Kapitel 1 - Welcome to Winters' Peak!

23 2 2
                                    

Es war der 12

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Es war der 12. Dezember. Auf den Straßen schlitterten Autos über den nassen Schnee, der von seiner puderzuckerartigen Vollkommenheit von heute Morgen nichts mehr gemein hatte, mit jeder Reifenspur war er matschiger und brauner geworden. Beobachtete man die Kennzeichen, dann fiel einem auf, dass jedes zweite Auto aus Alberta war, dessen Motto "The Wild Rose County" stolz an den Nummernschildern prangte. Viele Menschen kamen aus Calgary, der nächsten großen Stadt heruntergefahren. Die Wochenarbeiter und Internatsschüler besuchten an den Wochenenden vor Weihnachten ihre Familie. Manche Leute, wie die aus Nunavut oder den Yukon-Territories, waren über den Trans Canadian Highway gekommen und hatten eine weite Reise hinter sich gelegt.
Winters Peak konnte man gewissenhaft als Touristenstadt bezeichnen. Doch die Hauptsaison lag im Sommer. Im Winter waren die meisten Straßen, die in die Nationalparks führten, gesperrt. Lawinen und die eisigen Bedingungen des alpinen Klimas hatten bereits einigen Seelen das Leben gekostet. Die Bergwache hatte alle Hände voll zu tun Touristen und angekiffte Teenager von den Wäldern fernzuhalten.
Zu dieser Zeit des Jahres gab es hier nicht mehr zu tun, als das Skifahren oder in gemütlicher Runde in einem der Cafés zu sitzen, die sich an der Winters Street aneinanderdrängten.
Es gab einige Tage im Jahr, in denen Winters Peak von der Zivilisation völlig abgeschnitten war. Diese kamen mit den Winterstürmen, die über die Rocky Mountains fegten, bis der Chinook, der Schnee-Fresser, aus dem Süden kam und den Frühling ankündigte. Doch zu dieser Zeit wurde die Stadt in ein Schneegestöber gehüllt, als ob sie lediglich ein Gebilde in einer Schneekugel wäre, ein Spielball der Natur. In der Zeit der Raunächte häufte sich der Schnee zu Straßenblockaden an, gegen die nicht einmal ein Schneepflug angekommen wäre. Die Temperaturen erreichten Rekordwerte und die Winterstürme legten alle Stromleitungen lahm. In der ungetauften Zeit Jesu-Christi, erwachte etwas, etwas Altes, das hoch oben in den Bergen hauste. Geweckt von den Stürmen und dem Wind, der durch das Gestein pfeifte. Dann richtete es sein Augenmerk auf die Menschenstadt, tief unten im Tal. 

Am 12. Dezember rasten wie an jedem Tag, Trucks und Jeeps die Hauptstraße entlang. An beiden Seiten der Straße reihten sich Geschäft an Geschäft. Es herrschte reges Treiben, die Leute tätigten ihre Wocheneinkäufe, Ladenbesitzer hängten Weihnachtsdekoration auf oder schmückten die Schaufenster mit Plastikschnee. Einige hatten demonstrativ seit August die Weihnachtsausstattung aufgestellt. Winters Street war die Einkaufsstraße der Stadt und gleichzeitig der gesellschaftliche Mittelpunkt von Winters Peak.
Katy Larson schulterte ihre "No fins. No future." - Tasche und trotzte dem eisigen Morgenwind, der ihrer rosigen Haut einen noch rosigeren Farbton verpasste. 
"Kat, setz die Kapuze auf, von deinem Anblick wird mir noch kalt."
Katy befolgte gehorsam den Befehl ihrer Mutter, Wiederstand war zwecklos.
"Mom, denkst du Mrs. Burts hat Limetten in ihrem Laden?"
"Limetten? Ich denke nicht, aber wir können bei Jefferson & Hill vorbeischauen."
"Okay." Katy zuckte mit den Schultern, abrupt blieb sie stehen.
"Was ist los?" Astrid Larsen richtete ihre blauen Augen verwundert auf ihre Tochter. "Hast du etwas vergessen, Darling?"
"Nein." Katy fasste sich wieder, vergrub ihre Nase tief im Schal und setzte ihren Weg fort. 
Astrid richtete den Blick verwirrt wieder nach vorne. Plötzlich machte sich Entzücken auf ihrem Gesicht breit. 
"Sieh mal, da ist Josh!"
Katy schloss resigniert die Augen und ließ sich von ihrer Mutter mitziehen. 
Josh war ein pickeliger Teenager mit betont lässiger Gangweise. Er war einer dieser Jungs, die sich aufgrund ihres Charmes blendend mit den Lehrern verstanden, obwohl sie trotzdem nie die Hausübung machten. An dem Glitzern in seinen Augen, ließ es sich erkennen, dass es ihm einen Heidenspaß machte, Josh Cavendish zu sein. 
Trotzdem hatte er etwas, dass ihn für Mrs. Larsen als perfekten Schwiegersohn auszeichnete und Katy Larsen dazu veranlasste sich hinter ihrem Schal zu verstecken. Vielleicht lag es an seiner großen Gestalt oder den Hunter-Augen, die sich hinter strubbeligen schwarzen Haaren verbargen. 
"Guten Morgen Josh!" Astrid winkte ihm von der anderen Straßenseiten zu.
"Guten Morgen." Josh lächelte amüsiert hinsichtlich dieser überschwänglichen Begrüßung. Er  schlenderte über die Straße und kam ihnen entgegen. "Hallo Katy."
Katys Wangen färbten sich rot. "Hallo." 
Josh wandte sich an Astrid und meinte überschwenglich: "Mrs. Larsen, Sie sehen aus wie Schwestern." 
Katy runzelte die Stirn. Ihrer Meinung nach war das zu dick aufgetragen, aber Astrid schien dies zu gefallen. 
"Ach.", maunzte sie geschmeichelt. "Wie geht es dir in der Tischlerei?"
"Ganz gut."
Josh vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Dabei machten sich seine Muskeln bemerkbar, die er in den letzten sechs Monaten beim Schleifen bekommen hatte. So zumindest stellte sich das Katy vor, deren Wangen glühten.
Josh hatte die Schule geschmissen und ließ sich jetzt vom Leben "treiben". Dies schien gut zu funktionieren, denn sein Vater hatte ihm einen Job an der ortsansässigen Tischlerei angeln können. 
"Machen Sie Weihnachtseinkäufe?", erkundigte sich Josh interessiert.
"Oh, ja. Pauls ganze Verwandtschaft kommt über die Ferien zu uns. Ich muss jetzt schon anfangen das Essen vorzubereiten. Ohne die Kinder mitzuzählen sind wir sieben Leute!"
"Das hört sich nach einem fröhliche Weihnachtsfest an."
Astrid lachte gequält. "Ja, das wird es. Wie geht es deiner Mutter?"
"Sie versucht sich gerade an einem Weihnachtsbraten. Bisher hatten wir immer einen aus dem Supermarkt."
Plötzlich richtete er sich an Katy. "Der Apfelkuchen, den Ihre Tochter letztens vorbeigebracht hatte, war hervorragend."
Katy wollte was sagen, doch ihre Stimme versagte. Schließlich krächzte sie. "Wirklich?" Und lächelte ihm bitter entgegen. 
"Ja, das war er.", antwortete Josh einen Hauch verlegen.
Es entstand eine unangenehme Pause, Astrid sah gespannt von einem zum anderen. Ihre Intuition sagte ihr, dass hier irgendetwas vorging. "Na vielleicht bringe ich euch noch eine Kleinigkeit vorbei. Richte Florence liebe Grüße von mir aus. Frohe Weihnachten!"
"Frohe Weihnachten. Tschüss Katy."
Als sie einige Schritte gegangen waren, meinte Astrid: "Was für ein netter junger Mann."
"Wenn sie nur wüsste.", dachte Katy. Seit dem vorherigen Wochendende hatte Katy versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ihre Mutter, dies verhindern würde.
Astrid öffnete die Tür des Ladens und ein schrilles Glockenläuten riss Katy aus ihren Gedanken.

Astrid und Mrs. Burts begrüßten einander mit der üblichen übertriebenen Herzlichkeit. In einer so kleinen Stadt wie Winters Peak, in der jeder jeden kannte, war dies üblich. Traf man auf der Straße seine frühere Volksschullehrerin, so wurde diese plötzlich zur bezauberndsten Person des ganzen Gehsteigs. 
"Was darf es heute sein?" Mrs. Burts lächelte breit. Mit ihren Glubschaugen und der gebückten Haltung, die sie um einen Kopf kleiner machte, hatte sie Ähnlichkeiten mit einem eigentümlichen Elfen. 
"Vier Pounds Roast Beef, haben Sie einen Truthahn?"
"Ja, meine Liebe. Den Letzten!"
Mrs. Burts verschwand hinter dem Tresen, während sich Astrid darüber beklagte, dass man mit den Weihnachtseinkäufen immer früher anfangen musste. 
"Nächstes Weihnachten werde ich meinen Truthahn im Supermarkt kaufen müssen, genau wie Florence Cavendish."
Mrs. Burts holte grinsend einen verpackten Truthahn hervor und hielt ihn an den Beinen kopfüber.
Wie sie so dastand, hätte man sie für eine Psychopatin halten können, dachte Katy und ging zum Fenster. Sie hielt nach Josh Ausschau, was sie sich jedoch nicht eingestehen wollte. 
Wer konnte schon wissen, was Mrs. Burts in ihrem Kühlraum versteckte. Katy dachte an Nelly Lovett, die im viktorianischen London Fleischpastete aus Menschen gemacht hatte.
"Haben Sie von der Weihnachtsfeier gehört? Sie soll dieses Jahr auf den 24. verschoben werden."
"Auf den 24.? Ich denke nicht, dass viele Leute kommen werden, sie werden Zeit mit ihrer Familie verbringen wollten."
"Aber Mrs. Larsen! Die halbe Stadt hat zugesagt.", triumphierte Mrs. Burts. "Sie sind selbstverständlich auch eingeladen, natürlich nur wenn Sie kommen wollen. Die Einnahmen spendiert der Holiday-Club außerdem an das Waisenhaus."
Der Holiday-Club, dessen glühendstes Mitglied Mrs. Burts war, bestand aus sieben weiteren Weihnachtsenthusiasten. Sie organisierten den Weihnachtsbaum der Stadt, die Straßenbeleuchtung und weitere Dinge, die der Bürgermeister erleichtert an sie weitergab. Es war ein Wettkampf zwischen den benachbarten Städten und Dörfern, um die schönste Weihnachtsdekoration der Region. Doch der Kampf ging in den Häusern und Heimen von Winters Peak weiter. Hängte Mrs. Burts eine ein-Yard Lichterkette um ihr Haus, so kam Mrs. Wilson am nächsten Abend mit einem überlebensgroßen Weihnachtsmann daher, der dank einem Bewegungsmelder "Frohe Weihnachten" brüllen konnte und ahnungslose Fußgänger erschreckte.
Astrid stutze. "Vielleicht schauen Paul und ich flüchtig vorbei."
"Wir würden uns sehr darüber freuen.", säuselte Mrs. Burts und fügte hinzu, "Denken Sie an die Waisenkinder."

Ein Alptraum zu WeihnachtenWhere stories live. Discover now