Zweite Chance

By Lara99_

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Keira hat eine Vergangenheit, die sie um jeden Preis verdrängen und vergessen will. Sie beginnt zu Studieren... More

Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog

Kapitel 1

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By Lara99_

Heyy Leute:) Danke, dass ihr der Geschichte eine Chance gebt;) Ist jetzt meine dritte auf Wattpad und ich hoffe, dass ihr genauso viel Kommentiert und Votet wie bei den anderen beiden:)

Viel Spaß beim lesen und schreibt in die Kommentare wie ihr die neue Story findet!! Danke:)

Kapitel 1

Wenn du nicht fliegen kannst, dann renn.

Wenn du nicht rennen kannst, dann lauf.

Wenn du nicht laufen kannst, dann krabbel.

Aber was auch immer du tust,

du musst dich vorwärts bewegen.

- Martin Luther King Jr.

Mit knurrendem Magen schob ich mir eine Fertigpizza in den Ofen. Die ganzen Dinge, die ich für meinen ersten Tag an der Uni noch vorbereiten musste, hatten mich wirklich hungrig gemacht. Kochen konnte ich noch nie, also schlug ich mich Woche für Woche mit Chinanudeln, Fertiglasagne oder McDonalds herum. Probleme hatte ich damit wirklich nicht, da es besser schmeckte, als das verkohlte Zeug, das bei jedem meiner kläglichen Kochversuche heraus kam.

Seufzend flezte ich mich auf die Couch und griff nach der Fernbedienung um den Fernseher anzuschalten. The big bang theory war immer noch besser als irgendwelche Liebesfilme, sodass ich mir damit die zwanzig Minuten vertrieb, die meine geliebte Pizza brauchte, um fertig zu werden. Mein Blick huschte ab und zu zur Uhr und ich fragte mich, wann er kommen würde. Eigentlich sollte mein Mitbewohner, mit dem ich mir die Kosten für diese Wohnung teilte, schon seit einer halben Studne da sein. Ich hatte keine Ahnung von dem Typen, mit dem ich zukünftig zusammen leben würde, aber ehrlich gesagt machte ich mir auch nicht gerade viele Gedanken darüber. Es würde wahrscheinlich sowieso so sein, dass wir uns nur morgens vor der Uni und wenige andere Male am Tag sehen würden. Und so war es mir eigentlich auch am liebsten. Ich war nicht gerade ein Genie darin neue Freunde zu gewinnen und hatte es auch nicht vor. Man war besser allein dran, ohne der Gefahr ausgeliefert zu sein, enttäuscht zu werden.

Nachdem endlich zwanzig Minuten vorbei waren, mein Bauch unablässig geknurrt hatte und Sheldon wieder den Klugscheißer raushängen hatte lassen, kam ich endlich zu meiner wohl verdienten Pizza. Ich strich mir eine dunkelbraune Haarsträhne, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte, aus dem Gesicht bevor ich mir einen Teller aus dem Schrank holte und die Pizza darauf in Stücke schnitt.

Mit den Möbeln hatten Tobias, so hieß der Typ, und ich viel Glück gehabt. Der Vermieter hatte die Wohnung schon fertig eingerichtet, recht modern zu meiner eigenen Überraschung, sodass wir nur noch unseren persönlichen Sachen einräumen mussten. Tobias war das alles anscheinend recht egal gewesen - er brauchte nur einen vernünftigen Flachbildfernseher und seine Xbox nach seiner E-Mail von letzter Woche zuschließen - also hatte ich freie Wahl mit der Einrichtung gehabt. Zwar war ich meiner Meinung nach nicht kreativ wenn es um solche Dinge ging, aber etwas Deko Schnik-Schnak hatte ich recht schnell gefunden. Persönliche Bilder würden wir ohnehin nur in unserem Zimmer aufhängen.

Ich war gerade dabei in mein erstes Stück Pizza zu beißen, als ich hörte, wie die Wohnungstür aufging. Enttäuscht legte ich es wieder zurück auf dem Teller, was dazu führte dass mein Bauch protestierend knurrte, und ging langsam zur Tür.

Ich war aufgeregt, auch wenn es mir selbst nicht gefiel. Wieder einmal fragte ich mich, warum ich mich darauf eingelassen hatte, mit einem wirld fremden Typen in eine Wohnung zu ziehen. Ich wusste doch selbst ganz genau, dass ich mit fremden Leuten nicht gerade gut klar kam. Vor allem mit Männern. Ich brauchte meine Routine, Menschen die ich kannte und meinen Freiraum. Leider konnte ich mir diesen Luxus im Moment nicht leisten. Eine Wohnung allein war viel zu teuer und außerdem, erinnerte ich mich selbst wütend, würde ich ihm einfach aus dem Weg gehen. Das konnte ja nicht zu schwer sein und mich von Menschen fern halten, konnte ich sowieso ziemlich gut. Da würde einfach nur eine Hallo und Tschüss Beziehung zwischen uns sein, mehr nicht.
Trotzdem ballte ich meine Hand zur Faust, ohne dass ich es kontrollieren konnte, als der Typ mit dem Rücken zu mir die Tür schloss. Er hatte lediglich einen Rucksack auf dem Rücken und einen Gitarrenkoffer in der Hand. Gut, er war wahrscheinlich ein Langweiler, der außer Lernen nichts im Kopf hatte und seit der ersten Klasse ein Instrument spielte. Er würde mir keine ernsthafte Probleme machen. Das dachte ich jedenfalls, bis er sich umdrehte.
Nörd, gewöhnlicher Typ, Musiker? Fast hätte ich über mich selbst gelacht. Das hier war definitiv kein langweiliger Mann und auch kein Streber! Ich musste mein Kinn heben, um ihm ins Gesicht sehen zu können, so groß war er. Sein Shirt saß eng an seinem Körper und ich wettete, dass er es aus reinem Selbstbewusstsein tat, da die Muskeln kurz davor waren den Stoff zum Reißen zu bringen. Sein markantes Gesicht und die dunklen Augen, entweder grün oder blau, ich war mir nicht sicher, schrien quasi Ärger. Vielleicht nicht seine Gestalt selbst, aber den düsteren Ausdruck, als er mich skeptisch betrachtete, ließ sofort meine Alarmglocken leuten.
"Du bist Tobias?" fragte ich ihn bemüht freundlich. Ich wollte nicht gleich die Möglichkeit auf ein friedliches Zusammenleben zerstören, nur weil er mir nicht geheuer vor kam.
"Ja." sagte er schlicht. Keine Emotionen in seinen Augen, kein freundliches Lächeln. Lediglich eine tiefe Stimme und ein weiterer misstrauischer Blick. Komisch, irgendwie erinnerte mich sein Verhalten an mich selbst.
"Ich bin Keira." Auch ich entschied mich letztendlich gegen ein Lächeln. Ich brauchte sicheres Terrain, und im Moment konnte ich ihn überhaupt nicht einschätzen.
"Gut, wo ist mein Zimmer?" fragte er unhöflich grob.
"Gerade aus, die Tür in der Mitte." sagte ich, noch immer den freundlichen Unterton in der Stimme. Wenn er es von Anfang zwischen uns verbocken wollte, sollte er das tun. Ich wollte wenigstens am ersten Tag nicht alles kaputt machen.
Ein schlichtes Nicken war alles, was ich bekam, bevor er in seinem Zimmer verschwand.
Vielleicht würde es mit dem aneinander vorbei leben doch einfacherer werden, als ich gedacht hatte.
Zufrieden wandte ich mich wieder meiner Pizza zu, die zu meiner Freude noch nicht ganz ausgekühlt war. Ich setzte mich auf einen Barhocker an die Theke und begann endlich zu essen, während ich mir in meinem iPhone den Stundenplan für morgen noch einmal ansah.

Ich war gerade dabei mir Fast and Furios anzusehen, als ich im Hintergrund hörte, wie zuerst eine Zimmertür aufgemacht und geschlossen wurde und dann ein paar Sekunden später die Haustür ins Schloss fiel. Verdutzt sah ich auf die Uhr. Es war neun Uhr abends, morgen ging das erste Semester los und er ging jetzt noch weg? Ich war zwar nicht die Vernunft in Person, okay das war untertrieben, aber für mich stand im Moment mein Studium im Mittelpunkt. Anscheinend galt nicht das selbe für Tobias, wenn er jetzt noch ausging. Na ja, mir war es egal. Ich kannte ihn sowieso nicht und hatte auch nicht vor das zu ändern.

Früh aufstehen hatte ich noch nie gemocht. Deshalb war ich auch dem entsprechent schlecht gelaunt, als ich über den Campus in Richtung Eingang ging. Mehr wie ein genuscheltes „Morgen" hatten Tobias und ich heute morgen nicht ausgetauscht, bevor ich mir eine Schüssel Cornflakes gegönnt und zur Uni gelaufen war.

Der Eingangsbereich war mehr überfüllt als ich es für möglich gehalten hatte, sodass meine Stimmung noch mehr sank, während ich mich Student für Student vorbei zum Treppenhaus durch schlug. Fluchend quetschte ich mich an einem Pärchen vorbei, das von einer auf die nächste Sekunde beschlossen hatte, mitten im Weg stehen zu bleiben um sich einen Kuss zu geben. Meine Augen wanderten über die zahlreichen Saalnummern, doch irgendwie wollte die richtige für meine erste Vorlesung nicht dabei sein. Genervt kramte ich den Zettel mit meinem Stundenplan aus der Hosentasche, als mit voller Wucht jemand gegen mich stieß. Ich machte mich wütend bereit dem Idioten meine Meinung an den Kopf zu schleudern, als mein Blick auf ein Mädchen fiel, das mich verängstigt anschaute. Sie musste etwa genauso alt wie ich sein, und war sehr hübsch; wenn auch auffallend dünn. Ihr dunkelbraunes Haar fiel glatt in ihr markelloses Gesicht und angesichts der Tatsache, dass es so aussah als würde sie sich hinter den langen Strähnen verstecken, schluckte ich meinen Ärger herunter. Sie sah so eingeschüchtert aus, dass ich selbst Panik bekam.

„Es t-tut mir leid. Ich, ich hab dich nicht gesehen." stotterte sie und sah verlegen zu mir. Obwohl sie mich um einen halben Kopf überragte, schien sie tierische Angst vor mir zu haben. War ich so furchteinflößend? Ich hatte noch nicht einmal etwas gesagt!

„Ist nicht schlimm." sagte ich schnell. Ihr gehetzter Ausdruck verschwand etwas aus ihren Augen, aber sie sah mich noch immer so an, als ob ich ein Zombieartiges Wesen wäre. Ich hätte weiter gehen können, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Vielleicht war es die riesige Angst, die sie hatte, die mich davon abhielt. Ich kannte das Gefühl von Angst nämlich besser als es mir lieb war und deshalb hatte ich irgendwie das Gefühl, dass ich vielleicht doch nicht alleine meinen ersten Tag an der Uni verbringen würde, so wie ich es eigentlich geplant hatte.

„Ist alles okay?" fragte ich sie, nachdem sie immer noch so aussah, als ob sie jeden Moment eine Panik Atakke haben würde.

„Klar." Sie schluckte. „Es sind nur etwas viele Leute, das ist alles." Ihre Stimme glich die einer ängstlichen Maus, die sich ununterbrochen nach einer gefährlichen Katze umsah.

„Geht mir genauso." Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern und lächelte sie an. Sie war mir trotz ihrer Menschen Phurbie, oder was auch immer es sein mochte, sympatisch. Klar, ich kannte sie nicht, aber trotzdem kam sie mir nicht wie ein oberflächlicher Mensch vor, der von einer Person zur nächsten hetzten und am liebsten die ganze Schule als Freund haben wollten.

„Ja?" fragte sie überrascht.

„Ja." ich nickte. „Hast du vielleicht irgendeine Ahnung wie man hier einen Raum findet? Ich glaube ich habe mich echt verirrt."

„Mein Bruder geht auch hier auf das Collage, ich kenne mich aus. Wenn du willst kann ich dir helfen." sagte sie schüchtern und strich sich flüchtig eine Strähne aus ihrem Gesicht.

„Ja, das wäre echt nett." meinte ich erleichtert und hielt ihr meinen Stundenplan hin. Ihre Schultern entkrampften sich etwas, während sie den Zettel studierte und ich war wirklich erleichtert. Es kam nicht jeden Tag vor, dass ich angesehen wurde, als wäre ich ein Monster.

„Du bist auch hier um Jura zu studieren?" wollte sie schließlich erstaunt wissen, bevor sie vom Zettel aufsah.

„Ja, warum?"

„Ich - ich habe die gleichen Kurse wie du." stotterte sie erneut und gab mir den Stundenplan zurück.

„Dann können wir ja zusammen gehen, oder" fragte ich sie lächelnd, worauf sie einige Sekunden später nickte.

„Ja, okay." Zögernd erwiderte sie mein Lächeln und zeigte gerade aus, wo sich anscheinend unser Saal für die erste Lesung befand.

Schweigend liefen wir nebeneinander her und gelangten wenige Minuten später am richtigen Raum an.

„Wie heißt du eigentlich?" fragte ich sie, als wie uns nebeneinander einen Platz in der Mitte suchten.

„Isabella, aber einfach Bella reicht." sie lächelte erneut zaghaft. „Du?"

„Keira." antwortete ich.

Die Stunden bis zur Pause vergingen recht ereignislos. Die Lehrer stellten sich vor, informierten uns über die Themen die in den jeweiligen Fächern durchgenommen werden würden und sagten einiges über ihr Fachgebiet. Bella entspannte sich zunehmend in meiner Gegenwart und ich war recht froh darüber. Ich hatte nicht wirklich oft in meinem Leben eine beste Freundin gehabt, aber Bella war das erste Mädchen, bei dem ich mich nicht unwohl oder fehl am Platz fühlte. Sie quasselte mich weder an einer Tour voll, noch wollte sie auf einmal zu viel über mich wissen. Und das war mir mehr als lieb.

In der Mittagspause setzten wir uns in der Mensa zusammen an einen Tisch, da wir ohnehin niemanden hatten mit dem wir hätten essen können.

„Das ist ja widerlich." jammerte ich, nachdem ich die erste Gabel glibberige Nudeln mit der fettreichen Hackfleischsoße probiert hatte.

„Mein Bruder hat mich vorgewarnt." lächelte Bella schüchtern und deutete auf ihr mitgebrachtes Brot.

„Na ja, wenigstens bin ich jetzt klüger als vorher." seufzte ich und schob den Teller angewidert weg von mir. Mein Bauch knurrte fürchterlich, aber lieber würde ich verhungern, als dieses Fertigzeug anzurühren. Ich ließ meinen Blick über die sich füllende Kantine gleiten, während Bella am essen war. Da waren hunderte von Studenten, die entweder so schlau wie Bella waren und etwas eigenes zu Essen mitgebracht hatten, oder die sich von der rundlichen Frau entwas von der Pampe auf einen Teller tun ließen. Es waren alles fremde Gesichter, bis auf einen Jungen, der an einem größeren Tisch in der Mitte saß. Tobias. Anscheindend fiel es ihm leicht Freunde zu schließen, angesichts der vier Mädchen und den drei Jungen, die bei ihm saßen und mit ihm lachten. Nur mir, seiner Mitbewohnerin zeigte er die kalte Schulter, aber mir sollte es egal sein.

„Willst du etwas von meinem Brot haben?" fragte Bella auf einmal und blinzelte mich etwas schüchtern an.

„Das ist doch deins. Ich komme schon klar." erwiderte ich.

„Nein im Ernst." sie lächelte. „Meine Mutter hat mir viel zu viel mitgegeben. Du kannst ruhig etwas abhaben."

„Sicher?"

„Ja." sie nickte und schob mir das Salamibrot hin.

„Danke." sagte ich erleichtert und biss ein riesiges Stück ab. Ich hatte wirklich Hunger.

„Kein Problem." lächelte sie. „Bist du von hier?"

„Ja." erwiderte ich, ohne groß zu zögern, auch wenn es nur die halbe Wahrheit war. „Und du?"

„Ich wohne mit meiner Mutter und meienm Bruder hier in Hamburg." erzählte sie mir mir mit einem schüchternen Lächeln. Komisch, wenn man Bella das erste mal sah, würde man nie denken, dass sie sich von fremden Leuten so einschüchtern ließ. Na ja, wenigstens war ich nicht die einzigste auf der Schule, der es schwer fiel Freundschaften zu schließen.

Der restliche Tag verging recht ereignislos. Ich schaffte es, nicht mit anderen Studenten ins Gespräch zu kommen und mich stattdessen auf den trockenen Unterrichtsstoff zu konzentrieren.

Als ich mittags gegen vier Uhr nach Hause kam, war ich fertig mit der Welt. Einerseits war es ungewohnt jemanden zu haben, mit dem ich die Pausen verbrachte und mich gleichzeitig nicht unwohl fühlte, andererseits hatte mich einfach das Gerede der Dozenten angestrengt.

Ich hatte keine Ahnung, ob Tobias zu Hause war, aber das war mir eigentlich auch recht egal. Also machte ich mir eine große Schüssel Cornflakes und setzte mich damit auch die Couch um mir eine Folge The big bang theory anzusehen. Danach zog ich mir bequeme Klamotten an, nahm mir meinen iPod von der Ladestation und lief in Richtung Tür, als Tobias aus seinem Zimmer kam. Er musterte mich für den Bruchteil einer Sekunde, dann ging er an mir vorbei in die Küche. Ich ignorierte ihn ebenfalls und verließ die Wohnung.

Es waren von hier aus gerade mal fünf Minuten bis zum Tanzstudio. Schnell drückte ich die Glastür mit Schwung auf und wurde von einer Mischung aus Deo und Schweiß begrüßt. Das gewohnte Gebäude mit den drei großen Probenräumen und den bunten Spray Paintings an den Wänden war so vertraut, dass ich nach dem vielen Neunen heute erst einmal erleichtert durch atmete. Dann betrat ich den ersten Raum neben der Eingangstür und wurde sofort von lautem Bass und rhythmischem Rap willkommen geheißen. Grinsend betrachtete ich Damon, der anscheinend gerade an einer neuen Choreographie arbeitete und verschiedene Moves passend zur Musik ausprobierte. Erst als ich die Tür wieder hinter mir schloss bemerkte er mich. Er grinste und nickte mir als Begrüßung zu.

"Und wie wars mal wieder die Schulbank zu drücken?"

"Blendend natürlich.." erwiderte ich sarkastisch, während ich meinen iPod in die Tasche steckte. Damon betrachtete mich mit einem amüsierten Ausdruck in seinen Augen, bevor er sich eine Flasche Wasser nahm um etwas zu trinken.

"Irgendwelche interessanten Leute dort?" fragte er verschmitzt.

"Klar, haufenweise falls du ehemalige Gymnasium Idioten und reizende Blondinen meinst." grinste ich enthusiastisch.

"Tja, dann musst also weiterhin mit mir Vorlieb nehmen." seufzte er dramatisch und fuhr sich mit der Hand durch sein perfekt gestyltes schokobraunes Haar. Damon fiel überall auf, ohne dass er überhaupt etwas dafür tun musste. Er war groß, sehr muskulös und hatte kantige Gesichtszüge, die bewiesen, dass er nicht gerade ein Ponyhof-Leben hinter sich hatte. An seinem Kinn war eine Zentimeter lange, gerade Nabe, die wie ich wusste, von einem Messer stammte. Er hatte einige weitere auf seinem Oberkörper verteilt, weshalb er trotz seines makellosen Körpers nie öffentlich ohne Shirt berum lief. Die Narben waren ihm nicht peinlich, aber er wollte nicht, dass jeder sie sah. Als ich sie das erste Mal gesehen hatte, waren es noch keine Narben sondern offene Wunden gewesen, die ich mit zittrigen Händen gereinigt hatte. Wenn ich jetzt an diese Nacht zurück dachte, schüttelte es mich unbehaglich. Da war definitiv zu viel Blut im Spiel gewesen.

Damon hatte die intensivsten grauen Augen, die ich jemals gesehen hatte. Jedes mal erinnerten sie mich an einen stürmischen Tag mit Wolken verhangenem Himmel. Und eigentlich war das auch seine Persönlichkeit. Damon war intensiv, leidenschaftlich und aufbrausend. Bei ihm gab es keine halben Sachen, entweder alles oder nichts. Wenn man ihn nur flüchtig kannte, dann hatte man das Bild eines verschlossenen, taffen Typen vor sich, der eine harte Vergangenheit hinter sich haben musste. Wenn man ihm kurz auf der Straße begegnete, hatte man ein Bild von einem skrupellosen Schlägertypen vor sich. Wenn man ihn aber kannte, so wie ich es tat, war er der verständnisvollste Mensch auf der ganzen Welt, der für das kämpfte, was er am meisten liebte.

"Tolle Aussichten, findest du nicht?" lachte ich. Er verdrehte nur die Augen.

"Wie ist denn dein neuer Mittbewohner so?" wollte er schließlich wissen. Ich konnte genau den fürsorglichen Ton in seiner Stimme hören, der mich immer daran erinnerte, dass er schon immer mehr Familie für mich gewesen war, wie meine eigentliche.

"Hab keine zehn Worte mit ihm gesprochen." antwortete ich Schultern zuckend.

"Hatte auch nichts anderes erwartet." lachte er.

"Hey! Ich habe wirklich versucht nett zu sein! Er ist derjenige, der Probleme macht!" verteidigte ich mich schnell.

Damon zog nur zweifelnd eine Augenbraue hoch. "Natürlich."

Ich machte nur ein abwertendes Geräusch, bevor ich meine Muskeln begann zu dehnen.

"Neue Choreographie?" fragte ich interessiert, worauf er nickte.

"Ja, bis nächsten Montag muss sie fertig sein. Die Frau macht ganz schön Druck." Er jammerte weder noch beschwerte er sich. Damon war jemand, der Probleme entdeckte, sich sein Ziehl setzte und sie dann löste, ohne es aus den Augen zu verlieren. Manchmal beneidete ich ihn dafür.

"Na ja, studieren ist nicht einfach, aber immerhin musst du keine Schulbank drücken." entgegnete ich mit einem neckischem Unterton in der Stimme.

"Von wegen." lachte er. "Es gibt zwar nicht viele Thoriestunden, aber es gibt sie."

Ich nickte und trat mit ihm auf die gleiche Höhe, nachdem ich mit dem Aufwärmen genug hatte.

"Kid ink?" erkundigte ich mich nach dem Interpreten des Songs.

"Jap." grinste Damon. "Liebe seine Songs, schon vergessen?"

"Nein." lachte ich. "Wie könnte ich?"

Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, als er diesen Rapper das erste mal entdeckt hatte. Ab da hat er nicht mehr aufgehört seine Texte, die überraschend realistisch waren, zu zitieren und sich Choreographien auszudenken. Ich denke damals hatte ich den Gedanken, dass er Choreographie studieren sollte. Damon war ein reines Talent wenn es um tanzen ging. Ich kannte keinen besseren Tänzer, als ihn.

Sobald Damon die Musik wieder voll aufgedreht hatte, begann ich mich passend zur Musik zu bewegen und mich dabei an Damons Choreo zu halten. Je länger ich tanzte, desto mehr verloren sich meine Gedanken und ich konnte endlich richtig abschalten. Ich spürte den Schweiß auf meiner Haut, meine Lunge, die nach gleichmäßigem Sauerstoff schrie, doch ich hörte nicht auf. Ich genoss einfach das Gefühl von vollkommener Freiheit.

Es war früher Abend, als ich wieder zurück in die Wohnung kam. Da alles dunkel war, vermutete ich, dass Tobias nicht da war. Ich bestellte mir beim Chinesen Nudeln und machte es mir auf dem Sofa bequem. Es lief the amazing Spiderman, zwar nicht mein Lieblingsfilm, aber trotzdem besser als irgendein kitschiger Liebesfilm.

Auch als ich ins Bett ging war Tobias noch nicht wieder zurück.

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