"Heißt...ihr seid dann in den Ferien immer auf dem Land?", hakte ich nach, während wir ins wärmere Innere des Gebäudes traten und Jimin uns eine Treppe hinunter dirigierte.

"Nein, wahrscheinlich- also, falls sich Omas Zustand nicht verbessert- werden wir ganz rüber ziehen müssen. Es gibt im nächsten größeren Ort eine Schule, die nicht schlecht sein soll und, um ehrlich zu sein, bin ich für ein entweder oder. Ich will nicht immer zwischen Seoul und dem Hof meiner Großeltern hin und her pendeln. Und, wenn sie Hilfe brauchen? Dann sollten sie sie auch bekommen."

Ich nickte leicht abwesend.

Ich konnte nicht sagen, dass ich es nicht verstehen konnte, doch war es kein schönes Gefühl, zu wissen, dass Taehyung eventuell wegziehen würde. Er wäre nicht mehr so schnell erreichbar, ich hätte niemanden mehr, der mich im Unterricht aufwecken konnte, oder mich mit ein paar Scherzen zum Lächeln brachte. Nicht, dass ich das nicht auch bei Jimin tat, doch Taehyung war mein bester Freund und ich konnte mir noch nicht einmal vorstellen, wie grau mein Leben ohne ihn sein würde.

Jimin ließ uns an einer Weggabelung stehen, nachdem er uns erklärt hatte, wie wir von hier aus zum Eingang des Saales kamen, und mir einen Kuss gegeben hatte, und lief mit flatternder Kleidung in die andere Richtung weiter, um zum Backstagebereich zu kommen, wo er sich mit seinen Mittänzern und Mittänzerinnen aufwärmen würde.

Tae und ich taten, wie uns erklärt worden war und fanden uns tatsächlich wenige Minuten später vor dem großen Saal wieder, in den wir auch, nachdem unsere Tickets geprüft worden waren, eintraten, um unsere Plätze zu suchen. Jimin hatte sie erstklassig ausgewählt, wir waren nicht im Wein-trink-Bereich und dennoch ziemlich weit vorne, einen perfekten Blick auf die Bühne habend.

Drinnen war es bei weitem wärmer als draußen, weshalb wir uns unserer Jacken entledigten und dann gespannt auf den Beginn warteten.

Taehyung hatte tatsächlich einen Fächer dabei, den er mir mit ernster Miene in die Hände gedrückt hatte, als würde er mich auf ein Schlachtfeld schicken und das wäre meine ultimative Waffe.

Lange musten auch nicht warten und es wurde dunkel.

Musik erklang und der Vorhang erhob sich.

Von Jimin wusste ich, dass es eine große Tanzschule war, mit etlichen Kursen und Tanzrichtungen und auch das Programm bestätigte dies, da das ganze drei Stunden dauern würde. Und, anscheinend wollte die Schule das auch nochmal unterstreichen, da der erste Auftritt ein Medley war von allen möglichen Liedern und Tanzrichtungen, repräsentiert von einzelnen Solotänzern.

Und wie es schien, hatte mir mein fester Freund einen weiteren Auftritt verheimlicht, da ich nicht gewusst hatte, dass er auch hier mittanzen würde.

Deshalb also die Flatterkleidung schon zu Beginn.

Er repräsentierte, soweit ich das mit meinem geringen Wissen über Tanz sagen konnte, den Contemporary.

Taehyung hatte nicht untertrieben, denn er sah tatsächlich atemberaubend aus.

Jimin schien die Gravitation überwunden zu haben.

Er sprang, er flog, er schwebte- er schien den Boden kaum zu berühren.

Er war wie ein Engel, der die Erde besuchte, der auf ihr festsaß und nicht mehr dorthin zurückkommen konnte, von wo er kam- in den Himmel.

Ich hatte nie gewusst, wie viel der Körper ausdrücken konnte, hatte mir nie vorstellen können, dass man nicht seine Stimme brauchte, um eine Nachricht zu überbringen.

Jimin erzählte von Sehnusucht, von Lust, von Einsamkeit, von Verzweiflung, von Glück, von Trauer. Er erzählte vom Mensch sein.

Wahrscheinlich war es auch die emotionale Musik, die ihren Teil dazu beitrug, doch Jimin schien mir in diesem Moment genauso wie auf der Eisbahn. Frei, doch irgendwie sogar freier, da er sich bewegen konnte, wie er wollte, da er seinen Gefühlen Luft machen konnte, da er er sein konnte, ganz und gar. Es machte mir Gänsehaut.

Jimin schien mir wie die Definition von Freiheit und Sehnsucht zugleich.

Zusammen mit dem gesamten Arrangement auf der Bühne und der Musik und dem Licht und dem stillen Zuschauerraum war es, als wäre ich in eine komplett andere Welt gezogen worden, als hätte Jimin mich in sein persönliches Wunderland mitgenommen.

Ich brannte mir diesen Moment ins Gedächnis.

Mein wunderschöner fester Freund, wie er tanzte und den gesamten Raum für sich einzunehmen schien.

Verwundert über meine Sentimentalität verkniff ich mir ein paar Tränen und hielt den Fächer so fest in meiner Hand, dass ich glaubte, ein leises Knacken zu hören, während Jimins Part sich dem Ende zu neigte und es einen fließenden Übergang zur Repräsentantin des Ballett gab.

Und ich konnte noch nicht einmal versuchen, in Worte zu fassen, wie unglaublich stolz ich auf meinen Freund war, wie sehr er mein Herz berührt hatte, ohne mich auch nur anzusehen, oder anzufassen.

~~~

"Und, wie hat es dir gefallen?", fragte Jimin, während er das Garagentor hinter sich zu und darauf seine Jacke aus zog, um sie auf die Couch zu schmeißen, und sich von hinten an mich dran zu hängen, als ich den Computer hoch fuhr.

Ich überlegte.

Ich konnte nicht wirklich die passenden Worte finden, um ihm eine klare Antwort zu geben.

Der Abend war fantastisch gewesen.

Jimin war fantastisch gewesen.

"Ich-äh-hm", setzte ich an und spürte Jimins Grinsen an meinem Ohr. "Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, selber mit dem Tanzen anzufangen", meinte ich dann und musste beim Blick, den Jimin mir dann zuwarf, lachen. "Im Ernst!"

"Warum das denn?", fragte mein Freund dennoch ungläubig mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

"Du weißt nicht, wie gerne ich dem einen Kerl gesagt hätte, dass er die Finger von dir lassen soll!", schoss ich beleidigt zurück, in der Hoffnung, dass das als Erklärung genügen würde, und Jimin musste nun tatsächlich lachen.

"Das war eine Hebefigur! Die muss man so machen! Hättest du es denn besser gefunden, wenn er mich falsch gehalten hätte und ich runtergefallen wäre?"

"Nein, aber musste er denn so fest zupacken?"

"Yoongi", meinte Jimin und drehte kurzerhand meinen Stuhl zu sich, sodass er sich auf meine Schoß setzen konnte, "Erstens ist mein Po nicht dein Eigentum, zweitens kann ich dir gerne was beibringen, wenn du tanzen willst, aber keine Hebefiguren, da du nicht genügend Muskeln dafür hast-", er wischte mein empörtes Schnauben mit einer Handbewegung zur Seite, "-und drittens bist du die einzige andere Person auf Erden außer mir, die mein Hinterteil einfach so anfassen darf und heil damit davon kommt. Da war es nötig wegen dem Tanz, da kannst du nichts daran ändern. Glaub mir, hätte er was gemacht, hätte er es bitter bereut."

Er begann wieder mit meine Haaren zu spielen und mir kleine Dreadlocks zu verpassen, die ich später wieder stundenlang würde auskämmen müssen.

"Aber abgesehen davon, wie fandest du's?", fragte er mich flüsternd, während ich immer noch leicht geflasht von seinem Monolog mit großen Augen zu ihm aufsah. Auf seine Frage hin, begann ich jedoch wieder, zu lächeln und verschränkte meine Hände hinter seinem Rücken, ihn noch näher zu mir ziehend.

"Atemberaubend", wisperte ich also als Antwort und verband unsere Lippen zu einem sanften Kuss.

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Danke für's lesen^-^

Ich hoffe, ihr hattet schöne Feiertage?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 28, 2020 ⏰

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