Zweite Chance

By Lara99_

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Keira hat eine Vergangenheit, die sie um jeden Preis verdrängen und vergessen will. Sie beginnt zu Studieren... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog

Kapitel 15

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By Lara99_

Heyy, Leute. Tut mir leid, dass so lange kein Update mehr kam:/ Ich hoffe, ihr KOMMENTIERT gaaaaaanz viel und VOTET!! Ich bräuchte wirklich mal eure Meinung, im Moment habe ich nämlich keine Ahnung, ob ihr das Buch gut oder scheiße findet und das inspiriert mich nicht wirklich um weiter zu schreiben. ALSO: MEINUNGEN DA LASSEN, AUCH KRITIK!!


Kapitel 15

Du bist das Licht

Du bist die Nacht

Du bist die Farbe meines Blutes

Du bist die Heilung

Du bist der Schmerz

Du bist der Einzige, den ich berühren will

- Ellie Goulding, Love me like you do

Bellas Kleidung war mir zwar etwas zu groß, aber bei der Jogginghose und dem Kapuzenpulli, den sie mir am nächsten Tag auslieh, machte mir das nichts. Mir war an diesem Morgen sowieso alles relativ egal. Ich hatte diese Nacht davon geträumt, dass zwischen Tobias und mir niemals etwas vorgefallen war. Wir hatten zusammen auf dem Balkon gesessen, mein Kopf in seinem Schoß, während er mir noch einmal Helenas und Paris Geschichte erzählte und dabei mit meinen Haaren spielte. Als ich aufgewacht war, war ich verstört gewesen. Ich wusste gar nicht, was los war, wo ich war und zu allem Übel hatte ich angefangen zu weinen, weil ich unbedingt wollte, dass dieser Traum zur Realität wurde.

Bella hatte mich mit einem Teller Pfannkuchen ablenken wollen, dass das alles nur noch schlimmer machte, verheimlichte ich ihr. Essen nicht vergessen Kätzchen, mit jedem Bissen hörte ich seine Worte ein neues Mal und meine Backe hatte angefangen zu bluten, weil ich mir so oft darauf beißen musste, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Damon hatte schon oft gesagt, wie sehr er mich für meine Stärke bewunderte und jetzt fragte ich mich wirklich, was an einem Mädchen, das nicht aufhören konnte zu weinen, stark war. Ich war eine Heulsuse, kein starker Mensch.

Bellas Mutter bot mir an, dass ich heute hier bleiben konnte. Anscheinend musste ich extrem schlimm aussehen und als ich geduscht hatte und mich im Spiegel ansah, konnte ich das bestätigen. Meine Haut war kreideweiß, meine Augen rot und meine Lippe aufgebissen. Seufzend benutzte ich Make-Up von Bella um mich wenigstens etwas weniger wie einen Vampir aussehen zu lassen. Es gelang mir nur teilweise.

„Sicher, dass du heute in die Schule gehen willst, Süße?" fragte Bella mich vorsichtig.

„Ja." Ich nickte. „Ich renne nicht vor ihm weg, das klappt sowieso nicht."

„Du bist so stark, Keira. Ich hätte mich in meinem Zimmer verkrochen und mich zu Tode gehungert." gestand Bella und lächelte schwach.

„Ich bin nicht stark." erwiderte ich.

„Nach außen hin schon." Erneut lächelte sie. „Deine Schultern sind straff, dein Kinn nach vorne gerichtet und du hältst deinen Kopf hoch in den Himmel."

„Hat mir Damon beigebracht. Schultern breit, Kopf nach oben, nicht aufgeben. Und auf keinen Fall die Leute sehen lassen, wie verletzt du wirklich bist." Ich schnitt eine Grimasse, die einem Lächeln hätte ähneln sollen.

„Ich weiß nicht, aber Damon beeindruckt mich wirklich. Er wirkt so stark, unerreichbar und unglaublich ernst. Als würde er das Leben in und auswendig kennen und sich von niemandem etwas sagen lassen."

„Das ist Damon." sagte ich leise. „Aber ich wünschte, er hätte nicht so viel durch machen müssen, um so zu werden."

„Das war wahrscheinlich der Preis." seufzte sie. „Ich weiß zwar nicht, was ihm passiert ist, aber es muss einiges gewesen sein."

„Ja." Ich schluckte.

„Er würde ein unglaubliches Mädchen verdienen, findest du nicht?" überlegte sie laut.

„Die Richtige." flüsterte ich und erinnerte mich an Tobias Worte. "Ich vertraue einfach darauf, dass es wahr ist. Dass ich irgendwann auch mal das richtige Mädchen finde." Die Liebe, an die hatten Damon und ich schon vor einiger Zeit aufgehört zu glauben.

„Ja, genau." Sie nickte. „Aber nicht nur für Damon ist da draußen irgendwo die Richtige. Genauso ist da draußen auch der Richtige für dich."

„Du weißt, dass ich daran nicht glaube." seufzte ich.

„Ja, aber trotzdem heißt das nicht, dass ich nicht Recht habe." Sie grinste und harkte sich bei mir unter, während wir zur Schule liefen.

Ich sah Tobias wirklich die ganze erste Hälfte des ersten Tages nicht, wie eigentlich immer. Er hatte ganz andere Kurse wie ich. Aber dann kam die Mittagspause. Bella merkte mein Nervös Sein und versuchte dem entsprechend mich abzulenken. Und das klappte auch, bis ich ihn mit Fynn an unserem Tisch sitzen saß. Wie jeden anderen Tag auch. Aber sonst lachten die beiden immer und machten irgendwelche Witze. Jetzt sah Fynn ihn nur ratlos an und Tobias stocherte gedankenverloren in irgendeiner Paste herum, die er sich in der Mensa gekauft haben musste. Ich hatte mich so an sein normales, gesundes, Aussehen gewöhnt, dass ich jetzt überrascht über die dunklen Ringe unter seinen Augen und die eingefallenen Schultern war. Fynn sagte irgendetwas und Tobias sah sofort in unsere Richtung. Als sein Blick auf mich fiel, sprang er wie von der Tarantel gestochen auf und lief zu Bella und mir.

„Kätzchen, ich-"

Weiter kam er nicht. Bella tat etwas, das ich niemals gedacht hätte, dass sie in einer Million Jahre tun würde. Sie hatte sich wütend vor ihm aufgebaut, ihm ohne mit der Wimper zu zucken eine Ohrfeige verpasst und funkelte ihn zornig an.

„Wag es ja nicht mit ihr reden zu wollen. Diese Chance hast du verbockt und zwar richtig. Du bist ein Arsch und ich hoffe wirklich, dass du das weißt. Keira vertraut niemandem so leicht und du hast alles kaputt gemacht. Du solltest dich schämen und zwar richtig."

Damit schnappte sie sich meine Hand und zog mich quer durch die Mensa, bis wir uns nach Draußen auf eine Bank setzten und sie mir wortlos unsere mitgebrachten Brötchen reichte.

„Wow." sagte ich leise, worauf Bella grinste und wir beide begannen zu lachen.

„Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich war nur so wütend." sagte sie schließlich und seufzte.

„Das war wirklich cool. Danke." Ich lächelte sie dankbar an, worauf sie mich einmal drückte.

„Gern geschehen. Niemand verletzt meine beste Freundin und kommt damit ungeschehen davon."

Bis dahin war wirklich alles okay. Wäre Bella nicht von unserer einen Dozentin nach der Vorlesung

zu einem Gespräch gebeten worden, sodass ich allein zu meinem nächsten Kurs laufen musste. Ich hatte noch nicht einmal den halben Weg hinter mir, als er von jetzt auf gleich vor mir stand. Ohne Vorwarnung, ohne eine Möglichkeit für mich einfach weglaufen zu können.

„Kätzchen-"

Sofort unterbrach ich ihn. „Hör auf mich so zu nennen, verdammt." Mein Herz tat schon genug weh.

„Okay," Er nickte niedergeschlagen. „Keira." Es war so ungewohnt meinen richtigen Namen aus seinem Mund zu hören und um ehrlich zu sein, tat das wahrscheinlich sogar noch mehr weh. „Es tut mir leid, was passiert ist-"

„Ja, mir auch. War's das?" Ich sah ihn genervt an.

„Nein, lass mich wenigstens erklären-"

„Da gibt's nichts zu erklären."

„Natürlich gibt's da was zu erklären!" rief er frustriert. „Du weißt doch gar nicht wie-"

„Wie gut du schauspielern kannst? Oh doch, davon habe ich einen wirklich guten Einblick bekommen." Ich lachte humorlos und wollte mich an ihm vorbei drücken, allerdings griff er unerwartet nach meinem Handgelenkt und hielt mich fest.

„Keira-"

„Fass mich nicht an." zischte ich, bevor ich mich los riss und das Weite suchte.

Letztendlich schwänzte ich die letzte Stunde und lief stattdessen erneut zum Balkon. Dieses Mal stieg ich die Treppen mühevoller nach oben. Ich war einfach fertig. Ich war nur zweimal mit Tobias konfrontiert worden, aber das hatte mir schon gereicht. Wie um alles in der Welt sollte ich mit ihm weiterhin in einer Wohnung leben? Vielleicht sollte ich vorrübergehend einfach zu Damon ziehen, aber den Gedanken verwarf ich wieder, sobald er gekommen war. Er war zwar wie ein Bruder für mich, aber jeder von uns brauchte seine Ruhe. Wenn wir in einer drei Zimmer Wohnung ununterbrochen aufeinander sitzen würden, würden wir beide durchdrehen. Aus dem Grund hatten wir uns auch bewusst dazu entschieden mit einer fremden Person eine Wohnung zu nehmen. Und das war auch eigentlich ganz gut gegangen, zumindest für ihn. Bei mir sah das etwas anders aus.

Mir war gar nicht bewusst, dass ich angefangen hatte zu weinen, als ich oben angekommen war. Ich lief zitternd in die Wohnung mit dem Balkon und kletterte mühsam über die Kommode. Allerdings stellte ich mich so dumm drein, dass ich unkontrolliert herunter fiel und mir meine Knie auf dem Beton aufschürfte. Ich schniefte und begann noch mehr zu weinen.

„Kätzchen?"

Ich vergrub meinen Kopf zwischen meinen Beinen und versuchte seine Stimme auszublenden. Ich brauchte jetzt nicht auch noch irgendwelche Flashbacks, die mich noch mehr nach unten zogen.

„Kätzchen?"

Mein Zittern wurde stärker, die Tränen wurden mehr und der Schmerz wurde in jedem kleinsten Detail wieder präsent. Diese Besorgnis und das Liebevolle hörten sich einfach zu real an.

„Hey, was ist los? Hast du dir wehgetan? Kätzchen bitte, schau' mich an. Bist du okay, ich muss wissen ob du okay bist."

Kein Flashback. Diese Worte hatte er niemals zu mir gesagt. Ruckartig hob ich meinen Kopf und sah ihn vor mir knien, mit einem besorgten Ausdruck in seinen Augen. Eilig rappelte ich mich auf, stolperte allerdings und fand mich Sekunden später in seinen Armen wieder.

Es war seltsam. Ich wartete und wartete, aber die Angst kam nicht. Der Reflex setzte nicht ein, ich lag einfach nur da und verließ mich darauf, dass er mich nicht fallen ließ. Und dann passierte etwas, das ich mit keinem Bisschen verstehen konnte. Es begann zu kribbeln, überall dort wo seine Arme mich berührten. Und erneut wartete ich darauf, dass es sich unangenehm oder widerlich anfühlte, aber nichts davon trat ein. Stattdessen begann ich das Gefühl zu genießen. Diese Sicherheit, das zu Hause Gefühl. Und am liebsten hätte ich über mich selbst gelacht. Denn ich stieß ihn nicht weg, wie ich es hätte tun sollen. Ich bleib auch nicht bewegungsunfähig, sondern schlang meine Arme um ihn und drückte mich an seinen Körper. Und dann begann ich erneut zu weinen, falls ich überhaupt damit aufgehört hatte. Diese Situation war so surreal und falsch aber gleichzeitig fühlte es sich verdammt richtig an. Meine Tränen durchnässten sein Shirt, während ich mich immer näher an seine Brust drängte und seine Arme mich umklammerten und mir dabei halfen. Er vergrub seinen Kopf an meinem Nacken und sein Atem auf meiner Haut jagte angenehme Schauer über meinen Körper. Ich hätte mich unwohl fühlen sollen, aber das tat ich nicht. Ich genoss die Nähe von dem Mann, der mir gestern so sehr wehgetan hatte, dem ich nicht vertrauen durfte. Aber es war mir egal. Alles, die ganze Welt. Es zählte in diesem Moment einfach nur die Tatsache, dass ich mich in seiner Nähe lebendiger fühlte, als irgendwo sonst.

Irgendwann begann er mein Kinn zu küssen, meine tränennasse Wange, die Stelle hinter meinem Ohr und ich klammerte mich noch fester an ihn. Meine Augenlider schlossen sich automatisch und ich gab mich voll und ganz diesem ungewohnten, wunderschönen Gefühl hin, ihm diesen Moment zu überlassen. Gänsehaupt überzog jeden einzelnen Teil meiner Haut, während er mich sanft von sich weg drückte um mein Gesicht in seine Hände zu nehmen und mir die restlichen Tränen von den Wangen zu streichen. Langsam öffnete ich meine Augen wieder und starrte in seine, während sein Daumen über meine Lippe glitt. Genießerisch schloss ich sie erneut und lehnte mich gegen ihn, ließ dieses wunderschöne Gefühl zu, obwohl es naiv war. Schließlich presste er seine Stirn gegen meine und hielt mich an der Hüfte fest.

„Es tut mir so leid." murmelte er und drückte mir einen federleichten Kuss auf meine Schläfe, bevor er wieder seine Stirn gegen meine lehnte. „Ich hatte vergessen, dass du später von der Schule nach Hause kommen würdest und bin in dein Zimmer gegangen, weil ich wissen wollte, ob du so schlechte Laune hast, dass du mir nicht Hallo gesagt hast. Erst als ich gesehen habe, dass du nicht da warst ist mir eingefallen, dass du länger Schule hast. Ich wollte wieder gehen, aber da hat ein Buch auf dem Boden gelegen. Ich wollte es nur wieder auf deinen Schreibtisch legen, das musst du mir glauben. Aber als ich es aufgehoben habe, habe ich automatisch einige Zeilen davon gelesen. Es hat mich gefesselt, wie du geschrieben hast und ich habe angefangen zu lesen. Ich - Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun sollen, es tut mir leid."

Er drückte mir einen Kuss auf meine Stirn und ließ seine eine Hand wieder zu meiner Wange wandern. „Es tut mir leid." sagte er erneut und sah mir in die Augen. „Bitte, ich wollte dir niemals weh tun, Kätzchen. Und ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe. Gib mir bitte noch eine Chance."

Er sah mich flehend an und ich wusste gar nicht, was ich in diesem Moment sagen oder tun sollte. Also gab ich diesem ungewohnten Gefühl wieder nach und presste meinen Kopf an seine Brust. Sein Herz klopfte kräftig in seiner Brust und ich seufzte angesichts dieses beruhigenden Geräusches. Ich sog seinen Geruch tief ein, bis ich mich vollkommen gefasst hatte und ihn wieder ansah.

„Du hast mir weh getan." sagte ich schließlich. „Es gab einen Grund, warum ich dir nichts davon erzählt habe."

„Ich weiß." erwiderte er und strich mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Ich hätte es dir wahrscheinlich sogar erzählt." murmelte ich, etwas abgelenkt von den Schauern, die bei seiner Berührung entstanden.

„Ich hatte nie vor es zu lesen, wirklich." Er küsste erneut meine Stirn und sah mir in die Augen.

„Du hast getrunken."

„Ja." Seine Augen wurden traurig und er umklammerte meinen Körper etwas fester. „Ich habe dir wehgetan, etwas was ich nie wieder tun wollte. Ich bin mit der Tatsache nicht klar gekommen." Er fuhr mit seiner Nase die Linie von meinem Kiefer zu meiner Schläfe nach, weshalb es mir so vorkam, als ob ich nicht die Einzige wäre, die diese Berührungen so sehr genoss.

„Du hast mit diesem Mädchen geschlafen."

Er hielt mit seinen Bewegungen inne und sah mich erstaunt an. „Woher weißt du das?"

Ich seufzte. „Ich habe euch gesehen."

„Du warst zu Hause?" Zu Hause, er hatte zu Hause gesagt. Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit.

„Ja, mir war kalt. Ich weiß nicht, wie lange ich hier gesessen habe."

Auch er seufzte und fuhr mir mit seinem Daumen über die Wange. „Ich habe gedacht, dass ich mich damit ablenken könnte."

„Ablenken?"

„Ja, aber es hat nicht funktioniert. Genauso wenig wie mit dem Alkohol." Er lächelte schwach und strich sanft über meine Augenbraue. „Du zuckst gar nicht weg."

Ich schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, aber frag mich nicht warum."

„Muss ich auch gar nicht." Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und lächelte. „Ich habe mir so lange gewünscht dich zu umarmen oder zu berühren, dass mir das egal ist."

„Ja?" fragte ich leise und sah ihn vorsichtig an.

„Mhm." murmelte er abwesend, während er mit seinen Lippen meinen Kiefer nach fuhr. „Aber ich hatte Angst, dass du wieder Angst bekommen würdest."

„Tobias." sagte ich nach einer Zeit leise und öffnete die Augen, die ich vorher geschlossen hatte.

„Hm?" Er war viel zu beschäftigt meine Wange zu streicheln und Küsse auf meiner Schläfe zu verteilen, als dass er meinen Worten seine volle Aufmerksamkeit schenken würde. Also griff ich nach seinem Kinn und drückte es so, dass er mir in die Augen sah.

„Ich will dir noch etwas erzählen."

„Musst du nicht." sagte er mit rauer Stimme und berührte mit seinen Fingerspitzen mein Gesicht.

„Aber ich will." erwiderte ich und legte meine Hände auf seine Brust. „Wenn du mir zuhören willst."

„Natürlich." entgegnete er und verschränkte unsere Finger auf seiner Brust.

„Es ist aber keine nette Geschichte." flüsterte ich und wandte meinen Blick von ihm ab.

„Hey," Er drückte mein Kinn nach oben um mir in die Augen zu sehen. „Das ist mir egal, Kätzchen. Wenn du mir etwas erzählen willst, höre ich dir zu. Ohne Wenn und Aber." Er hob meine Hand und küsste meinen Handrücken.

„Okay." Ich nickte zögerlich.

Schließlich setzte er sich mit dem Rücken gegen die Balkonwand und zog mich auf seinen Schoß. Ich lehnte mich gegen seine Schulter und seufzte.

„Meine beste Freundin hatte Geburtstag. Sie hat eine Party geschmissen, in irgendeinem angesagten Club. Natürlich war ich eingeladen, obwohl Partys nicht so mein Ding waren." Ich seufzte erneut. „Ich war siebzehn und nachdem Damon endlich wieder clean war, hat er gemeint, ich sollte hingehen, endlich mal wieder Spaß haben. Also bin ich gegangen. Hanna, meine beste Freundin, hat darauf bestanden, dass wir uns zusammen fertig machen und nachdem wir damit durch waren, sah ich aus wie eine daher gelaufene Schlampe."

„Ich bin mir sicher, dass du nicht wie eine Schlampe ausgesehen hast, Kätzchen." warf Tobias sanft ein und küsste meine Halsbeuge.

„Aber das habe ich." widersprach ich ihm. „Auf der eigentlichen Party habe ich mich dann gelangweilt. Ich war noch nie wirklich gut darin mit Jungen zu flirten und ich habe auch nie gerne vor vielen Leuten getanzt. Also wollte ich nach Hause gehen." Ich lachte humorlos. „Im Nachhinein war das natürlich die dümmste Idee, die ich je hatte. Immerhin hätte ich Damon anrufen sollen, so wie er es gesagt hatte. Aber," Ich lehnte meinen Kopf nach hinten und seufzte, „das habe ich nicht. Ich bin alleine nach Hause gelaufen, um elf Uhr abends, angezogen wie eine Schlampe. Ich war so dumm."

Ich schüttelte den Kopf und fasste mir an die Stirn. „Der Typ hat mich angesehen wie ein Tiger ein Stück rohes Fleisch." Ich schauderte bei der Erinnerung. Das unangenehme Gefühl verwand aber sofort wieder, als Tobias seinen Arm um meine Hüfte schlang.

„Ich konnte noch nicht einmal versuchen wegzulaufen. Er hat mich sofort in irgendeine Gasse geschleift und mich gegen eine Hauswand gepresst. Ich habe versucht mich zu währen, aber er war viel stärker als ich."

Meine Hände begannen zu zittern, während ich mich bemühte, nicht an das widerliche Gefühl von seinen Lippen auf meiner Haut nachzudenken. Tobias merkte, dass ich mit solchen Gedanken zu kämpfen hatte. Er vergrub seinen Kopf an meinem Hals und zog mich an der Hüfte näher zu ihm. Ich hatte Angst, dass ich wieder wegen dieser Situation einen Flashback bekommen und ihm von mir stoßen würde, aber zu meiner Erleichterung passierte nichts. Im Gegenteil, ich fühlte mich sicher.

„Es tat weh, ich habe davor noch nie solche Schmerzen gehabt." sagte ich leise. „Ich dachte, dass der Körper irgendwann aus Schutz abschaltet und man ohnmächtig wird, aber es ist nichts passiert. Ich habe jede einzelne Sekunde davon mitbekommen, ohne Ausnahme." Mir stiegen Tränen in die Augen, worauf ich heftig zu blinzeln begann. „Danach hat er mich geschlagen und mich angeschrien. Ich sei ein schlechter Fuck gewesen, hässlich, billig und wertlos. Er hat immer wieder auf mich eingeschlagen, bis ich das Bewusstsein verloren habe. Als ich das nächste Mal aufgewacht bin, lag ich noch immer nackt in dieser Gasse. Mir war eiskalt, aber ich konnte mich nicht bewegen. Damon hat mich gefunden. Er hat gedacht ich wäre tot und glaub mir, ich wollte tot sein. Jeder einzelne Teil meines Körpers tat weh, ich habe mich schmutzig gefühlt, wie eine verdammte Nutte."

Mittlerweile liefen mir nun doch Tränen über die Wangen. Tobias strich mir liebevoll mein Haar zur Seite und verteilte federleichte Küsse auf meinem Hals. Es half damit ich mich nicht in den Erinnerungen verlor und ich mich nicht hier und jetzt übergeben musste

„Der Notarzt musste mich zweimal wiederbeleben. Ich hatte am Kopf eine Wunde, durch die ich viel zu viel Blut verloren habe. Meine Eltern sind am nächsten Tag ins Krankenhaus gekommen. Ich war so erleichtert sie zu sehen. Ich wollte meine Mutter umarmen, von ihr hören, dass alles wieder gut werden würde. Aber nichts von dem ist passiert. Sie hat mir lediglich gesagt, dass ich mein Zeug abholen sollte, wenn ich wieder gesund war. Ich würde den Ruf der Familie mit dieser Geschichte kaputt machen."

Ich senkte meinen Kopf, sodass meine Tränen nacheinander auf den Boden tropften. „Ich habe Hanna erzählt was passiert ist, sie war meine beste Freundin, ich habe ihr vertraut. Zwar nicht mit allem, aber trotzdem so viel, dass ich dachte, sie würde mich nicht verurteilen und mir helfen. Aber sie hat mich nur als Schlampe beschimpft und in der Schule erzählt, dass ich absichtlich mit einem älteren Mann für Geld geschlafen hätte." Tobias sog scharf die Luft ein. „Sie hat mich einfach so abgeschoben, genau wie meine Eltern."

Ich drehte meinen Kopf und vergrub mein Gesicht an seinem Hals, während ich meinen Tränen kurz freien Lauf ließ. Er drückte mir einen Kuss auf meine Haare und nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, fuhr ich fort. „Damon war der einzige, der nicht abgehauen ist. Er hat mir gesagt, dass ich stark sein müsste, dass das Leben weiter ging. Aber ich war so enttäuscht, dass ich angefangen habe zu trinken. Jedenfalls bis Damon mich zu einer Nachuntersuchung zum Arzt geschleppt hat. Dort hat mir die Frau gesagt, dass ich im zweiten Monat schwanger war."

„Du warst schwanger?" fragte Tobias mit rauer Stimme.

„Ja." Ich nickte. „Die Ärzte dort haben mir gesagt, dass ich noch abtreiben könnte und sie haben mir angesichts meines Alters dazu geraten. Ein Missgeschick, so etwas kann passieren, aber ich sollte mir von einem Kind nicht die Zukunft ruinieren lassen, das haben sie gesagt. Ich habe nicht auf sie gehört. Wie konnte ich einen kleinen Menschen umbringen, der gar nichts dafür konnte, wie er entstanden war? Wie könnte ich jemals mein Baby umbringen? Ich wäre ein Monster gewesen, ein Mörder."

„Also hast du nicht abgetrieben?" fragte er sanft.

„Nein, habe ich nicht. Die Tatsache, dass in meinem Bauch ein kleines Etwas wuchs, das eine Mutter brauchte, hat mir Kraft gegeben und ich habe das Trinken wieder sein gelassen. Stattdessen habe ich mir einen Job gesucht. Ich hatte zwar mehr als genug Geld auf meinem Konto, aber trotzdem konnte ich nicht den ganzen Tag zu Hause herum sitzen. Damon und ich sind beide von zu Hause weg und haben uns eine Wohnung gekauft. Er hat sich ebenfalls einen Job gesucht und zusammen haben wir das wirklich gut hinbekommen. Es ging wieder bergauf und ich hatte neue Hoffnung." Ich lachte trocken. „Dann hatte ich wieder einen Termin beim Frauenarzt. Sie haben mir gesagt, dass ich das Baby verloren hätte."

„Nein." flüsterte Tobias und drückte mich an sich.

„Zu diesem Zeitpunkt hatten Damon und ich schon Ultraschallbilder. Man konnte schon einzelne Finger sehen und dass es ein Junge werden würde. Wir haben schon angefangen uns Namen zu überlegen und dann, dann war er einfach nicht mehr da. Einfach so." Bittere Tränen rannen über meine Wangen. „Und die Ärzte haben nur gesagt, dass es so am besten wäre."

Ich ballte die Hand wütend zur Faust. Tobias griff nach ihr und umschloss sie mit seiner größeren, warmen Hand sanft.

„Danach habe ich mich komplett verloren. Ich habe angefangen Drogen zu nehmen und bin immer tiefer gesackt. Damon hat es fast umgebracht, dass er dagegen nichts tun konnte. Er hat mich zwar in die Entzugsklinik gebracht, aber ich bin immer und immer wieder abgehauen, habe mir neues Zeug besorgt und wollte einfach nicht mehr. Ich habe mir einmal sogar eine Überdosis gespritzt und lag einige Tage auf der Intensivstation. Irgendwann hat Damon mir dann klar gemacht, dass die Drogen keine Lösung sind, dass er mich braucht, weil er sonst wieder abrutschen würde. Ab da ging es voran, aber jetzt sind die Albträume das schlimmste. Seit mein Baby weg ist, habe ich angefangen wieder von meiner Vergewaltigung zu träumen. Und gegen diese Träume konnte niemand etwas machen. Kein Psychologe, keine Schlaftabletten gar nichts. Bis heute."

Am Ende angelangt, seufzte ich und hieß Tobias Hand willkommen, die sanft mein Gesicht umfasste. Ich presste mich näher gegen seine Berührung und genoss dieses Gefühl, die Gänsehaut.

„Du bist so stark, Kätzchen." sagte er schließlich.

„Ich bin nicht stark, Tobias." widersprach ich ihm.

„Doch, das bist du. Du hast es von ganz unten wieder nach oben bis hier hin geschafft. Trotz allem das passiert ist." Er küsste meine Schläfe. Ich seufzte, genoss das Prickeln, das seine Liebkosung auslöste.

„Aber ich fühle mich ganz und gar nicht stark." murmelte ich.

„Trotzdem bist du es." Ich spürte sein Lächeln an meiner Wange. „Aber weißt du, was ich nicht verstehe?"

„Hm?"

„Wie jemand versuchen kann, etwas so wunderschönes zu zerstören. Wie kann man dir freiwillig wehtun?" Ich spürte, wie seine Brustmuskeln sich frustriert anspannten.

„Du denkst ich bin wunderschön?" wunderte ich mich laut.

„Das ist eine Tatsache, Kätzchen, und wahrscheinlich wollte dieses Arschloch dich kaputt machen, dich in die Knie zwängen. Weil er dich niemals haben konnte und er das gewusst hat." Er gab mir einen Kuss auf die Wange. „Weißt du, was ich gedacht habe, als ich dich das erste Mal gesehen habe?"

„Nein." sagte ich leise.

„Dass du eine gebrochene Schönheit bist, Kätzchen. Und ich wusste sofort, dass ich dich niemals mein Nennen können würde." sagte er sanft und ließ seine Finger an meiner Kehle verweilen.

„Und was denkst du jetzt?" wagte ich es ihn zu fragen.

„Dass man gebrochene Dinge wieder heil machen kann." Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihm in die Augen. Er strich mir wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lehnte seine Stirn gegen meine. „Wenn du mich lässt?"

„Nicht alles lässt sich reparieren, Tobias." erwiderte ich vorsichtig.

„Vielleicht stelle ich mich ja ganz geschickt an, Kätzchen. Außerdem werde ich nicht so schnell aufgeben." Er lächelte.

„Warum?" flüsterte ich.

„Weil du es wert bist, Kätzchen."

Es war gut, dass wir am nächsten Tag keine Schule hatten. Tobias und ich waren recht spät nach Hause gekommen, sodass wir dem entsprechend auch heute lange schliefen. Es war schon halb eins mittags, als ich in die Küche kam und ihn am Tresen mit einer dampfenden Tasse Kaffee sitzend vorfand. Er hob den Kopf und lächelte gut gelaunt, obwohl er hundemüde aussah.

„Hilf dein geliebter Kaffee nicht?" fragte ich ihn amüsiert und lief an den Kühlschrank um mir die Milch heraus zu holen, damit ich mir einen Kakao machen konnte.

„Ist erst meine erste Tasse. Nach zwei weiteren wird es helfen." erwiderte er lächelnd. „Hast du gut geschlafen, Kätzchen?"

„Ja." log ich. Ich hatte schrecklich geschlafen, war mindestens fünf Mal von einem Albtraum und mit tränennassen Wangen aufgewacht.

„Du lügst." stellte er seufzend fest und stand auf um vorsichtig zu mir zu kommen. Er sah mich fragend an und als ich nicht nach hinten auswich, blieb er wenige Zentimeter vor mir stehen und streichelte sanft meine Wange. „Du musst nicht lügen, Kätzchen."

„Ich weiß." sagte ich leise und lehnte mich etwas gegen seine Hand. „Aber ich will nicht, dass du dir Sorgen machst."

„Davon kannst du mich nicht abhalten. Das passiert automatisch." Er lachte leicht und presste seine Stirn gegen meine. „Aber vielleicht können wir uns ja etwas überlegen, wie man deine Albträume vertreiben kann."

„Und was?" fragte ich zweifelnd.

„Ich könnte sie mit meinen bloßen Händen verjagen." scherzte er und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. „Nein im Ernst. Irgendetwas muss es geben."

„Ich weiß aber nicht was." murmelte ich, total abgelenkt von seiner Hand, die mit meinen Haaren spielte.

„Mir fällt schon was ein, versprochen." Er lächelte. „Aber abgesehen davon, was sollen wir heute machen?"

„Gar nichts." seufzte ich. „Zu Hause bleiben."

Tobias lachte und gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor er sich wieder seinem Kaffee zuwandte. „Du könntest mir mal diesen Damon vorstellen."

„Keine gute Idee." Ich schüttelte den Kopf. „Außer, du willst diesen Tag mit einem blauen Auge beenden."

„Na ja, das blaue Auge verdiene ich." Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Außerdem würde ich mir wirklich gerne mal ein Bild von diesem Kerl machen."

„Wieso?" fragte ich neugierig.

„Um zu wissen, ob er nur ein Freund ist, oder ...?" Er sah mich abwartend an, worauf ich zu lachen begann.

„Damon ist wie ein Bruder für mich, Tobias. Der Gedanke, dass - oh Gott." Ich lachte nur noch lauter, stützte mich am Kühlschrank ab und versuchte wieder aufzuhören. Die Vorstellung, dass Damon und ich so etwas wie ein Paar sein könnten, machte mich durcheinander und, wie bei Bruder und Schwester, widerte mich an. Klar, er sah sehr gut aus und kannte mich in und auswendig, aber ich würde niemals in Erwägung ziehen, ihn zu daten. Das wäre gar nicht auszudenken.

„Ich mag es, wenn du so lachst." lächelte Tobias schließlich. „Du siehst wunderschön aus."

„Und du spinnst." grinste ich.

„Vielleicht." erwiderte er, ebenfalls grinsend. „Aber egal."

„Du könntest etwas singen." rief ich schließlich lächelnd.

„Wenn du unbedingt willst." lachte er und stand mit seiner Kaffeetasse in der Hand auf. „Was möchtest du denn hören?" Fragend sah er mich an, als wir uns auf sein Bett gesetzt hatten und er seine Gitarre herausgeholt hatte.

„Mir egal." sagte ich und legte mich auf den Rücken.

„Okay, dann spiele ich etwas von Ed Sheeran."

„Gut." Ich lächelte.

Er begann die Saiten seiner Gitarre zu zupfen, die nach und nach eine ruhige Melodie ergab und er leicht seinen Kopf zum Takt bewegte. „Es heißt The A team."

„White lips, pale face. Breathing in snowflakes. Burnt lungs, sour taste. Light's gone, day's end. Struggling to pay rent. Long nights, strange men."

Als er zu singen begann, breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht auf und ich seufzte. Er hatte so eine gefühlvolle, tiefe Stimme. Einfach wunderschön. Es gab ja Sänger, deren Lieder wirklich schön waren, aber die Stimme hätte besser sein können. Außerdem kannte ich gar keinen Sänger, der seine Liede so sang, als würde er den Text wirklich ernst meinen, als würde er wissen, was er da sang. Bei Tobias war es anders. Da stimmte alles. Seine Stimme sandte mir eine angenehme Gänsehaut und das gefühlvolle in seiner Stimme, machte das alles noch perfekter.

„And they say. She's in the class a team. Stuck in her daydream. Been this way since eighteen."

Während er den Text sang, stellte ich fest, dass er wirklich mehr als real war. Er spiegelte die traurige Realität von manchen Mädchen wieder, aber trotzdem wusste ich, dass die Leute nur einmal darüber kurz nachdachten, so taten als würde es ihnen nahe gehen und dann einfach wieder nur die Musik, das Gesamtbild, genossen. Sie verschlossen einfach vor der Realität die Augen und taten so, als würde es diese Probleme gar nicht geben.

„But lately her face seems, slowly sinking, wasting. Crumbling like pastries. And they scream

The worst things in life come free to us. 'Cause we're just under the upper hand. And go mad for a couple grams. And she don't want to go outside tonight."

Fast hätte angefangen zu lachen. Es war so verdammt richtig, was er da sang. Die schlimmsten Dinge im Leben, kommen einfach so. Ja, das wusste ich mittlerweile auch.

„Angels to fly. Fly, fly. For angels to fly. To fly, to fly. Angels to die."

Er endete leise und sah seinen Fingern zu, die die letzten Akkorde zupften. Ich hätte ihn so den ganzen Tag anschauen können. Seine ungestylten, dunklen Haare, fielen ihm in die Stirn, seine dichten, langen Wimpern, die sich beim Blinzeln bewegten, sein entspanntes Gesicht, seine funkelnden Augen, in denen sich das Licht der Mittagssonne brach. Es war wie ein Bild im Märchenbuch. Einfach wunderschön.

„Das Lied ist schön, nicht?" sagte er schließlich und sah mich an.

„Ja, der Text ..." Ich brach ab und schluckte. „Warum gerade dieses Lied?"

„Du hast gesagt, du magst keine kitschigen Liebeslieder." Er lächelte.

„Stimmt." Ich nickte. „Wieso hat er gerade diesen Text geschrieben, Ed Sheeran meine ich."

„Er hat ein Mädchen kennengelernt, während er einen Gig bei einer Obdachlosenzuflucht hatte. Ihr Name war Angel. Er hat sich richtig gut mit ihr verstanden, sie haben zusammen erzählt. Danach hat er ihre Geschichte gehört. Sie war eine drogenabhängige Prostituierte. Ihre Realität hat ihn inspiriert und er hat diesen Song geschrieben." erzählte er mir und seufzte.

„Ich kannte auch mal so ein Mädchen." sagte ich leise. „In der Entzugsklinik gab es auch Sprechstunden, in denen man seine Geschichte erzählen konnte. Jeder hat etwas durch gemacht, aber ihre Geschichte hat mich am meisten getroffen." Ich sah Tobias an, der seine Gitarre zur Seite legte und sich neben mich setzte. Er zog mich an der Hüfte an seine Seite und schaute mich abwartend an. „Sie war aus der Slowakei. Männer aus Deutschland hatten ihr angeboten mit ihnen zu kommen, einen Ehemann in Deutschlang zu finden, eine Familie zu gründen und einen Job zu bekommen. Ihre Eltern waren arm, die Männer waren nett, sie hat ihnen geglaubt. Mit ihren Freundinnen ist sie nach Deutschlang gefahren. Sie waren so glücklich, aufgeregt, vorfreudig. Aber als sie dann in Lübeck angekommen sind, wurden sie wie Tiere zu anderen Frauen in eine Halle mit schmutzigen Matratzen gesperrt. Sobald sie nachgefragt haben, was los ist, wurden sie geschlagen und angeschrien. Nach einigen Tagen wurde ihnen Heroin gespritzt. Danach wurden sie vergewaltigt um ihnen zu zeigen, wie die Kunden es mögen würden." Ich schauderte, obwohl es gar nicht meine Geschichte war, und kuschelte mich enger an Tobias. „Natürlich wollten sie alle nicht als Prostituierten arbeiten, falls man das einen Beruf nennen kann, aber sie konnten nicht anders. Sie waren abhängig und nach jedem weiteren Abend bekamen sie eine weitere Ladung Heroin gespritzt."

„Das ist wirklich grausam." murmelte Tobias. „Wie hat sie es raus geschafft?"

„Die Polizei hat die Geschäfte aufgedeckt. Sie hat Glück gehabt, na ja, Glück im Unglück eher. Sie wurde in die Entzugsklinik gesteckt, mehr weiß ich nicht." erwiderte ich. „Ich finde einfach, dass die Menschen sich immer noch viel zu sehr vor den Grausamkeiten weg drehen. Es gibt so viele Dinge, die einfach unmenschlich sind und keinen kümmert es."

„Vielleicht solltest du deine Gedanken einfach mal aufschreiben." schlug er vor und ließ seine Lippen an meiner Schläfe verweilen.

„Ich - ich." stotterte ich und presste meine Lippen aufeinander.

„Du?" fragte er sanft.

„Ich habe schon mal angefangen zu schreiben." sagte ich leise.

„Ja?" Er lächelte und drückte mein Kinn nach oben um mir in die Augen sehen zu können. Ich nickte zaghaft. „Liest du mir vor?"

„Tobias, das ist alles nicht überarbeitet und ich weiß überhaupt nicht, ob das gut ist-"

„Kätzchen," unterbrach er mich lächelnd. „Hör auf so sehr an dir selbst zu zweifeln und gib dir eine Chance."

„Das ist peinlich." jammerte ich, worauf er lachte und mir einen Kuss auf die Wange drückte.

„Ist es nicht, warum sollte es?"

„Na ja, was ist, wenn du es schlecht findest oder anfängst zu lachen, oder-"

„Hey, Kätzchen." unterbrach er mich erneut. „Ich würde niemals lachen, ich dachte das weißt du."

„Ja." sagte ich kleinlaut und vergrub meinen Kopf an seiner Schulter.

„Also, wo ist dann das Problem?" grinste er.

„Ist ja gut." seufzte ich und rappelte mich auf um meinen Laptop holen zu gehen. Danach setzte ich mich im Schneidersitz gegenüber von Tobias aufs Bett. „Nicht lachen, versprochen?" Ich biss mir auf die Lippe und sah ihn abwartend an.

„Versprochen, Kätzchen, du kannst auf mich zählen." Er zwinkerte mir zu und grinste.

„Na gut."

„Komm schon, wenigstens noch ein Kapitel." jammerte Tobias nach zwei Stunden und sah mich mit einem zuckersüßen Lächeln an.

„Nein, zum dritten mal." lachte ich und klappte den Bildschirm meines Laptops zu.

„Warum?" beschwerte er sich. „Wie soll ich denn bitteschön wissen, ob Zac den Kampf gewinnt oder nicht?"

„Tja, das ist dein Pech." Ich zuckte mit den Schultern und biss mir auf die Lippe um nicht zu lächeln.

„Ist das dein Ernst?" rief er verblüfft.

„Mhm." erwiderte ich, worauf er zuerst schmollte und sich dann ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete.

„Na, wenn das so ist, muss ich wohl für so eine Gemeinheit rächen." Er beugte sich zu mir nach vorne und drückte mich, ohne zu überlegen, in die Matratze seines Bettes. In der Sekunde, in der ich zusammen zuckte und meinen Kopf reflexartig weg drehte, richtete er sich schnell auf und rückte von mir herunter.

„Es tut mir Leid, ich-"

„Nein." unterbrach ich ihn niedergeschlagen. „Hör auf dich zu entschuldigen. Es ist nicht deine Schuld, aber," Ich spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen und sie mir Sekunden später die Wange hinunter kullerten. „Ich dachte, es wäre weg. Die Angst weißt du."

„Hey, mach dir keine Vorwürfe. Schritt für Schritt, hast du schon vergessen?" sagte er sanft.

„Aber ich will nicht jedes Mal Panik bekommen, wenn du nur Spaß machst. Ich will nicht weg zucken, wenn du mich berühren willst und ich will nicht, dass du denkst, dass ich Angst vor dir habe." schluchzte ich. „Ich schäme mich."

„Kätzchen, das brauchst du nicht, wirklich." Er streckte eine Hand nach meiner Wange aus, zog sie aber dann doch seufzend wieder zurück. Das ließ meine Tränen erst recht nicht versiegen.

„Aber das tue ich. Und jetzt hast du schon wieder Angst mich zu berühren. Ich dachte-"

„Kätzchen, bitte. Ich habe nur Angst davor, dass du wieder Angst bekommst. Komm her." Er breitete lächelnd seine Arme aus und ich schmiss mich seufzend hinein um meinen Kopf an seiner Brust zu vergraben.

„Ich will einfach nur, dass dieser bescheuerte Reflex weg geht."

„Du musst dir selbst Zeit geben." sagte Tobias leise an mein Ohr und küsste dann meine Schläfe.

„Ich bin aber nicht geduldig." murrte ich niedergeschlagen.

„Das wird schon, Kätzchen. Vertrau mir." erwiderte er sanft.

Ohne selbst lange zu überlegen wusste ich, dass er mich gar nicht darum bitten musste. Ich vertraute ihm bereits und obwohl ich wusste, zu was das letztes Mal geführt hatte, konnte ich nicht anders. Ich konnte ihn weder weg stoßen, noch von jetzt auf gleich hassen. Das war Tobias, über den wir sprachen und er hatte sich viel zu sehr in meinem Herz einen Platz erkämpft, als dass ich ihn für immer daraus verbannen könnte.

„Ich vertraue dir." sagte ich schließlich und zog mich etwas an seiner Schulter nach oben, um meinen Kopf an seinen Hals zu kuscheln. Ich fühlte mich in diesem Moment wirklich wie ein kleines Kätzchen, das sich an jemanden drückte, weil es Angst vor einem Gewitter hatte.

Tobias drehte seinen Kopf etwas, wahrscheinlich um mich besser sehen zu können. Dann strich er mir liebevoll über mein Haar und drückte mich anschließend fester an sich.

„Du hast keine Ahnung, wie verdammt glücklich ich gerade bin, Kätzchen."

Darauf schlich sich nur ein Lächeln auf meine Lippen.

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