Soulless - Auf ewig verbunden

By freezing_storm

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„Ihre Zeit ist gekommen", ertönte Athanasios' dunkle Stimme durch den dichten Nebel. ,,Ich werde sie nicht s... More

Aesthetics
Prolog
Kapitel 1: Sol
Kapitel 2: Atlas
Kapitel 3: Sol
Kapitel 4: Sol
Kapitel 5: Sol
Kapitel 6: Atlas
Kapitel 7: Sol
Kapitel 8: Sol
Kapitel 9: Atlas
Kapitel 10: Sol
Kapitel 11: Sol
Kapitel 12: Sol
Kapitel 13: Atlas
Kapitel 14: Sol
Kapitel 15: Sol
Kapitel 16: Sol
Kapitel 17: Sol
Kapitel 18: Atlas
Kapitel 19: Sol
Kapitel 20: Atlas
Kapitel 21: Sol
Kapitel 23: Atlas
Kapitel 24: Atlas
Kapitel 25: Sol
Kapitel 26: Atlas
Kapitel 27: Sol
Kapitel 28: Sol
Kapitel 29: Sol
Kapitel 30: Sol
Kapitel 31: Atlas
Kapitel 32: Atlas
Kapitel 33: Sol
Kapitel 34: Sol
Kapitel 35: Sol
Kapitel 36: Sol
Kapitel 37: Sol
Kapitel 38: Sol
Kapitel 39: Sol
Kapitel 40: Atlas
Kapitel 41: Sol
Kapitel 42: Sol
Kapitel 43: Sol
Kapitel 44: Atlas
Kapitel 45: Atlas
Kapitel 46: Sol
Kapitel 47: Atlas
Kapitel 48: Sol
Kapitel 49: Sol
Kapitel 50: Sol
Epilog
Nachwort

Kapitel 22: Atlas

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By freezing_storm

,,Hör auf, nach mir zu rufen! Horus hat dir alles gesagt, was du wissen musst'', spuckte ich ihr förmlich entgegen. Ich legte all den Hass, der mich seit heute Nacht heimsuchte, in diese Worte, obwohl Sol die letzte war, die meinen Zorn verdient hatte.

Ihre Augen, die sich mit Tränen gesammelt hatten, weiteten sich vor Schock, als sie von der Heftigkeit meiner scharfen Worte zurücktaumelte. Ich spannte all meine Muskeln an und vergrub meine Hände in den Jackentaschen, um mich davon abzuhalten, sie in die Arme zu nehmen.

Ich musste ihr das Herz brechen damit sie in Ruhe gehen konnte. Nur auf diesem Weg wird ihre Seele in der Lage sein, mich zu vergessen.

Ich wusste, dass es für sie das Beste war. Das Einzige, dass ich ihr bieten konnte. Doch ich hatte nicht mit den Gefühlen gerechnet, die mich in diesem Moment überrollten, als ich sie dabei beobachtete, wie sie vor mir zurückschreckte.

Anstatt mich anzuschreien und mich zu verfluchen, machte sie sich ganz klein. Ich hätte mit jeder Reaktion umgehen können, aber nicht mit ihren traurigen, braunen Rehaugen, die mich voller Verletzlichkeit anstarrten, als sie mich nach dem warum fragte.

Ich stockte.

Sie würde bis zu ihrem Lebensende im Ungewissen bleiben, warum ich sie auf diese grausame Art und Weise behandelte und zurückwies.

Alles in mir trieb mich dazu, zu ihr zu gehen, ihren Kopf an meine Brust zu legen und ihr über die weichen Wellen zu fahren, während ich ihr sage, dass alles gut werden würde. Doch dieses Recht hatte ich in dieser Minute verloren, als ich dabei zugesehen hatte, wie sie im strömenden Regen zusammengebrochen war, nachdem Horus ihr meine Nachricht übermittelt hatte.

Vielleicht hätte ich auf den Raben hören sollen, als er versucht hatte, mir ins Gewissen zu reden, dass ich es mir überlegen sollte, und wir gemeinsam eine Lösung finden würden. Wahrscheinlich hatte er recht gehabt. Und doch hatte ich ihn gezwungen, ihr zu erzählen, dass es zwischen uns vorbei war.

Ich hatte mich für sie und gegen uns entschieden. Das war das Einzige, was ich tun konnte. Und auch wenn ich es mein Leben lang bereuen würde, wusste ich, dass ihr damit besser gehen würde.

Wenn Horus in diesem Moment nicht zu ihr geflogen wäre, wäre ich schwach geworden und zu ihr gegangen. Ich hätte sie angeschrien, warum sie so töricht war, und auf mich wartete, wenn ich es doch war, der sie auf diese Weise beschämte.

Um die jetzige Situation für sie noch schlimmer zu machen, kniff ich die Augen zusammen und starrte sie ohne jegliches Gefühl stumm an, ehe ich Worte an sie richtete, die nicht ferner der Wahrheit liegen konnten. Doch ich wusste, dass ich sie damit treffen würde.

,,Dass mit dir war der größte Fehler, den ich jemals begangen habe. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen, sodass ich an jenem Tag nicht das Krankenhaus betreten hätte und dir nicht begegnet wäre.''

Als wäre ich unter Trance beobachtete ich, wie ihre Seele, die immer so voller Energie gestrahlt hatte, langsam erlosch. Die Schatten, die sich um ihre Seele gewunden hatten, verschlangen sie nun gierig und nahmen ihr jeglichen Lebenswillen. Statt dem Licht in ihren Augen legte sich ein Schleier aus Schmerz über ihnen.

Auch wenn es mich umbrachte, holte ich zum finalen Schlag aus.

,,Ich hätte mich niemals auf jemanden einlassen sollen, der dazu bestimmt war, in wenigen Wochen zu sterben. Es war eine reine Zeitverschwendung.''

Ihr Anblick schnürte mir die Luft ab. Dicke Tränen quollen ihr aus den geröteten Augen und liefen ungehindert über ihre weiche Haut. Zitternd stand sie vor mir, ihren Mund leicht geöffnet, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie sollte mich anschreien, mich beschimpfen, mich hassen. Aber sie blieb still. Nur der Ausdruck in ihren Augen spiegelte wider, was in ihr vorging: sie war tief verletzt.

Ich musste hier raus, sonst würde ich etwas tun, dass ich bereuen würde.

Und so brach ich ihr das Herz, so wie er es wollte und verschwand aus ihrem Leben, ohne mich noch einmal nach ihr umzusehen. Denn wenn ich mich umgedreht hätte, wäre ich nicht in der Lage gewesen, zu gehen.

Während der Nebel mich umhüllte, fühlte es sich so an, als würde meine Seele sich von mir lösen, um sich mit ihrer zu verbinden und die Stücke ihres zersplitterten Herzens wieder zusammenzusetzen.

Das war sie also. Meine letzte Chance auf Glück. Und ich warf sie weg. Während alles in mir sich dagegen wehrte und ich innerlich zerbrach, ließ ich zu, wie Athanasios' Nebel mich mit sich nahm.

Ich würde mir niemals verzeihen können, sie so verletzt zu haben. Also werde ich den Rest meiner Existenz mich dafür verachten, dass ich das einzig Gute in meinem Leben weggeschmissen hatte.

Das war meine gottverdammte Strafe, obwohl sie im Vergleich zu dem, was ich ihr angetan hatte, viel zu wenig war.

***

Ein Tag zuvor

Nachdem ich Sol an diesem Abend sicher nach Hause gebracht hatte, hätte ich schwören können, dass ich bei der Flucht aus dem Tropenhaus eine Vielzahl an Schmetterlingen verschluckt haben musste, da ich mir sonst nicht dieses kribbelnde Gefühl in meiner Bauchgegend erklären konnte, als ich sie verabschiedet hatte.

Noch immer spürte ich das warme Prickeln von ihren weichen Lippen, wenn ich mit dem Finger über meinen Mund fuhr. Auch wenn sich alles in mir nach ihr sehnte, war ich drei Tage nicht bei ihr gewesen.

Nachdem ich die Seelen der Verstorbenen eingesammelt und sie in die Zwischenwelt gebracht hatte, verweilte ich jedes Mal so lange wie möglich in dieser Ebene, ehe ich zum nächsten Auftrag musste. Doch egal, wie lange ich in der Zwischenwelt blieb, Athanasios tauchte nicht auf. Er wollte mich nicht sehen.

Es war mir nur möglich, über diese Ebene mit ihm in Kontakt zu treten. Weder konnte ich das Schattenreich betreten noch war es ihm erlaubt, die Grenze der Realwelt zu überschreiten. Also wartete ich, dass er mich zu sich rufen würde.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Sol erst wieder zu treffen, wenn ich einen Deal mit Athanasios ausgehandelt hatte. Erst wenn ich ihr etwas vorweisen konnte, würde ich ihr wieder unter die Augen treten können. Zumindest war das der ursprüngliche Plan gewesen. Ich war mir sicher, dass Athanasios der Schüssel für alles war. Nur er konnte dafür sorgen, ihren Tod zu verzögern und sie zu heilen. Er hatte es schon einmal für Dante gemacht. Er musste es noch einmal tun. Nur dieses eine Mal.

Doch mein Plan, mich von ihr fernzuhalten, scheiterte spätestens in der Nacht des vierten Tages, als ich das Ziehen in meiner Brust nicht mehr aushielt und ich wenig später direkt in ihrem Zimmer stand. Ich wusste selbst, wie gruselig und spannerhaft das war, aber ich musste einfach bei ihr sein. Auch wenn es nur wenige Minuten war. Das erste Mal seit Tagen konnte ich wieder lächeln, als ich gesehen hatte, wie sie mit offenem Mund und ausgestreckten Armen und Beinen quer über dem Bett lag. Es war eine reine Kurzschlussreaktion, als ich ihr den Zettel schrieb und ich sie um ein offizielles Date bat.

Ich hatte nicht damit gerechnet, was wenige Augenblicke später passierte, als ich wieder in meiner Wohnung war.

Plötzlich nahm eine unfassbar starke Macht von mir Besitz und zwang mich in die Knie. Händeringend hielt ich meine Kehle, da etwas mir jegliche Luft abgedrückte, als dunkelschwarze Rauchschwaden sich um mich herum bildeten und in meinen Rachen eindrangen. Ehe ich mich dagegen wehren konnte, wurde alles um mich herum schwarz, ehe kurz darauf gleißend weißes Licht meine Augen verätzte. Schützend hielt ich die Hände vors Gesicht, um mich vor der Helligkeit zu schützen. Als ich mich an die extremen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, ließ ich die Hände sinken und schaute mich um.

Der stickige Rauch war verschwunden, als ich die Augen aufschlug und mich versuchte, zu orientieren. Dort, wenige Meter von mir entfernt, wirbelten dunkle Schatten um eine Gestalt, dessen Macht mich innehalten ließ. Ich lehnte meinen Kopf zur Seite und knackte mit meinem Nacken. Abschätzig beobachtete ich die düstere Gestalt.

Der Gott der Schattenwelt war wohl nun endlich in Redelaune.

Mach dich nicht lustig über ihn. Das könntest du noch bereuen, warnte mich Horus in meinem Kopf zu Wort, während er in der Zwischenwelt auf Sol achtgab. Ich ließ sie niemals unbewacht. Zu groß war meine Angst, jemand würde ihr in meiner Abwesenheit etwas antun oder ihr würde etwas zustoßen.

„Atlas. Es ist eine Weile her", brummte Athanasios unheilvolle Stimme durch den hellen Raum. Nur seine Schatten wirbelten um ihn herum, während er in seiner nebelgeformten Gestalt auf mich zu schritt. Oder wohl eher schwebte.

Ich verbeugte mich vor ihm.

„Du wolltest mich sprechen, Schattenmann?", setzte er seine Begrüßung fort, ehe er wenige Meter von mir entfernt, stehen blieb.

Ich zögerte nicht. Jede Sekunde, die ich in der Zwischenwelt verweilte, bedeutete, dass ich nicht bei ihr sein konnte. Die Zeit hier verging deutlich langsamer als in der Realwelt. Wenige Minuten hier waren auf der Erde mehrere Stunden.

„Ich habe eine Bitte an dich."

Athanasios lachte dunkel.

„Vorlaut und geradeheraus wie immer.''

Eine angespannte Stille legte sich zwischen uns, als ich nichts darauf erwiderte. Etwas Unheilvolles lag in der Luft. Er wusste, was ich von ihm wollte, und es missfiel ihm, dass ich die Frechheit hatte, mit diesem Wunsch zu ihm zu kommen.

,,Es geht um das Mädchen, habe ich recht?", fragte er zischend, während die Nebelschwaden sich in rasender Geschwindigkeit um seine Gestalt wanden und sich auftürmten.

Mein Körper versteifte sich, während mein Kiefer unkontrolliert zu zittern begann. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schob sie in die Jackentasche meines Mantels.

„Ich werde nicht zulassen, dass sie stirbt!", sagte ich mit bebender Stimme, die meinen Standpunkt eindeutig machte.

Athanasios lachte amüsiert auf.

„Und wie willst du das verhindern? Sie ist gebrandmarkt. Der Krebs hat gestreut und Metastasen gebildet. Ihre Zeit ist bald abgelaufen. Ich wollte ihr einen schnelleren Tod schenken, damit sie diesen elenden Schmerzen nicht ausgesetzt ist. Doch du hast es jedes Mal verhindert."

Seine Stimme zitterte vor Anspannung, während er sprach.

„Einen Scheiß wolltest du!", fauchte ich ihn an und trat näher an die wirbelnden Schatten heran, die sich unter meinen Worten um die doppelte Größe vor mir aufgebaut hatten.

„Hüte deine Zunge, Atlas. Ich war die ganze Zeit über gnädig mit dir, obwohl du gegen jedes noch so kleine Gesetz verstoßen hast. Schon nachdem du die Kugel in der Gasse aufgefangen hast, hätte ich dich auf der Stelle auslöschen können! Doch ich habe immer und immer wieder über deine Taten hinweggesehen."

Mein linkes Augenlid zuckte dabei verräterisch. Die Muskeln an meinen Armen waren zum Zerreißen gespannt. In mir tobte ein Orkan, den ich nicht bändigen konnte.

„Warum hast du nicht eingegriffen, hm!? Warum verdammt hast du zugelassen, dass ich erst Gefühle für dieses Mädchen entwickeln musste, ehe du einschreitest!?", schrie ich ihm aufgebracht entgegen. All die angestauten Gefühle der letzten Wochen brachen wie ein Inferno aus mir heraus.

Während ich mich in meiner blinden Wut verlor, wuchsen Athanasios' Schatten wieder auf eine normale Größe heran. Sie waren mir noch immer überlegen und doch wirkten sie nun nicht mehr so übermächtig.

Athanasios war wie sein Bruder ein Meister darin, wichtige Fragen gekonnt zu ignorieren. Wie ich die beiden dafür hasste.

„Was ist dein Anliegen an mich?", fragte er stattdessen und wich mir gekonnt aus.

Meine Nasenflügel blähten sich auf, während ich diesen verdammten Gott innerlich tausendmal verfluchte. Ich hob den Kopf und starrte auf die Stelle, an denen ich seine Augen vermutete.

„Rette sie und nimm dafür mich."

Das war die einzige Lösung. Meine Seele für ihre. Nur so konnte das Gleichgewicht der Welten bestehen bleiben.

Ein starkes Beben erschütterte die Zwischenwelt und ließ mich taumeln. Ein lautes, erzürntes Knurren folgte und ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Die Macht, die von seinem Gebrüll ausging, traf mich wie eine Schockwelle und riss mich zu Boden.

„Wie kannst du es wagen, dein Leben für ihres anzubieten!? Sie ist nichts im Vergleich zu dir!", tobte der Gott der Schattenwelt.

Ich kämpfte gegen den Druck, der sich auf meine Ohren gelegt hatte, und mich zwang, am Boden zu bleiben, hartnäckig an.

„Du irrst dich. Ich bin nichts. Sie ist alles, wofür es sich zu leben lohnt'', stieß ich stöhnend hervor, während ich mich in eine knieende Position bemühte. Alles in mir fühlte sich an, als würde ich jede Sekunde unter dem enormen Druck explodieren.

Athanasios' Schatten preschten mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu. Plötzlich waren sie überall. Ich wurde hochgehoben und gegen etwas Hartes gedrückt, während eine Kraft mir die Kehle abschnürte. Zischend zog ich die Luft ein, versuchte den nötigen Sauerstoff in meine Lungen zu pressen, doch die Schatten hinderten mich daran. Der Nebel mit Athanasios' Energie war nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.

„Wie kommst du darauf, dass ich sie verschone, nur weil du mich darum bittest? Wer bist du, Schattenmann, dass du dich in das Spiel zwischen Leben und Tod einmischst!? Ihr zwei hättet euch niemals begegnen sollen! Ich habe dafür gesorgt, dass es nicht passiert, weil ich wusste, dass genau dieser Fall eintreten würde. Bedank dich bei meinem Bruder. Er ist es, der sie zu dir geführt hat und sie dir wieder nimmt, nicht ich. Du hast keine Wahl. Sie wird sterben und nicht du. So wie es vorherbestimmt ist."

Noch einmal verstärkten die Schatten den Druck um meine Kehle, ehe sie mit einem Mal von mir abließen. Die Nebelwand löste sich auf und rückte von mir ab. Röchelnd kippte ich nach vorne und hielt mir die schmerzende Brust, die sich angestrengt hob und senkte.

Meine Hände krallten sich in das bodenlose Nichts. Die Fingerknöchel stachen weiß hervor.

Ich konnte seine Entscheidung nicht akzeptieren.

„Du hast es schon einmal getan. Ich habe in all den Jahrhunderten nie um etwas gebeten. Nur dieses eine Mal. Ich flehe dich an, Athanasios. Es muss einen Weg geben, sie zu retten."

Mir wurde übel bei dem Gedanken, dass er diese Form der Demütigung förmlich genoss. Wenn es einen anderen Weg gegeben hätte, hätte ich diesen gewählt. Doch ich wusste nicht weiter. Meine Macht war im Vergleich zu seiner begrenzt.

„Wenn du von Dante sprichst, dann ist es etwas anderes als bei dir. Er schuldet mir noch einen Gefallen. Etwas, das du mir nicht bieten kannst. Und auch wenn du es könntest, würde ich es nicht annehmen. Weißt du, warum?"

Die Arroganz triefte förmlich aus seiner Stimme.

Mein Kiefer zuckte bedrohlich.

„Sag es mir, verdammt!"

Meine Geduld war am Ende. Der Orkan tobte und wütete, wollte ausbrechen aus seinem Gefängnis.

„Wenn das Seelenmädchen überlebt, sind die drei Ebenen nicht mehr im Gleichgewicht. Sie muss sterben, damit alles seinen geregelten Lauf geht. Und wenn du sie weiter triffst, wird die Welt im Chaos versinken. Deshalb muss sie unter allen Umständen schnellstmöglich den Tod finden! Du hast keine Ahnung, wie viel von diesem Mädchen abhängt, das du zu retten versuchst!"

Er wollte sie also tatsächlich tot sehen. Ich hatte es bereits vermutet und doch konnte ich mir nicht erklären, weshalb.

„Was ist an ihr so besonders?", fragte ich ihn, während eine andere Frage in meinem Kopf geisterte. Wovor hast du so große Angst, Athanasios?

„Du stellst die falsche Frage. Es geht nicht nur um sie, sondern um euch beide."

Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. Seine göttliche Kraft war noch immer schränkend, doch ich war wieder in der Lage mich aufzurichten.

Ich hatte von Anfang an gewusst, dass etwas zwischen Sol und mir anders war. Seit ich ihr das erste Mal in die Augen gesehen hatte, hatte ich dieses starke Band zu ihr gespürt. Wir waren unzertrennlich miteinander verbunden. Sie war das fehlende Teil, nach dem ich immer gesucht hatte. Seit dem Beginn meiner Existenz war ich auf der Suche nach etwas gewesen, das mich vervollständigte und die Leere in mir vertrieb. Jede Entscheidung, die ich getroffen hatte, hatten mich letztendlich zu ihr geführt. So wie es immer sein sollte.

Die Frage war nur: Was war meine tatsächliche Rolle in dieser Verbindung?

„Sag mir, was ich tun kann, um sie vor diesem Schicksal zu retten!", lenkte ich den Fokus wieder auf meine ursprüngliche Bitte.

„Das kannst du nicht", sagte er mit ruhiger Stimme. Für einen kurzen Moment bildete ich mir ein, eine Spur Mitgefühl in seiner Stimme vernommen zu haben, doch ich musst mich geirrt haben. Athanasios besaß keine derartigen Gefühle.

„Was soll ich dann machen? Sie sterben lassen!?", schrie ich ihm lauthals entgegen, während das dumpfe Pochen in meiner Brust unaufhaltsam stärker wurde.

„Du wirst das tun, was von dir verlangt wird. Ich habe es dir bereits erklärt. Wenn sie nicht stirbt, besteht die Gefahr, dass die Realwelt ins Ungleichgewicht fällt. Naturkatastrophen, Gewalt und Kriege können die Folge sein. Viele unschuldige Menschen werden ihr Leben verlieren, wenn du weiter an ihrer Seite bleibst und sie stärkst!", rief er aufgebracht, während seine Schatten wild umherwirbelten.

Ich zögerte, als ein Gedanke sich in meinem Kopf manifestierte. Er verheimlichte mir etwas. Es musste wichtig sein.

Doch ehe ich den Gedanken weiterspinnen konnte, war plötzlich wieder diese unaufhaltsame Wut in mir. Dichter Nebel formte sich in meinen Gedanken. Der Knochenmann kratzte sehnsuchtsvoll an den Innenwänden meines Körpers und bat darum, hinausgelassen zu werden.

„Was interessieren mich die anderen Menschen? Es ist mir gleichgültig, was mit ihnen passiert'', schrie ich, während ich gleichzeitig versuchte, die Verwandlung zu stoppen.

„Das Seelenmädchen wird das anders sehen, wenn sie davon erfährt, und das weißt du. Sie ist zu selbstlos, als dass sie sich am Ende egoistischer Weise für sich selbst entscheiden würde. Sie würde immer die anderen wählen. Hör genau zu, Schattenmann! Ich werde nicht zulassen, dass sie überlebt. Und du wirst mir dabei helfen."

Jegliche Luft entwich meinen Lungen.

Der Knochenmann in mir schrie wutentbrannt auf, während sich die Haut um meine Finger abschälte und blitzend weiße Knochen zum Vorschein kamen.

„Wie kommst du darauf?", zischte ich und ballte die Hände zu Fäusten. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, den Knochenmann zurückzudrängen, doch es gelang mir nur minimal. Mit Athanasios' nerviger Stimme, die mich wahnsinnig machte, würde mir das nur mittelgut gelingen.

„Es gibt nur einen Weg, wie Sol ein glückliches Leben führen kann."

Bei diesen Worten horchte ich auf.

Vergessen war der Kampf mit dem Knochenmann.

Hoffnung keimte in mir auf und ich schwor mir, alles zu tun, um ihr dieses Leben zu ermöglichen.

„Sie muss in diesem Leben sterben. Das ist unumkehrbar. Aber ihre Seele wird wiedergeboren werden und ich werde dafür sorgen, dass sie ein langes glückliches Leben führen wird. Aber diesen Weg werde ich ihr nur unter einer Bedingung schenken."

Es war mir egal, welche Bedingung das war. Ich würde auf sie warten und sie wiederfinden. Vielleicht wäre ich dann irgendwann richtig für sie.

„Ich werde alles machen.''

Der Schatten schwebte auf mich zu.

„Bist du sicher? Es gibt danach kein Zurück mehr, sei dir dessen bewusst'', warnte mich seine dunkle Stimme. Doch ich hörte nicht auf ihn.

„Es ist mir gleichgültig, um welchen Preis es sich handelt. Ich werde ihn zahlen, wenn du danach dein Versprechen einhältst."

Ich hätte in diesem Moment alles getan. Ich hatte nur nicht mit dem gerechnet, was der Gott der Schattenwelt mir daraufhin eröffnete.

„Du wirst ihr das Herz brechen und sie nie wieder sehen. Nur auf dieser Weise bin ich in der Lage, sie nach ihrem Tod vergessen zu lassen, dass ihr euch jemals begegnet seid. Ihre Seele wird sich im neuen Leben nicht nach dir sehnen und sie wird dich nicht suchen. In dem Moment, wenn sie stirbt, werde ich all deine Erinnerung an sie löschen. Es ist dann so, als hätte das zwischen euch nie existiert. Ihr beide werdet frei von dem Gefühl der Sehnsucht sein. Nur so kann ich sichergehen, dass die Welt im Gleichgewicht bleibt. Denn nur darauf kommt es an."

Er nahm mir die Luft zum Atmen.

Ich wollte rebellieren, ihn anschreien, um mich schlagen und mir das nichtexistierende Herz aus meiner Brusthöhle herausreißen, nur um es ihm vor die Füße zu werfen. Es war, als würde mich etwas innerlich verbrennen. Ich wollte die ganze Welt verfluchen, doch stattdessen stand ich da und sagte nichts. Weil ich tief in mir drinnen wusste, dass er recht hatte.

Wenn ich sie in diesem Leben nicht beschützen konnte, dann im nächsten. Auch wenn ich dann kein Teil mehr von ihr sein würde.

Bei dem Gedanken schnürte sich meine Kehle zu. Gleichzeitig verkrampfte sich mein Körper. Ich schützte mich vor den Gefühlen, die mich zu überwältigen drohten, indem ich einfach den Schalter umlegte.

Wir hätten uns niemals begegnen sollen. Ich hätte ihr Licht nicht mit meiner verdammten Dunkelheit umhüllen sollen. Niemals hätte ich so egoistisch sein dürfen, um sie bei mir zu halten, weil ich es nicht ertrug, nicht in ihrer Nähe zu sein. Ich hatte schon mehr von ihr bekommen, als mir eigentlich zu stand.

Die Adern an meinen Unterarmen stachen aufgrund der Anspannung meines Körpers stark hervor.

Und während die nächsten Worte meine Lippen verließen, spürte ich, wie ein Teil von mir starb. Es war der Teil meiner Seele, von dem ich geglaubt hatte, dass ich noch zu retten war.

Ich hatte mich wohl gewaltig getäuscht.

Fest biss ich die Zähne aufeinander, verbeugte mich vor dem Gott der Schattenwelt und sagte mit bebender Stimme: „Du kannst dich auf mich verlassen, Athanasios."

Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte ich mich um und ging durch den lichtdurchfluteten Raum. Ehe der Nebel mich zurück in die Realwelt brachte, um dem Mädchen, das ich liebte, das Herz zu brechen, hörte ich ihn noch leise sagen.

„Sei nicht traurig Atlas. Du solltest diese Emotion nicht einmal besitzen. Es gibt einen Grund, weshalb ich jedem neuen Schatten die Fähigkeit entziehe, Gefühle zu empfinden. Ich wollte nicht, dass ihr noch einmal so verletzt werdet wie in eurem vorherigen Leben."

Nach diesem Gespräch mit Sol würde sowieso nichts mehr eine Bedeutung haben.

Denn wer war ich noch ohne sie?

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