Kapitel 4 - The Sleepover, Part 2

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Auf Zehenspitzen schlich das Trio zur Treppe. Sara hielt die Pistole weit weg von sich, als wäre diese Weihnachtsschokolade von eBay. Ihre Linke flankierte Olivia, die sich krampfhaft an ihrem Baseballschläger festhielt und zu Saras Rechten bleckte sich Katy angespannt über die Lippen.
Olivias blonde Locken wirbelten herum, als sie sich an ihre Freundinnen wandte. "Wer geht voran?" 
Eine Weile war es still. Verlegen blickten die Mädchen zu Boden, denn es wagte niemand sich zu melden. Erleichtert atmeten die andern aus, als Sara hervortrat. Nervös straffte sie ihre Schultern und betrat die erste Treppenstufe. Hinter ihr reihten sich Katy und Olivia, wie automatisch ein - die Kriegerin, die Führerin und die Rebellin.
"Was machen wir jetzt?" Olivias Frage verhallte im Haus. Jeder wusste was kam - sie gingen nach oben, in das Karpfenfischbecken, die Lichterkettengrube. Das Mistelfeld. 
Schritt für Schritt wagten sich die Freundinnen hinauf und Olivia hielt den Baseballschläger in Position, bereit zuzuschlagen. Es war still geworden. Unerträglich langsam verlagerte Katy das Gewicht ihrer Füße, um keinen Laut zu machen.
In jedem Haus gibt es diese eine Stiege, die sogar einen Weihnachtschor übertönen konnte, diese eine Stiege, auf der sich schon jemand das Bein gebrochen hatte. In dieser Geschichte war es die dritte Stufe von oben. Katy hätte es eigentlich wissen müssen, denn gerade diese Stufe war dafür verantwortlich, dass sie einen halben Monat mit Krücken hatte herumlaufen müssen. Sara trat auf eben diese Stiege. Es knarzte laut. Viel zu laut.
Oben geriet etwas in Bewegung. Es ding-dongte, kuckuckte, fauchte und scharrte und verhallte in trauriger Stille. Schritte waren zu hören, diesmal lauter.
Todesmutig hastete Sara die letzten drei Stufen hoch und presste sich an die gegenüberliegende Wand, die Pistole hielt sie mit beiden Händen auf den Boden gerichtet. Katy tat es ihr nach.
Nun stand Olivia allein am Treppengelände. Sie sah zu ihren Freundinnen hoch, die ihr lautlos bedeuteten hinaufzukommen. Olivias Augen verrieten, was ihr durch den Kopf ging: "Ich kann nicht."
Plötzlich winkte Katy sie hysterisch her. Lautlos formte Katy die Worte: "Es ist hinter dir!"
Olivias Augen weiteten sich panisch.
Stolpernd kam sie die Treppen hoch und fiel ihren Freundinnen in die Arme.
Olivia drehte sich um, damit sie dem Grauen ins Gesicht sehen konnte. Da war nichts.
Empört wandte sie sich an Katy und machte eine Geste, die "Ernsthaft?!"  bedeuten sollte.
Ein schnarrendes Geräusch ließ alle drei zusammenfahren, dieses Mal war es ganz nah.
Die Tür zu Max Zimmer stand offen und die Freundinnen konnten in den Raum sehen. Das Fenster war sperrangelweit geöffnet und die zerfetzten Gardinen blähten sich im Wind. Ein eisiger Luftzug wehte durch das Haus, der das Gebälk erstöhnen ließ. Im Mondeslicht erkannten die drei einen Schatten hinter der Tür.

In kleinen Schritten näherten sich die Freundinnen Max' Tür. Das Grunzen und Geraschel wurde immer lauter. Zwischendurch konnte man Max hören, der gedämpft Protestlaute von sich gab. 
Sie waren sich sicher - dies war kein Streich.
Sara stieß zitternd, mit den Knauf der Pistole, die Tür auf. 
Der Anblick, der sich ihnen bat, ließ den dreien das Blut in den Adern gefrieren. Edvard Munchs "Schrei" wäre ein passender Vergleich ihrer schreckensverzerrten Gesichter gewesen.
Sara zitterte unkontrolliert. Mit einem Mal war die Pistole auf Max gerichtet, dann auf die Gestalt und wiederum auf die Zimmerlampe.
Katy und Olivia kreischten.
Eine gebückte Gestalt stand am Fenster, ihr Gesicht lag in Dunklen. Den Mädchen schien es, als breitete sie sich in der Finsternis aus. Schleichend erfüllte ihre Präsenz das Zimmer. Sie befand sich überall - in dunklen Ecken, unter dem Bett, im Schrank - die Kreatur umringte sie. Plötzlich tauchten aus der Schwärze zwei Augenpaare auf. Sie lagen unnatürlich nah beieinander und leuchteten bösartig in der Dunkelheit. Die Kreatur hatte einen Sack um die Schulter geschwungen, aus dem gedämpfte Hilferufe von Max ertönten.
Das Wesen kam auf sie zu. Olivia kreischte eine Oktave höher und ließ den Baseballschläger niedersausen. Der Schlag traf die Kreatur mitten ins Gesicht.
Jetzt reagierte auch Katy und schlug zu. Gemeinsam bearbeiteten die beiden die Gestalt, hackten, schlugen und kratzten, wo auch immer sie etwas zu fassen bekamen.
Die Gestalt jaulte wie ein Tier. Mit einem heftigen Ruck befreite sie sich und taumelte nach hinten. Dann blieb sie stehen. Angespannt fixierten sich beide Seiten. Die Kreatur zischte ihnen feindselige Laute entgegen. Die Mädchen zuckten zusammen, denn die Worte trieften vor Hass. Dann hob sie ein schwindelerregend-langes Bein aus dem Fensterbrett, eine Säbelnase blitzte auf und sie sprang. Max ängstlicher Schrei gellte durch die Nacht.
Die Mädchen hasteten zum Fenster. 
Unten, auf der Straße eilte die Gestalt, mit dem schreienden Max im Schlepptau, an den Häusern entlang.
"Nein!" Katy rief ihnen verzweifelt hinterher. 
Sara schoss.
Sie traf die Straßenlaterne. Sie schoss ein weiteres Mal und diesmal traf sie ihr Ziel. Die Kreatur gab einen wilden Schrei von sich und ließ den Sack los. 
Katy nahm ihr die Waffe aus der Hand. "Sara! Dort unten ist mein Bruder!"
Sara sah verwirrt auf die Pistole in Katys Hand.
Olivia, die immer noch am Fenster stand, juchzte: "Es hat ihn erwischt!"
"Ist das dein Ernst?" Katy hastete zum Fenster.
In einigen Häusern ging das Licht an. Nachbarn kamen herausgerannt, alarmiert von den Schüssen. "Mist, wir haben die ganze Nachbarschaft geweckt."
Sara schaute verwirrt zwischen der Pistole in ihrer zitternden Hand und dem Fenster umher. "Was machen wir jetzt?" Olivia blickte ihre Freundinnen panisch an. 
"Katy?"
"Wir machen das Vernünftigste."
"Ja.", bekräftigte sie Olivia. "Was war wäre das Vernünftigste?"
"Ich rufe meine Eltern an."

Die Freundinnen saßen im Wohnzimmer, während sie auf die Ankunft von Astrid und Paul warteten. Max schlurfte heiße Schokolade, die Katy zubereitet hatte. Seitdem sie den verängstigten Jungen auf der Straße aufgesammelt hatten, war er in eine Schockstarrte verfallen. Katy folgte dem Beispiel ihrer Mutter, die in schwierigen Situationen stets heiße Schokolade zubereitete. Wie ein Roboter schlürfte Max an seinem Becker, während er mit milchig-weißen Augen vor sich hinstarrte. Es war dunkel im Haus. Das einzige Licht, das hineindrang, war fahles Mondeslicht. Ihre Gesichter schienen weiß und hätte man das Licht aufgedreht, so hätte sich dies nicht verändert. Doch bisher hatte niemand daran gedacht das Licht anzumachen, sosehr hatten sie die Ereignisse mitgenommen.
Olivia hielt es nicht lange schweigend aus. 
"Was war das?" Ihre Stimme klang ängstlich. "Ihr habt es doch auch gesehen!"
Sara schaute auf ihre Hände.
"Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, was ich dort oben gesehen habe."
Katy schwieg. Sie dachte an ihre Eltern aber vor allem an ihren kleinen Bruder. Was würde jetzt mit ihm geschehen? Was hatte diese Gestalt mit ihm vorgehabt? Sie hoffte, dass die Blutspuren ihnen den Weg zu dem Entführer weisen würden.
Feine Schwaden von Zigarettenrauch schlängelten sich durch die Dunkelheit. Sie erreichten die Couch und hüllten die drei Mädchen mit ihrem Gestank ein, so still und leise, wie sich eine Anakonda, um ihre Beute schlängelte.
"Ich weiß, wer das war. "
Ihre Köpfe drehten sich gleichzeitig in Richtung der Stimme, mit ihren Blicken suchten sie die Dunkelheit ab.
Am Fenster saß eine alte Gestalt. Vor dem Schnee draußen, zeichneten sich ihre Konturen ab - runzelige Haut, die ihr in Fetzen hinunterhängte, die Hände waren übersehen mit Altersflecken, das Gesicht unbeweglich, fast schon wie tot. In der rechten Hand hielt sie einen Zigarettenstummel. Mit einer knöcherigen Anmut führte sie die Zigarette zum Mund und blies ihnen gemächlich den Rauch ins Gesicht.
"Ich weiß wer das war.", raunte sie noch einmal und es klang, also ob eine Stimme des letzten Jahrhunderts aus den Tiefen der Friedhofserde heraufgeklettert kam. Ihr Blick war auf einen unbestimmten Punkt des Zimmers geheftet.
"Wer ist das?", fiepte Olivia in Richtung Katy, ohne den Blick von der Gestalt abzuwenden.
"Meine Großmutter.", stellte Katy erleichtert fest. "Sie hat im Zimmer neben Max geschlafen."
Katy richtete sich an ihre Großmutter: "Wer war es Granny? Hast du ihn gesehen?"
"Ja, ich habe ihn erkannt." Sie nahm einen langen Zug von der Zigarette.
"Das letzte Mal sah ich ihn in Island, in dem Winter als meine Familie beschloss nach Kanada auszuwandern."
"Wie ist das möglich?"
Granny ignorierte die Frage. "Sein Name ist Stekkjastaur und er ist nur der Anfang. Es werden noch zwölf weitere kommen, bis am letzten Tage, die Hexe selbst aus ihrer Höhle hinabsteigen wird. Es wird ein Festessen geben!"
"Mrs. Larsen, haben sie den Mann gesehen?", schaltete sich Sara ein.
"Gryla wird kommen."
"Wieso wird es ein Festessen geben?", rief Olivia dazwischen.
"Ich spüre schon den Wind in meinen Knochen!"
"-Olivia sei still!", zischte Sara.
"-wird kommen mit dem Sturm!", rief die Großmutter aus vollem Halse, "Ihr werdet schon sehen! Gryla wird kommen!"
Ein kalter Luftzug wehte herein, hauchte die Zigarette aus und Granny kippte vornüber.

Ein Alptraum zu WeihnachtenWhere stories live. Discover now