Soulless - Auf ewig verbunden

By freezing_storm

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„Ihre Zeit ist gekommen", ertönte Athanasios' dunkle Stimme durch den dichten Nebel. ,,Ich werde sie nicht s... More

Aesthetics
Prolog
Kapitel 1: Sol
Kapitel 2: Atlas
Kapitel 3: Sol
Kapitel 4: Sol
Kapitel 5: Sol
Kapitel 6: Atlas
Kapitel 7: Sol
Kapitel 8: Sol
Kapitel 9: Atlas
Kapitel 10: Sol
Kapitel 11: Sol
Kapitel 12: Sol
Kapitel 13: Atlas
Kapitel 15: Sol
Kapitel 16: Sol
Kapitel 17: Sol
Kapitel 18: Atlas
Kapitel 19: Sol
Kapitel 20: Atlas
Kapitel 21: Sol
Kapitel 22: Atlas
Kapitel 23: Atlas
Kapitel 24: Atlas
Kapitel 25: Sol
Kapitel 26: Atlas
Kapitel 27: Sol
Kapitel 28: Sol
Kapitel 29: Sol
Kapitel 30: Sol
Kapitel 31: Atlas
Kapitel 32: Atlas
Kapitel 33: Sol
Kapitel 34: Sol
Kapitel 35: Sol
Kapitel 36: Sol
Kapitel 37: Sol
Kapitel 38: Sol
Kapitel 39: Sol
Kapitel 40: Atlas
Kapitel 41: Sol
Kapitel 42: Sol
Kapitel 43: Sol
Kapitel 44: Atlas
Kapitel 45: Atlas
Kapitel 46: Sol
Kapitel 47: Atlas
Kapitel 48: Sol
Kapitel 49: Sol
Kapitel 50: Sol
Epilog
Nachwort

Kapitel 14: Sol

332 43 301
By freezing_storm

Ich lächelte, als Atlas sich mit einem Gesicht, das nicht seines war, vor mir mit dem dunklen Schatten an seiner Hand im Nebel auflöste.

Als er verschwunden war und ich allein mit Horus in der dunklen Gasse zurückließ, die mich an meine Nahtoderfahrung von vor ein paar Wochen erinnerte, spürte ich, wie die Kälte in meine Knochen zog. Das Gefühl, allein gelassen worden zu sein, setzte sich in meinen Gliedern fest, sodass ich mich augenblicklich schwach und ausgelaugt fühlte. Ich taumelte zurück und hielt mich an den feuchten Steinen der Häuserwand fest.

Es war wie jedes Mal, wenn Atlas mich verließ. Er nahm all das Licht und die Kraft, die ich in mir spürte, einfach mit sich und ließ nichts außer meiner leeren Hülle zurück. Die Mischung aus Erbrochenem, Urin und verwesten Essensresten kroch mir in die Nase und ließ die Übelkeit in mir aufsteigen. Es hätte mir von Anfang an klar sein sollen, dass die Pommes nicht in mir bleiben würden.

Doch ehe mich der Schwindel komplett einhüllte und der Brechreiz einsetzte, tauchte Atlas plötzlich wieder vor mir auf. Erleichterung durchflutete mich und ich konnte nicht anders, als meine dünnen Arme um seinen Oberkörper zu schlingen und mich an ihn zu drücken. Ich wusste nicht, woher ich diesen Mut hatte, doch es fühlte sich richtig an. Vielleicht hatte mir der Abend doch mehr zugesetzt, als ich jemals ihm gegenüber zugeben würde.

Als unsere Körper sich berührten, nahm wieder diese wärmende Kraft Besitz von mir und vertrieb das Übelkeitsgefühl. Der Nebel in meinem Kopf lichtete sich. Ich hob meinen Blick und sah vorsichtig zu Atlas hinauf. Sein Gesicht war wieder das seine und sofort spürte ich, wie mein Herzschlag sich unter seinem durchdringenden Blick beschleunigte und die Schmetterlinge in meinem Bauch wild umhertanzten.

Ich sollte Angst vor ihm haben. Vor diesem Wesen, das in ihm ruhte und mich fühlen ließ, als würde ich unter seinem Blick ausgenommen werden. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich keine Angst vor seiner wahren Gestalt gehabt hätte. Aber dieses Gefühl hatte nur für wenige Augenblicke angehalten. Hinter all der Verdammnis, die er in diesem Moment förmlich ausgestrahlt hatte, hatte ich dennoch eine Verbindung zu ihm gespürt. 

Trotzdem schien irgendwas mit meinem Gehirn nicht zu funktionieren. Amy musste mit ihrem fetten Hinterteil meine Angst -Rezeptoren blockieren. Anders konnte ich meine tiefen Gefühle, die ich auch in diesem Moment zu diesem Mann gespürt hatte, nicht erklären. Oder vielleicht lag es auch einfach daran, dass er mir noch keinen Grund gegebenen hatte, ihn zu fürchten. Atlas hatte mir, seit wir uns kennen, kein Haar gekrümmt. Auch nicht, als er sich zu einem Skelett gewandelt hatte. Warum auch immer hatte er mich verschont und mich beschützt vor diesen Männern in der Gasse.

Das war es, was er immer machte. Er wachte über mich. Auch, wenn ich dachte, er wäre nicht da, schien er immer ein Auge auf mich zu haben. Wie vor ein paar Stunden, als meine Sehnsucht zu ihm mir körperliche Schmerzen zugefügt hatte und ich aus einem mir unergründlichen Grund auf die befahrene Straße getaumelt war, hatte er mich vor meinem Schicksalstod bewahrt.

Während ich Gefahren magisch anzuziehen schien, seit ich Atlas kannte, tat er alles dafür, um mich aus diesen misslichen Lagen zu retten.

Es war nicht verwunderlich, dass ich ihm vertraute. Deshalb fragte ich mich auch, wie er nur denken konnte, es wäre anders.

Die Tatsache, dass er ein Sensenmann war oder seine Fähigkeit, seine menschliche Form zu wandeln, änderten nichts an meinen Gefühlen zu ihm.

Du bist einfach unverbesserlich, weißt du das? Ihr habt keine Zukunft! Warum bindest du dich an jemanden, obwohl du weißt, dass du dich von ihm trennen musst, wenn die Zeit gekommen ist?!

Amys Stimme brachte mich aus dem Konzept, da ich insgeheim wusste, dass sie recht hatte. Ich wollte ihr antworten, dass sich noch nie in meinem Leben etwas so richtig angefühlt hatte, wie seine Arme um meinen Körper. Und dass ich mich unvollständig fühlte, wenn er nicht bei mir war. Oder dass meine Haut anfing zu krabbeln, als würden tausende Ameisen über meine Haut wandern, und ich dabei förmlich spürte, wie ich mich erholte und die Schmerzen versiegten.

Doch ich schwieg, obwohl Amy all meine Gedanken gehört hatte.

Du bist nicht diejenige, die am Ende übrigbleibt. Das ist er, murmelte Amy, während sie sich zurückzog und mich allein zurückließ.

Ich wollte mir nicht eingestehen, dass sie recht hatte. Ich sollte auf sie hören und mich von ihm fernhalten. Doch bekannterweise machte ich immer das Gegenteil von dem, was man mir sagte. Mein Griff um seinen Rücken verstärkte sich, als könnte ich damit verhindern, dass bald das Unausweichliche eintrat.

,,Ich bringe dich hier weg, okay?'', rief er mit dieser unglaublich verführerischen Stimme, die mir eine Gänsehaut bescherte. Er schien meine Geste missverstanden zu haben, doch es war mir egal.

Wie ein kleines Kind, das Angst vor der Dunkelheit hatte, nickte ich kräftig und vergrub meinen Kopf an seiner Brust.

Er musste nicht wissen, dass ich mich nicht vor dieser Gasse fürchtete, sondern vielmehr vor dem, was ich bereit war zu tun, um länger bei Atlas zu bleiben. Obwohl ich wusste, dass das zwischen uns nicht sein durfte und niemals gut gehen würde. Nicht jede Geschichte hatte ein Happyend. Meine war eine davon.

Dieses Mal spürte ich keinen Druck auf meiner Brust, als der glänzend weiße Nebel sich gespenstig um uns wand. Ich schloss die Augen und als ich sie im nächsten Augenblick öffnete, befanden wir uns wieder in seiner Wohnung.

Das Adrenalin floss noch immer kräftig durch mein Blut und ließ den Schock, den ich vermutlich erst morgen in mir spüren würde, nicht an die Oberfläche kommen. Trotzdem schien an diesem Abend irgendwas in mir kaputt gegangen zu sein. Denn unter normalen Umständen, hätte ich Atlas schon längst aus reiner Scham losgelassen. Doch ich hielt ihn immer noch fest umklammert.

Und das nach all dem, was du heute gesehen hast. Mädchen, du willst es einfach nicht begreifen. Er versucht mit allen Mitteln, dich von ihm zu stoßen. Doch du bist einfach nur ein sturer Bock und stürzt dich weiter in dein Verderben, belehrte mich Amy und erinnerte mich an meine alte Biologielehrerin, die mal etwas Ähnliches zu mir gesagt hatte.

Und sie hatte vollkommen recht damit. Ich war unheimlich stur und ein klein wenig eigensinnig.

Doch wie könnte ich dem Mann, der mein Herz unaufhaltsam zum Schlagen brachte, als würde ich einen Marathon laufen, jemals den Rücken zukehren, nur, weil er anders war? Vielleicht war ich ja wirklich verrückt. Manche würden mich auch als lebensmüde bezeichnen, aber ich nahm all diese Bezeichnungen in Kauf, wenn ich dafür an seiner Seite bleiben konnte. Denn das war alles, was ich wollte.

Es war mir gleichgültig, dass er ein Bote des Todes war und er die Seelen der Verstorbenen einsammelte.

Es kümmerte mich nicht, dass er sich in ein Skelett verwandeln konnte und damit böse Menschen bestrafte. – Am Ende erwischte ich mich noch dabei, wie ich ihm jubelnd zurief.

Das kann ich mir vorstellen. Vom Fangirl zum Cheerleader fehlt nicht mehr viel, murrte Amy.

,,Es tut mir leid für das, was du heute Abend sehen musstest'', flüsterte er an meinen Haaransatz, sodass ich die Vibration seiner Stimme an seiner Brust spüren konnte.

Ich löste mich ein wenig von ihm, um ihn anschauen zu können.

Sein Gesicht mit dem angespannten Kiefer und den traurigen, silbernen Augen zeugten von tiefster Reue. Ich schüttelte heftig den Kopf.

,,Du musst dich nicht entschuldigen'', sagte ich mit fester Stimme, damit er nicht weiterhin glaubte, er sei schuld an etwas, das heute Abend passiert war.

,,Das ist es, wer ich bin'', flüsterte er und klang dabei, als wäre er etwas Abscheuliches. Ich hatte es schon vermutet, doch nun wurde es mir klar. Es war purer Selbsthass, der sich in seinen Augen spiegelte, während er diese zusammenkniff und sich von mir abwandte.

Ich löste meinen Griff um seinen Oberkörper und gewann ein wenig Abstand zwischen uns, nur damit ich genügend Spielraum hatte, sein kantiges Gesicht zwischen meine Hände zu nehmen. Sein leerer Blick begegnete meinen.

,,Schäme dich niemals für das, was du bist. Es ist egal, welches Erscheinungsbild du annimmst. Es zählt nur, dass du dich unter all den Formen nicht verlierst.''

Ich wusste, dass Atlas diese Worte von jemanden hören musste. All seine Versuche, mich von ihm zu schieben, waren nur seiner Angst verschuldet, er könnte mich verletzten. Doch er verstand nicht, dass er mir am meisten weh tat, wenn er sich von mir abwandte.

So auch jetzt.

Seine Hände legten sich bestimmend um meine Handgelenke und führten sie weg von seinem Gesicht. Die Kälte in seinen Augen versetzte mir einen weiteren Stich. Er versuchte alles, um seine wahren Gefühle zu verbergen. Doch das würde bei mir nicht funktionieren. Amy hatte recht gehabt. Er tat alles dafür, dass ich nur die Dunkelheit in seiner Seele sah, die seinen Selbsthass widerspiegelte und ihm die Möglichkeit gab, sich von mir zu entfernen. Doch ich ließ mich nicht einfach abwimmeln. Da hatte er sich die falsche Person ausgesucht. Ich würde mich an ihn klammern, wie ein Koala Baby und ihn nicht mehr loslassen. Es brauchte schon ein wenig mehr, um mich zu verschrecken.

Er wandte sich von mir ab und fuhr sich frustriert durch die hellen Haare, sodass ihm eine Haarsträhne verwegen im Gesicht hing, ehe er sich wieder zu mir umdrehte und mich wütend anfunkelte.

,,Was stimmt mit dir nicht!?Ich setzte dir eine Grenze nach der anderen. Doch egal, wie hoch ich die Barrikaden ziehe, du kletterst einfach darüber.'' Dabei wedelte er die ganze Zeit wirsch mit den Händen in der Luft, um mir zu zeigen, dass diese Hürden für jeden normalen Menschen unüberwindbar werden.

Ich wusste, dass es völlig unangebracht war, doch ich konnte nicht anders, als breit zu grinsen.

Boar, nur du kannst das als Kompliment auffassen. Unglaublich!, rief Amy erzürnt, während sie wild in meinem Kopf herumgeisterte.

Atlas schaute mich nur entsetzt an, ehe auch seine Mundwinkel sich verräterisch anhoben.

Gott waren wir seltsam.

,,Du bist unfassbar. Wie kannst du jetzt anfangen zu lachen?'', fragte er und schüttelte ungläubig den Kopf.

Selbstsicher trat ich einen Schritt auf ihn zu und überbrückte eine weitere Grenze, die er gezogen hatte. Siegessicher hob ich mein Kinn und kam seinem Gesicht gefährlich nahe. Sein Adamsapfel zuckte verräterisch, als er kräftig schluckte. Meine Nähe musste ihn aus dem Konzept bringen. Allein dieser Gedanke ließ das Lächeln auf meinen Lippen noch breiter werden. Die Spannung zwischen uns war deutlich spürbar. Mein Herz klopfte unaufhaltsam in meiner Brust, während die Schmetterlinge in meinem Bauch Loopings schlugen.

,,Du solltest das nicht tun, Sol'', raunte er mir zu, während er gebannt auf meine Lippen schaute. Sie fingen unter seinem Blick an, verheißungsvoll zu prickeln. Ich hatte erst zu spät bemerkt, dass ich ihm unbewusst nähergekommen war.

,,Ich weiß, was du hier versuchst. Du willst mich von dir stoßen, weil du denkst, du könntest mich verletzen. Doch du verstehst eine entscheidende Sache nicht. Dass du gehst und dich von mir abwendest, ist es, was mir am meisten Angst macht. Also hör auf zu glauben, du wüsstest, was das Beste für mich ist, wenn du doch direkt vor mir stehst.''

Und damit löste ich mich von ihm und drehte mich um.

Oh mein Gott! Ich hatte es tatsächlich gesagt. Eindeutig kam jede Hilfe für mich zu spät.

Doch Atlas schien alles, was ich sagte, falsch aufzufassen.

,,Du verstehst nicht, warum ich alles daran setze, dass du mir nicht zu nahe kommst. Denkst du wirklich, ich will, dass du dich von mir fernhältst?'', stieß er erzürnt hervor, während er mein Handgelenk packte und mich wieder zu ihm umdrehte.

Meine Scham war mit einem Mal verpufft. Warum kapierte dieser Idiot es einfach nicht? Sollte ich es ihm noch buchstabieren?

,,Warum tust du es dann?'', schrie ich ihm entgegen, da ich die Wut, die sich in meinem Magen geformt hatte, nicht mehr bändigen konnte. Sofort bereute ich es. Was wusste ich schon? Vor wenigen Stunden war ich mir nicht mal darüber bewusst gewesen, dass es Sensenmänner tatsächlich gab.

Sein Kiefer malmte unaufhaltsam.

Oh, oh. Jetzt hast du es verkackt, mischte sich Amy auch noch ein.

,,Es ist kompliziert'', zischte er aus zusammengebissenen Zähnen.

Wieder war ich es, die den Abstand zwischen uns schloss. Wenn wir uns stritten, würden wir nicht weit kommen.

,,Dann erklär es mir'', hauchte ich und schaute ihn dabei abwartend an. Sein Gesicht entkrampfte sich bei meiner Bitte und nahm einen weichen Zug an. ,,Das alles.'' Ich deute mit einer ausschweifenden Handbewegung um mich herum. ,,Wie kann ich etwas verstehen, von dem ich nicht einmal weiß, das es existiert?''

Noch immer trug er diese ausdruckslose Maske auf seinem Gesicht, als wäre sie seine zweite Haut. Hauptsache, niemand bekam mit, was sich unter seiner Fassade abspielte.

,,Bevor ich dir alles erzähle, möchte ich, dass du mir etwas versprichst.''

Ich nickte zögerlich, da ich nicht wusste, um was er mich bitten würde. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich in der Lage war, dieses Versprechen einzuhalten.

,,Falls ich irgendwann nicht mehr auftauchen sollte, such nicht nach mir. Egal, was du machst. Dreh dich nicht um und versuch nicht, mich zu finden! Hast du gehört?''

Er hatte meine Schultern gepackt und rüttelte mich leicht.

Wie ich schon befürchtet hatte, konnte ich seiner Bitte nicht nachkommen. Dennoch veranlasste mich das Flehen in seinen Augen einzuwilligen. Obwohl jede Faser in mir sich dagegen wehrte. Alles fühlte sich plötzlich klein und unbedeutend an.

,,Und doch weiß ich, dass dir das unmöglich sein wird'', stieß er hervor und fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht.

,,Woher weißt du das?'', fragte ich ihn und hatte kurz die Befürchtung, er konnte Gedanken lesen. Sofort schoss mein Puls in die Höhe.

Seine Mundwinkel zuckten verräterisch bei meinem entsetzten Gesichtsausdruck.

,,Keine Sorge, Rehkitz. Ich kann keine Gedanken lesen.'' Ich atmete hörbar aus. Das hätte durchaus peinlich werden können. Sofort musste ich an all die Male zurückdenken, an denen ich sabbernd sein attraktives Gesicht bewundert und mir ausgemalt hatte, wie sein Körper wohl unter all den Klamotten aussah. Sofort stieg mir die Schamesröte ins Gesicht.

,,Es ist dieser verdammte Mistkerl, dem wir all das zu verdanken haben. Wegen ihm bist du an mich gebunden.''

Ich fühlte mich von seinen Worten zurückgestoßen. Er war mir also nicht freiwillig so nah. Das zwischen uns war nicht echt. Oder?

,,Was bedeutet das?'' Ich versuchte meine Stimme neutral klingen zu lassen, damit er nicht merkte, wie sehr er mich mit seinen Worten getroffen hatte. Doch das Zittern in meiner Stimme hörte sich schwach und anklagend an.

,,Es gibt einen Grund, warum wir diese enorme Anziehung zueinander spüren. Nur habe ich noch nicht herausgefunden, was das für eine Verbindung ist und wie sie überhaupt möglich ist.''

Er fuhr sich durch die kurzen Haare und biss sich dabei auf die Unterlippe.

Mein Kopf rauchte. Langsam wurde mir alles zu viel. Ich wusste nicht, von was er redete oder was er mit dieser Verbindung andeuten wollte. Nichts ergab einen Sinn. Waren meine Gefühle etwa falsch? Oder existierten sie nicht wirklich?

Doch mir wurde im selben Augenblick bewusst, dass Atlas mir auf diese Fragen ebenfalls keine Antwort geben konnte.

,,Ist das alles hier überhaupt real? Oder träume ich nur?''

Es war die Frage, die mir schon seit Wochen im Kopf geisterte. Ich dachte an Hailee und den Umstand, dass sie ihn augenscheinlich nicht sehen konnte.

Atlas hielt mitten in der Bewegung inne und schaute mich ungläubig an.

,,Warum glaubst du, dass alles nur ein Traum ist?'' Die Verwirrung war ihm eindeutig ins Gesicht geschrieben. Er kam einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück und schaute beschämt zur Seite. Meine Lippen bebten verräterisch.

Sollte ich es ihm sagen?

Doch das würde alles zwischen uns verändern.

Vielleicht weiß er es bereits. Immerhin ist er ein Sensenmann. Denkst du nicht, er kann es spüren?, wisperte Amy.

,,Ich glaube, ich kann nicht mehr unterscheiden, was Realität ist und was nicht.'' Dabei schaute ich auf meine Hände, die unaufhaltsam zitterten.

Ich konnte seine Wärme spüren, bevor er mich berührte. Er legte seine große Hand tröstend an meine Wange. Unbewusst wiegte ich mich in der Sicherheit, die er mir mit dieser einfachen Geste gab und schloss die Augen. Wieder erfüllte mich diese elektrisierende Kraft, die mich all meine Ängste vergessen ließ.

Vorsichtig nahm er mein Kinn zwischen seine Finger und hob es ein Stück an, sodass ich gezwungen war, in seine schönen Augen zu sehen.

,,Wie solltest du dir das nur einbilden können? '', wisperte er und strich mir mit seinem Daumen über die ausgetrockneten Lippen. Mein Herzschlag setzte aus, als sein Gesicht mir immer näherkam. ,,Oder das?'', flüsterte er und beugte sich so nah zu mir, dass sein Mund ganz sanft über meine Wange strich.

,,Wie könntest du dir diese Berührung jemals einbilden?'' Er nahm seine Hand von meinem Gesicht und verschränkte seine kalte Hand mit meiner. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. ,,Und wie kannst du dir einreden, dass du die Sehnsucht nicht tief in deiner Seele spürst, wenn ich nicht bei dir bin?''

,,Das kann ich nicht'', hauchte ich, während ich seine Hand noch fester drückte, weil ich genau wusste, von was er sprach.

Sein Lächeln, das so voller Aufrichtigkeit und Treue strahlt, wurde bei meinen Worten breiter, da er genau wusste, welchen Einfluss seine Nähe auf mich hatte.

,,Dann hör auf, dich zu fragen, ob das alles hier real ist. Ich weiß, dass all das für dich schwer zu verarbeiten sein muss. Doch du bist nicht verrückt. Die Welt ist viel komplizierter, als man als Normalersterblicher annimmt.''

Nicht einmal in meinen wildesten Träumen hätte ich mir vorstellen können, wie komplex unsere Welt in Wirklichkeit war. Erst, als es zu spät war und der Erdboden mich mit seinem breiten Maul längst verschlungen hatte, realisierte ich, dass Atlas und ich nicht dazu bestimmt waren, zusammen zu sein. Und nicht das Licht, sondern die ewige Dunkelheit mein Schicksal war.

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