Vater unser im Himmel...

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Ein wenig abseits der Quelle und weit genug von Alucard entfernt, bleibt Anderson stehen und kniet sich an den Waldrand hin. Die blauhaarige Frau beobachtet ihn dabei genauestens, ehe sie noch einmal zu Alucard sieht. Doch dieser zerfetzt gerade das Tier und bringt es noch einmal um. Kein Blutstropfen ist zu sehen. Offensichtlich hat er sich schon bedient. Erleichtert ist sie deswegen schon! Immerhin lässt er sie dann in Ruhe. Der Pater dreht nur leicht seinen Kopf und sieht sie an. Sie gehört wirklich nicht in diese Welt. Nicht einmal ansatzweise. Jedoch kann er nichts dagegen tun, außer sie zu schützen. Das ist und bleibt seine einzige Aufgabe. Er blickt wieder nach vorn und faltet seine Hände. Schließt die Augen und hört, wie sich Alexandra neben ihn setzt. Gut so. Tief atmet er ein und wieder aus. Beginnt mit dem Kreuzzeichen, ehe er leise das Vater unser murmelt. Der Pater lässt sich die Überraschung nicht ansehen, als er die weibliche Stimme neben ihm hört, die das Gebet zu kennen scheint.

Einfach mit aufsagen. Alex setzt keinen Wert in ihr Gebet. Sie spricht nur mit. Lässt ihre Gedanken anderweitig herumschweben. Warum lebt sie eigentlich noch. Wie hat sie es geschafft, bis jetzt aus jedem Mist lebendig wieder raus zu kommen? Klar... in ihren Geschichten ist sie ja auch immer die große Heldin. Aber das bringt ihr jetzt überhaupt nichts! Oder nur ein bisschen was. Bei jeder Geschichte muss man recherchieren. Und das Wissen verliert man nicht so schnell. Dennoch hat sie keine Pistole, deren Aufbau sie kennen würde. Keine Kampfkraft, um Angriffe zu führen. Sie kennt sich dahingehend nur in der Taktik aus. Die Theorie ist eben um einiges einfacher als die Praxis, das merkt sie jetzt gewaltig. Sollte sie jemals hier wieder weg kommen und in ihre Dimension gelangen, werden ihre Geschichten so realistisch, wie es nur irgendwie geht. Punkt!

"Verdammte Menschen...", brummt der Urvampir vor sich hin und starrt das halbe Reh an. "Nutzloses Kleinvieh..." Alucard hat einfach nur beschissene Laune. Er wird zum einfachen Jäger herabgestuft, welcher sich auf Tiere spezialisieren soll. Und dann muss er sie ausnehmen, weil das keiner kann! Damals hat er sich alles selbst beibringen müssen, nachdem er sich gewandelt hat. Er musste sich beibringen, wie das mit der Schattenreise funktioniert. Er hatte das Beißen lernen müssen und wie viel Blut er Menschen abzapfen kann, ohne ihnen Schaden zuzufügen. Die Schnelligkeit. Der Umgang mit seinen jetzigen Waffen. Alles hat er sich selbst beigebracht! Und die beiden da hinten beten nur leise vor sich hin. Auch wenn es ihn ein wenig wundert, dass die Kleine mitmacht. Aber das kann ihm am Arsch vorbei gehen. Was ihn ebenfalls nervt ist, dass Baskerville auch nicht erreichbar wäre. Er hat seine Seelen, ja! Aber ihn nicht.

Man kann schon fast sagen, dass sich der große, böse Urvampir ein wenig alleine ohne seinen Höllenhund fühlt. Er hat nun wirklich niemanden, der ihn verstehen könnte. Der Pater weiß ein bisschen was, aber nicht alles. Nur dem Menschlein könnte er zutrauen, seinen Taten folgen und die Gründe kennen zu können. Immerhin hat sie ein enormes Wissen, was ihn oder den Pater angeht. Für einen Moment hört er auf, das Reh in seine Moleküle aufzuteilen und hebt den Kopf. Der blondhaarige ist in seine Gebete vertieft. Das ist sogar hörbar. Die Kleine hingegen sitzt einfach nur im Schneidersitz neben ihm, starrt in die Ferne und besitzt einen leeren Blick. Was wohl diesmal in ihrem Kopf abgeht? Warum also nicht einfach mal nachsehen. Viel wird es eh nicht sein, denn so wie es aussieht, fantasiert sie nur. Mit der Arbeit fängt er zwar wieder an, aber langsamer, während er ihren Gedanken zuhört. Vielleicht wird noch etwas nützliches hörbar?

Warum vergessen Menschen zu trinken, wenn es sie sonst töten würde, es nicht zu tun? Oder Essen? Oder Schlafen? Sind Menschen irgendwie falsch designend worden? Warum ist ihre Mutter eigentlich sauer, wenn sie zurückspricht? Immerhin ist es doch irgendwie ihr Problem, dass sie das lose Mundwerk und die kleinen Aggressionsprobleme an sie weitergegeben hat, oder nicht? Warum ist sie eigentlich auf jemanden stolz der sie mit einer neuen Beleidigung beleidigt? Vielleicht hilft Therapie ja schon irgendwie... aber fünf Minuten 'FUCK' zu schreien ist schneller und mit weniger Aufwand verbunden! Wie es sich wohl anfühlt, von jemandem wirklich gemocht zu werden, wenn man alle Masken abgenommen hat? Ist 'nein' eigentlich eine Emotion? Denn irgendwie fühlt sie das gerade! Warum zur Hölle hat man eigentlich an der Weste bei einem Flugzeugabsturz eine Trillerpfeife? Eine... PFEIFE?! Das Flugzeug trifft auf das Wasser, wird zerrissen, jeder ist tot, außer man selbst irgendwie und man treibt auf dem Meer. Das Wasser hat vielleicht vier Grad und man hat gerade einmal 15 Minuten, bis die Unterkühlung einsetzt, man wird von einem Hai gefressen oder man ertrinkt. Man hofft, dass einen die Rettungsleute finden! Man ist komplett außer Puste... aber warte... man kann ja Pfeifen! Lass mal den Song von der fucking Titanic auf der Trillerpfeife spielen!

Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht Alucard zu Alexandra. Was zur Hölle geht bei dem kleinen Menschen im Kopf ab? Und warum muss er jetzt selbst über die Dinge nachdenken?! Sollte er es lernen, nicht in ihre Gedanken zu gehen? Ja. Tut er es? Nein. Während der schwarzhaarige sich weiterhin an die Arbeit macht, nun im Stillen und mit seinen eigenen Gedanken das Reh fertig auszuweiden und essfertig zu machen, ist der Pater fertig. Er öffnet seine Augen und dreht den Kopf, um die Frau anzusehen, die neben ihm sitzt. Ihm fällt schnell auf, dass sie geistig nicht wirklich anwesend ist und blickt zu dem Frevler an Reisebegleiter. Das Essen dürfte also schon bald fertig sein. "Komm. Wir holen uns Wasser. Du auch. Du musst etwas trinken. Würdest du auf das Wasser reagieren, hättest du es längst gemerkt. Also ist es für dich sicher." Stimmt, das hat sie ja komplett vergessen! Lächelnd nickt sie und springt auf. Wartet auf den Pater, der es ein wenig gelassener nimmt und sich nicht hetzt. Sie haben an sich alle Zeit der Welt. Diese Dimension läuft niemandem weg. Die beiden gönnen sich also noch ein wenig Wasser und kehren erst dann zu Alucard zurück, der in der Zwischenzeit schon das Feuer gemacht hat. Zwar fühlt er sich irgendwie benutzt, aber so kommen sie schneller vom Fleck. Und wenn sie hier alles erkunden und vielleicht sogar ein richtiges Portal in ihre Welten finden wollen, sollten sie sich langsam aber sicher mal aufmachen!

Die Insel der DimensionenWhere stories live. Discover now