Kapitel 32 - Caiden

1.1K 103 11
                                    

Ich beendete das Telefongespräch und atmete einmal tief durch. Mir war schlecht. Wirklich schlecht. Denn jetzt gab es kein Zurück mehr. Amanda würde sich mit mir treffen und herausfinden, wer ich war und dass ich sie die ganze Zeit über belogen hatte.

Aber das hatte etwas Gutes. So konnte ich endlich dieses Versteckspiel aufgeben und offen mit meinen Gefühlen Amanda gegenüber sein. Denn wenn mich das Date mit Amanda an eine Sache erinnert hat, dann daran, wie wichtig Ehrlichkeit ist. Vor allem, wenn man versucht, das Vertrauen und die Gefühle anderer für sich zu gewinnen.

Durch die Scheidung ihrer Eltern hatte Amanda eine Art Schutzmauer um sich errichtet, um jegliche Gefühle im Keim zu ersticken, von denen sie glaubte, dass sie nicht für die Ewigkeit waren. Das verstand ich, dennoch hatte sie vergessen: Gefühle veränderten sich stetig. Sie wurden stärker und schwächer aber dadurch minderten sich nicht die Erinnerungen, die man gesammelt hat. Im Gegenteil. Gerade, weil alles so vergänglich war, war es umso wichtiger zu leben und sich nicht zu verstecken.

Und das musste ich jetzt auch tun. Das Versteckspiel war vorbei. Ich würde mich mit Amanda treffen. Wenn sie will, konnte sie einen Enthüllungsartikel über mich schreiben. Mir war es egal, wie sehr sie mich in der Luft zerreißen würde. Denn sauer, wütend und enttäuscht würde sie sein. Auch wenn ich glaubte, dass sie diese Gefühle niemals in ihre Artikel einbrachte, hatte ich es verdient und ich würde es klaglos hinnehmen, wenn sie mir dadurch nicht entgleiten würde.

Aber trotz der Tatsache, dass ich wusste, wie wichtig dieses Treffen war, kam ich dennoch nicht umhin, diese Übelkeit loszuwerden. Seit ich am Vorabend beschlossen hatte, Amanda noch diese Woche die Wahrheit zu sagen, bekam ich kaum mehr einen Bissen herunter. Das reizte mich, denn leider wurde ich ungenießbar, wenn ich nichts zu Essen bekam. Ich hatte Hunger, jeder Brocken Essen verschlimmerte aber nur die Woge der Übelkeit. Wäre ich eine Frau, würde ich vermuten, ich sei schwanger.

Kopfschüttelnd unterband ich jeden weiteren Gedanken, der in diese Richtung tendierte. Ich seufzte, atmete einige Male tief durch und konzentrierte mich wieder auf die Spendenübersicht und Abrechnung, die mir seit ein paar Tagen Kopfschmerzen bereiteten. Ungleiche Beträge, zu wenig Spenden, Buchungskonten, die nicht sauber geführt worden. Wüsste ich nicht, dass wir mit TiWo wirklich versuchten Menschen zu helfen, hätte ich fast vermutet, dass hier jemand Geld unterschlagen wollte. Aber da ich die letzten Jahre nichts mit der Finanzabteilung der Stiftung zu tun hatte, war ich wahrscheinlich nicht richtig eingearbeitet.

Ein langes Meeting mit unserer Buchhaltungsabteilung bestätigte später meinen Verdacht. Meine Mitarbeiter hatten einen Überblick über alles. Sie konnten erklären, wofür welche Kürzel standen, und warum am Ende der Bilanz noch nicht dieselbe Summe stand. Am Ende gingen wir zwar mit einigen ungeklärten Fragen aus dem Meeting, aber ich vertraute meinen Kollegen und Mitarbeitern. Denn wir alle arbeiteten hier, um etwas zu bewirken. Rechnungswesen und Controlling waren in meinem Studium keine Pflichtmodule gewesen. Da sich meine mathematischen Fähigkeiten in dem Maße eines Normalsterblichen befanden, hatte ich mich mit diesen Themen nie weiter auseinandergesetzt.

Als ich in mein Büro zurückkam, stockte ich kurz im Türrahmen, da Daniel auf meinem Schreibtischstuhl saß und auf seinem Handy herumtippte. Er hatte mich noch nicht bemerkt, weshalb ich das Protokoll leise in meiner Hand zerknüllte, und es kurz darauf Daniel an den Kopf warf. Ich konnte es später noch einmal ausdrucken.

Irritiert hob er den Kopf, entdeckte mich und musste grinsen. „Weißt du, dafür dass du jetzt das Oberhaupt hier bist, hast du einen ziemlich unbequemen Stuhl. Du könntest ruhig mal in etwas mehr investieren, das ergonomisch kein kompletter Reinfall ist."

Ich schnaubte nur und schloss die Tür hinter mir, gab Daniel aber keine Antwort. Das schien ihn nicht zu stören, denn er beschwerte sich munter weiter. „Meine Nachrichten hast du auch ignoriert. Und deine Sekretärin konnte ich so schnell um den kleinen Finger wickeln, dass ihr frisch aufgebrühter Kaffee noch immer heiß war, nachdem sie mich in dein Büro gelassen hat."

Color of your VoiceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt