18. Kapitel

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    Conall versuchte alle aufzumuntern, doch selbst Cas wirkte nicht mehr so sicher wie heute Morgen. Heute Morgen hatte ich ihn angesehen und das Gefühl gehabt, einen Krieger zu sehen, der bereit war, alles zu tun. Jetzt sah ich einen Mann, der nicht mehr wusste, ob er das schaffen konnte. Eine Übermacht an Männern würde die Berge überrennen, die Hexen kamen immer näher und wir waren genau in der Mitte. »Du kannst es dir noch anders überlegen, weißt du?«, wisperte Cas leise. Empört und auch etwas überrascht sah ich ihn an.
     Doch ich wusste, dass er diese Worte nicht böse meinte. Insgeheim hatte er Angst wie jeder andere auch. Er wusste, dass meine Knochen noch steif waren und dass meine Muskeln einige Tage brauchen würden, um in Form zu sein. Die hatten wir allerdings nicht. Das war das Problem. Wenn wir die Zeit hätten dann... dann wäre alles einfacher. Die Zeit, sich auf alles vorzubereiten. Die Panik der anderen machte es nicht besser.
     »Ich gehe nicht. Ich schließe mich ihnen nicht an, nur um nicht zu sterben. Das ist Blödsinn.« Cas musterte mich. Ein trauriger Ausdruck machte sich in seinen Augen breit, doch ich wusste, dass er diese Antwort bereits erwartet hatte. Tief holte er Luft und zog mich etwas enger an sich heran, als könnte er mich so für immer an seiner Seite halten. Ich sah zu Conall, der versuchte die anderen zu beruhigen.
     »Die Hexen haben es am Meeresdrachen vorbei geschafft! Das weißt du, Conall. Wenn sie das geschafft haben, dann ist dir auch klar, dass wir sterben werden, wenn wir gegen sie kämpfen!«, rief einer in der Menge. Ich runzelte die Stirn, denn von dem Meeresdrachen hatte ich noch nie etwas gehört. Das war mir vollkommen neu. Cas schien meinen verwirrten Ausdruck zu bemerken, denn er erklärte mir: »Der Meeresdrache ist der letzte seiner Art gewesen. Oder ist der letzte seiner Art. Er schwamm zwischen Asana und unserem Land, um uns zu schützen. Er erlaubte Hexen nur im wenigen Maße das Land zu betreten, als hätte er schon immer gewusst, dass sie böse sind. Doch jetzt, wo sie an ihm vorbei gekommen sind... heißt das vielleicht, dass auch der letzte Meeresdrache gestorben ist.«
     Vor meinem inneren Augen blitzte die Gestalt auf, die ich in Büchern gesehen hatte, aber nie für echt gehalten hatte. Ein Meeresdrache. Damals hatte sie faszinierend und wunderschön gefunden. Wilde Wesen, die sich durch das Wasser schlängelten und mit ihren Krallen einen Hai in binnen einer Sekunde aufschlitzen konnten. Wunderschöne Wesen, mit Schuppen, die unter der Wasseroberfläche schön schimmerten. Mein Herz zog sich zusammen, jetzt, wo er sagte, dass er vielleicht tot sein könnte. Der letzte Meeresdrache.
     »Beruhigt euch bitte! Der Meeresdrache hat uns nie im Stich gelassen! Und wenn ihr in Panik ausbrecht, dann hilft das niemanden. Schon gar nicht euch. Wenn wir nicht kämpfen, töten sie uns so oder so. Wenn wir kämpfen, haben wir wenigstens eine Chance auf den ersten Schritt in eine bessere Welt. Also wollt ihr lieber fügend von dieser Welt gehen oder euch noch einmal auflehnen und für das kämpfen, was euch wichtig ist?« Conalls Worte schwangen schwer in der Luft.
     Jeder war sich der Bedeutung dieser Worte nur schwer bewusst. Wenn Cas mich nicht halten würde, dann würde sicher zu Boden gleiten und hemmungslos weinen. Doch das war nicht die Zeit zu weinen. Es war die Zeit, den anderen jedes Detail über die Armee meines Vaters zu sagen, dabei aber das Detail auszulassen, dass ich versuchen würde mit meinem Vater zu sprechen, bevor wir kämpfen würden. Denn so konnte ich sie vielleicht auch retten. Ich musste es ja nur versuchen.
     »Das klingt sehr heroisch, Conall aber wir werden abgeschlachtet werden wie sonst etwas. Denkst du wirklich, dass wir kämpfen sollten, nur um schlussendlich eh zu sterben?«, fragte ein Mädchen mit weißblonden Haaren, die ihr bis zur Hüfte gingen. Ihre Stimme zitterte bei jedem Wort und ich sah Tränen in ihren Augen glitzern. Confall fuhr sich durch seine dunklen Haare und schien gar zu verzweifeln. Er wirkte so müde und erschöpft, von der Anstrengung sie zu überzeugen, dass alles okay war.
     Das alles in Ordnung werden würde, wenn sie es nur versuchen würden. Doch ich wusste, dass es keiner von ihnen versuchen würde. Keiner von ihnen, denn sie konnten es nicht versuchen. Sie wollten es vielleicht nicht, aus Angst. Sie würden vielleicht sterben. Oder gar mit Sicherheit sterben. Niemand wusste, was passieren würde. Dennoch kam es mir nicht in den Sinn, kampflos zu gehen. Jahrelang hatte ich zugesehen. Jahrelang hatte ich mir anhören müssen, was die Drachen doch für Idioten waren und dass die Menschen sie nicht mehr haben wollten.
     Jahrelang hatten die Menschen gefeiert, die Drachen „losgeworden zu sein" anstatt, sich dafür zu hassen, dass damals Menschen die Drachen getötet hatten. Für die Energie in ihren Herzen, die jetzt auch in mir schlummerte. Diese Energie schlummerte in mir. Jetzt, wo ich tief in mich ging, schien ich sie zu spüren. Wie sie durch meine Adern pulsierte, wie sie mir Energie gab. Doch diese Energie reichte nicht aus, um das Zittern in meinen Glieder zu unterdrücken. In meinen Ohren rauschte es.
     Der Tag würde kommen, an dem sie uns einkesselten. Schneller, als uns allen lieb war. Schneller, als jemand etwas sagen konnte. Uns blieb nicht viel Zeit, zu trainieren. Deswegen beschloss Conall mit einem letzten Wort, sich erst mit Cas und den anderen zu beraten, bevor sie auch mit mir sprechen würden. Widerwillig ließ ich von Cas ab und spürte, wie meine Beine drohten nachzugeben. Einen Augenblick sah mich Cas prüfend an, dann rang er sich tatsächlich ein kleines Lächeln ab, drückte meine Hand und lief dann mit anderen etwas weiter weg.
     Die anderen, die zurückblieben, starrten mich an. Das von gestern schienen sie noch nicht vergessen zu haben. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich wandte mich ab. Zitternd trugen mich meine Beine ein Stück von ihnen weg, während ich versuchte das alles zu verstehen. Mein Vater... die Hexen und die Drachen aus Morrigan. Noch immer verstand ich nicht, warum die Hexen das taten. Warum sie das tun sollten.
     Sie hatten damals doch den Drachen geholfen! Und jetzt? Jetzt verrieten sie sie und machten sich dafür bereit, diese wunderschönen Geschöpfe zu töten! Unbändige Wut kochte in mir hoch, während ich immer weiter vom Trainingsort weglief. In welche Richtung wusste ich nicht. Meine Beine trugen mich über das weite Feld. In der Ferne hörte ich den Fluss rauschen, den Wind in denen Bäumen heulen.
     Kraftlos ließ ich mich nach ein paar Schritten in das knöchelhohe grüne Gras sinken und stieß einen ersticken Laut aus. Tränen drohten meine Sicht zu verschleiern und ich spürte, wie meine Nase dicht machte. Doch Ehe der Rotz und das Wasser mein Gesicht herablaufen konnten, stupste mich etwas an der Schulter an. Verwundert blinzelte ich und sprang erschrocken auf, als ich das schwarze Pferd, mit den glühenden Augen und den gold-orangen Schlieren im Fell sah. Ein Feuerbringer.
     Wachsam ruhten seine Augen auf mir. Vor mir stand ein Hengst. Das Fell so schwarz, wie die finsterste Nacht. Die Schlieren leuchteten auf, als er näher an mich herantrat. Mein Herz pochte wild in meiner Brust, während das Pferd näher kam. Ein Teil in mir sagte mir, dass ich zurückweichen sollte. Jetzt. Sofort. Doch ich tat es nicht. Stattdessen sah ich den Hengst vor mir an und sah zu, wie er auf mich zukam. Sanft blies er warme Luft aus seinen Nüstern und strich damit über meine Wange.
     Die feinen Härchen kitzelten mich und ich lachte leise zu meiner eigenen Überraschung. Vorsichtig streckte ich die Hand nach seinem Fell aus und strich darüber. Sein Fell war warm und die Striemen mit der Energie der Drachen waren nicht heiß und verbrannten meine Haut nicht wie erwartet. Sie waren nur schön warm. Der Hengst löste sich etwas von mir und sah mich lange an. »Ich dachte, dass ihr wilde Pferde seid und überhaupt nicht so zutraulich«, murmelte ich. Der Hengst schnaubte nur, als hätte er meine Worte verstanden.
     Er stieß ein Wiehern aus, als seine Freunde erschienen und nach ihm riefen. Noch einmal sah er mich intensiv an, bevor er davon galoppierte und mit den anderen über die weite Ebene donnerte. Doch als er sich zu mir umdrehte und ein lautes Wiehern ausstieß, erkannte ein Teil in mir, dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass ich ihn sehen würde.

Dragon Heart ✔Where stories live. Discover now