, ob angeschlagen oder nicht, eilt zur Hilfe", informiert er mich zwischen zusammen gebissen Zähnen.
Ich will mich umdrehen und habe den Entschluss, aus dem Quartier zu gehen und es den beiden gleich zu tun. Meine Visionsmagie wird mir schon helfen, ich bin felsenfest davon überzeugt!
„Legt euch zurück ins Bett, Prinz Delian", sagt der Mediziner kurz angebunden, lenkt seine Aufmerksamkeit dann auch wieder auf Daryun und ich bin entlassen.
Ich verstehe das, aber ich kann das einfach nicht. Diese Kampfgeräusche und nicht zu wissen, wo und warum die auftreten, ist der absolute Grauen. Mit den Menschen aus den Weltkriegen mag ich nicht tauschen, ich kann mir das nun leider ansatzweise vorstellen. Und die hatten keine Elemente und wurden nicht von Vampiren ausgebildet.
Jetzt hätte ich gerne ein Radio mit den neuesten Kommentaren zum Krieg.
Ich ignoriere die Anweisung des Mediziners und trete aus dem Quartier auf den Haupteingang, ein großer Bereich mit viel Platz. Überall sehe ich schwarze Rauchschwaden in weiter und naher Entfernung aufsteigen, um mich herum sind die lauten Geräusche des Kampfgetümmels.
Und vor mir drängen ein paar Rekruten gerade eine Schar des Feindes zurück, mehr oder minder erfolgreich. Die Rekruten sind zwar so schon recht passabel ausgebildete Vampire und bringen vampirische Vorteile mit, aber gegen die dreifache Menge an Soldaten des Feindes sehen auch die alt aus. Zumal die penibel auf das Schattenrose Pulver achten müssen.
„Was tut Ihr hier? Rein mit euch!", betont ein weiterer Rekrut, der mit vier anderen Krieger gerade an mir vorbei läuft und frontal auf den Kampf zu stürmt.
Ich bemühe nun meine Visionsmagie, ich halte das nicht mehr aus. Ich will wissen, was ich tun soll und bitte um Bilder, die mir eindeutige Befehle geben. Genau das fehlt mir nämlich: Eine Führungsperson, die alles im Blick hat und weiß, was zu tun ist.
Auf meine Visionsmagie ist aber Verlass und so kanalisiere ich den animalischen Kreislauf in mir. Viel Zeit habe ich nicht, der Zeitraum ist sogar enorm klein. Aber wenn ich mich denen nicht als Drache entgegen stelle, werden sie das Quartier überrennen und zahlreiche Rekruten werden ihr Leben lassen.
So auch Daryun, der nicht einmal die Chance bekommt, sich zu wehren.
Mein Brüllen ertönt und der Feind hält mit richtig geschocktem Blick inne. Auch die Rekruten sehen mich an, als sei ich nicht echt.
„Angriff!", rufe ich den Vampiren zu und gehe mit bestem Beispiel voran, weil ich nun mitten in der feindlichen Masse lande.
Durch meine Landung fliegen die ersten Feinde zu Seite und wollen sich gerade aufrappeln, aber diese Zeit lasse ich denen nicht. Eine heiße Wand aus schwarzem Feuer fegt über die Körper und verkohlt die Menschen. Mit angezogenen Gliedmaßen, weil die Sehnen und Bänder sich beim Brand zusammen ziehen, verschönert der Feind nun kohlschwarz den Boden.
Das bringt Leben in die Reihen der Rekruten, die nun Mut fassen und sich mit mir zusammen durch den Feind metzeln.
„Zwei Straßen weiter links!", befehle ich den Kriegern, auch wenn ich kein Recht dazu habe.
Folgen tun sie mir trotzdem, ich fliege nämlich voran und lande krachend in der nächste Gruppe des Feindes. Panisch versuchen die ihre Schwerter in meiner Drachenhaut zu versenken, dabei bricht aber das eine oder andere Schwert ab. Die Rekruten nutzen die Zeit und enthaupten die Angreifer, was letztendlich die Rettung für das Quartier bedeutet. Der Feind zieht sich nämlich leicht zurück und sammelt sich an anderer Stelle, die sicher mit elitäreren Vampiren bestückt ist.
Ich kann meine Drachenform nicht mehr halten und gehe zurück in meine Vampirform. Die Vampirkrieger werfen mir einen dankenden Blick zu, verteilen sich aber bereits wieder.
Und dann springt neben mir ein Feind mit aufgerissenen Augen hinter einem Stück Schutt hervor und zückt seinen Dolch.
Wie in Zeitlupe drehe ich mich nun um und sehe ihm in die angsterfüllten Augen. Ich bin so kaputt, dass ich nicht schnell reagieren kann.
Das ist der besagte Moment, in dem ich dringend die Rückendeckung brauche. Oder gebraucht hätte, denn der Feind trifft mich und reißt mich um. Mir entweicht sofort mein Atem aus der Lunge und ich schaffe es gerade so, den Dolch auf Höhe meiner Kehle daran zu hindern, tief in meine Kehle einzudringen.
Aber es hilft nichts, ich habe keine Rückendeckung. Und meine Kraft ist versiegt.
Es wird mir mit einem Schlag bewusst. Ich sehe meinem Tod förmlich in die Augen, weil das letzte bisschen Kraft in mir nun nachgibt.
Im nächsten Moment wird der Angreifer von einem gigantischen Geweih erfasst und meterweit durch die Luft geschleudert. Mit einem hässlichen Geräusch kommt der Feind auf den Trümmerteilen auf und ist sofort Tod.
Dann spüre ich die starken Arme um mich herum, die mich fest an eine muskulöse Brust drücken und der bekannte Geruch meines animalischen Stammesanführers steigt mir in die Nase.
„Ich lasse meinen Stamm niemals im Stich, ganz gleich, was vorgefallen ist", ertönt die Stimme von Magnus.
Im Hintergrund sehe ich dann einen riesigen Bären und einen schwarzen Wolf in die Gassen der Stadt verschwinden. Und über uns kreist ein großer Rabe, der bestens die Umgebung im Blick hat und koordinierte Laute von sich gibt. Dann schaue ich in Magnus' tiefrote Augen, die mir Halt und Schutz liefern. Und direkt neben ihm steht Fenix in Kampfrüstung und stemmt die Hände in die Hüfte.
„Ich bin so froh, dass du da bist, Magnus!", kommt es aus mir heraus und ich erwidere kurzerhand seine Umarmung.
Leider löst er diese aber schneller, als mir lieb ist und ich sehe Fenix nun doch mit leichter Panik neben uns stehen, statt weiter in den Gassen zu den anderen zu verschwinden. Sonan landet übrigens direkt bei uns und er ist sehr ungehalten, dass Mavie hier ist, er dreht sich auch schon suchend zu den Straßen um. Dagegen sagen tut er aber nichts, weil so ein schwarzer Kampfwolf äußerst effektiv ist.
„Delian, mein Liebster, du musst diesen unhöflichen Vampir mit den Beschwörungen herholen. Jetzt. Danach verstecken wir beide uns", erklärt Fenix frei heraus.
Eindeutig eine Vision, wenn ihr mich fragt.