3. Advent - Was Weihnachten Ist

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Lucy stand vor der Klasse und starrte auf ihre Karten. Sie sollte einen Vortrag über Weihnachten halten und ihre Mutter hatte ihr einen perfekten, normalen Text aufgeschrieben. Eigentlich war Lucy mit IHREM Konzept wirklich zufrieden gewesen, aber anscheinend war es lächerlich gewesen. Mach das ganze nicht so schwammig. Erzähle von dem, was die Klasse hören will, damit sie sich angesprochen fühlt. Doch jetzt, wo sie hier vorne stand und von ihren vorbereiteten Kärtchen lesen sollte, schien ihre Zunge am Gaumen festgeklebt zu sein. Es war ihr doch egal, was die Klasse dachte! Sie sollte doch sowieso nur drei Minuten reden, da konnte sie doch auch sagen, was in ihrem Kopf vorging!

Verschwommen konnte sie den ersten Satz erkennen: Für mich, sowie für vermutlich für euch alle auch, ist Weihnachten die Zeit der Geschenke.
Das war doch Unsinn! Absoluter Schwachsinn! Natürlich gehörten Geschenke zu Weihnachten und natürlich liebte Lucy Geschenke! Aber es ging doch nicht nur um die neue PlayStation oder die Nintendo Switch!

Langsam wurde die Klasse unruhig. Die nur mühsam unterdrückten Gespräche kamen in Form von Gesflüster wieder auf und Herr Bloom sah sie ungeduldig an. Was sollte sie nur tun?! Sie konnte das nicht lesen!
Manchmal kann ich die ganze Vorweihnachtszeit an nichts anderes als an die Geschenke unter dem Christbaum denken.
Sie war doch kein Idiot! Wer dachte schon den ganzen Dezember lang nur an Geschenke?

"Was ist Weihnachten?"

Plötzlich erscholl ihre Stimme durch das Klassenzimmer und nach und nach ebbte das Stimmgewirr ab.

"Ich frage euch: Was ist Weihnachten? Habt ihr jemals darüber nachgedacht? Manche erinnern sich bestimmt, dass hinter dem Geschenke bekommen ursprünglich noch mehr liegt. Die Geburt Jesu Christi, die Hirten auf dem Felde und die Engel, die die frohe Botschaft überbringen. Sicherlich hat jeder von euch schon davon gehört, ob er nun Christ ist oder nicht, auch wenn er es über die Jahre vielleicht wieder vergessen hat. Aber was ist Weihnachten für euch? Was verbindet ihr mit Weihnachten? Vermutlich geht für viele von euch der erste Gedanke nicht an jemanden, der schon vor über 2000 Jahren auf die Welt kam."

Lucy hatte die Karten in ihren Händen vergessen - sie brauchte sie auch nicht. Unbewusst und unbeabsichtigt hatte sie die Aufmerksamkeit der Klasse gefangen. Was war Weihnachten?

"Denkt ihr zuerst an Geschenke? An die neue Filmreihe oder das neue Handy? Oder schenkt ihr auch einen Gedanken an all jene, die Weihnachten vielleicht gar nicht so toll finden?"

Hier brach für einen kurzen Moment Gemurmel aus, (Warum sollte man Weihnachten nicht mögen? - Weihnachten ist doch eins meiner Lieblingsfeste! - Das versteh' ich nicht...) doch als Lucy weitersprach, verstummten alle wieder.

"Jedes Jahr verbringen unzählige Menschen Weihnachten auf der Straße. Für sie ist das Weihnachtsfest eine Erinnerung daran, dass sie kein Dach über den Kopf haben und der Bauch zu leer ist. Jedes Jahr verbringen unzählige Menschen Weihnachten alleine, weil ihr Lebenspartner gestorben ist, man sich vor kurzem getrennt hat oder sich mit der Familie zerstritten hat. Manche haben einfach niemanden mehr. Denkt ihr auch manchmal an sie?

Denkt ihr an das kleine Kind, das weinend hört, wie sich seine Eltern streiten? Oder an den Jungen, der gar nicht richtig an Weihnachten denken kann, weil er sich zu viele Sorgen darum macht, wie er mehr Geld verdienen kann? Denkt ihr an die junge Frau, deren Welt in Scherben liegt, weil sie vergewaltigt wurde? Oder an den Mann, der vor wenigen Wochen noch ein Junge war, jetzt aber niemanden mehr hat und aus seiner Heimat fliehen muss, weil Krieg herrscht?

Ich selbst denke nicht immer an sie, aber zu Weihnachten versuche ich mir immer klar zu machen, dass es auch schlechtes in der Welt gibt. Es gibt Dinge außerhalb meiner kleinen, glücklichen Blase, die mich vermutlich zerstören würden. An Weihnachten will ich in Gedanken bei denjenigen sein, denen es nicht so gut geht wie mir, auch wenn sie es vielleicht nicht merken oder es ihnen gar nichts bringt. An Weihnachten sollte niemand alleine sein.

Denn im Gegenteil zu dem, was ich gerade sagte, ist Weihnachten kein trauriges Fest - nicht umsonst wird es das Fest der Liebe genannt. Wenn ich die Augen öffne und mich umschaue, sehe ich, dass es wundervolle Menschen in dieser Welt gibt. Personen, die jeden Tag hohe Risiken für das Wohl anderer eingehen und versuchen die Welt ein Stückchen besser zu machen. Aber es zählen auch die kleinen Dinge. Ein Junge, der einer älteren Dame über die Straße hilft, ein Kind, das einem traurigen Mann ehrlich zulächelt. Das Mädchen, dass mit dem anderen Mädchen mit der hässlichen Narbe spricht wie mit jedem anderen und nicht wie mit einem Außenseiter. Ein tauber Junge, der sich nichts weiter zu Weihnachten wünscht, als das seine Mutter endlich den Job bekommt, den sie will. Der Mensch, der den Depressiven an einem schlechteren Tag zum Lächeln bringt. Es gibt so viele Beispiele, ich könnte noch ewig weiterreden.

Worauf ich aber hinaus will: An Weihnachten verschenken wir Liebe. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das musst du nicht, aber wie wäre es, wenn du es versuchst? Mach den Tag für jemanden ein kleines Stückchen besser.
Wisst ihr, wie gut es sich anfühlt, jemandem zu helfen? Ihr helft jemanden und bekommt ein kleines, dankbares Lächeln als Antwort? Das ist das beste Gefühl auf der Welt. Ihr habt jemanden glücklich gemacht.

Für mich ist also nicht das Geschenke bekommen, sondern das Geschenke geben das, was Weihnachten ausmacht. Dabei zählt jede, noch so kleine Gabe, ihr müsst nicht einmal Geld dafür ausgeben.

Ich möchte, dass Ihr heute mit einer Botschaft aus diesem Klassenzimmer geht: Weihnachten ist ein Fest der Liebe und daran sollten wir uns immer erinnern."

Nach dem Vortrag setzte Lucy sich stumm auf ihren Platz. Sie hatte gasagt, was sie sagen wollte. Der Rest der Stunde verging wie im Flug, ohne dass Lucy es bemerkt hätte.

oOo

"Ich bin wieder da!"

"Wie war die Schule? War der Vortrag gut?"

"Ähm... Ich hab vergessen von den Karten abzulesen... Ich hoffe, das ist nicht schlimm für dich...?"

"Ach Schatz, natürlich nicht! Solange dir irgendetwas eingefallen ist, das du erzählen konntest. Es ist natürlich schade, dass du meinen  Text vergessen hast, aber die Hauptsache ist doch, dass du dich wohl fühlst!"

"Okay, puh."

Lucy war schon an ihrer Mutter vorbeigelaufen, überlegte es sich dann aber plötzlich anders und drehte sich um. Sie gab ihr eine schnelle Umarmung, bevor sie sich wieder abwandte und die Treppe hinaufrannte.

-Luna-

Advent, Advent, ein Lichtlein brenntTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang