7 | River

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Ich habe akzeptiert, dass Nikan mir wie ein Schatten folgt. Überall wo ich bin, da ist auch er. Es macht mich verrückt und nicht nur auf die schlimme Art. Diese Blicke, die er mir zuwirft, wenn er jede einzelne meiner Bewegungen genauestens studiert. Ich spüre, was er denkt und genau das macht mich verrückt. Klar, es ist auch nervig, aber die meiste Zeit über verschlingen mich seine dunklen Augen und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir das nicht gefällt. Es gefällt mir sogar sehr. Jedes Mal spüre ich ein Kribbeln im Nacken bis unter meiner Kopfhaut. Ich bekomme eine Gänsehaut und die Sehnsucht danach von ihm berührt zu werden steigt ins Unermessliche. Bisher ist es nämlich noch zu keinen weiteren dieser Kontakte gekommen, seit ich zur Begrüßung seine Hand geschüttelt habe. Ich kann mir im Augenblick selbst nicht trauen und wüsste nicht, was passiert, wenn wir einen Schritt weiter gehen. Auch wenn dieser Schritt nur eine einfache Berührung sein sollte.
Ich habe Nikan schon sehr nah an mich ran gelassen. Offensichtlich hat er meine Einladung, in meinem Zimmer auf meinem Sessel zu übernachten, als dauerhaft aufgefasst. Es ist wohl meine Schuld, denn wieder ausgeladen habe ich ihn auch nicht.
Insgeheim gefällt es mir. Seine Nähe. Dass er mich beobachtet. Dass er mich gerne ansieht.
Den ersten Abend als er hier war und ich unruhig aus meinem Schlaf erwacht bin, weil ich gespürt habe, dass Nikan etwas bedrückt, da hat er mich vorher auch beobachtet. Er stand einfach im Türrahmen. Auch wenn es überall dunkel war, wusste ich, dass er da war. Seit dieser Nacht hat er jede Nacht in meinem Zimmer verbracht. Es sollte sich komisch anfühlen, einen Fremden zu zulassen, mich beim Schlafen zu beobachten, aber das tut es nicht. Alles sollte sich merkwürdig und ungewohnt anfühlen, doch bis auf das ständige Kribbeln und die unfassbare Hitze, fühlt sich alles normal an. So als müsste es genauso sein.
Ich versuche mir nicht den Kopf über Nikan zu zerbrechen, aber jedes Mal ist da er. Diese dunkelbraunen Augen. Seine schwarzen kurzen Haare, die wie meine im Sonnenlicht braun schimmern. Diese breiten Schultern. Oh, und nicht zu vergessen die goldbraune Haut, die in der Sonne wie eine Bronzemünze schimmert. Ja, er ist mit fantastischen Genen gesegnet und dann trägt er auch immer diese dunklen Klamotten. In seinem Farbspektrum scheint kein Platz für etwas Fröhlichkeit. Spätestens zur Zeremonie werde ich ihn in etwas anderem außer schwarz sehen.

Im Augenblick befinde ich mich in einem unserer Gewächshäuser und schaue, welche Blumen wir für die Dekoration benutzen können. Die meisten werden wir von einem Blumenladen bekommen, weil es um diese Jahreszeit schwer ist die Menge, die wir benötigen, aufzutreiben. Aber um den See und auf kleinen Lichtungen gibt es Blumen und Gräser, die wir ebenfalls verwenden können. Für die Tischdeko würde es ausreichen, aber nie für das gesamte Festzelt und den Pavillon.
Was ich im Gewächshaus sehe sind ein paar Tulpen und Narzissen. Der Rest befindet sich auf kleinen Beeten oder eben irgendwo im Revier verteilt. Wir dürfen sie nur nicht zu früh pflücken, sonst sehen sie zum Tag der Zeremonie nicht mehr schön aus. Olivia und Freja werden nicht ausreichen, um so viele Blumen in Girlanden und Gestecke zu verwandeln. Wir werden wohl einige zusätzliche Helfer benötigen.

“River, du solltest mitkommen. Luke und Nikan diskutieren gerade miteinander und ich weiß nicht wie lange es bei Worten bleiben wird“, informiert mich Mara, die ihren Kopf in das gläserne Häuschen steckt.
Ich verdrehe genervt die Augen, doch folge ihr, weil ich mir auch ein bisschen Sorgen mache. Wie ich bisher mitbekommen habe, sind die beiden in der Vergangenheit schon ein paar Mal aneinandergeraten.
“Weißt du was passiert ist?“, frage ich meine Schwester, obwohl ich die Antwort bereits kenne. Es gibt nur einen Grund, worüber Nikan mit Silver oder Luke streiten könnte.
“Nein nicht wirklich, aber es wird wohl das übliche sein“, antwortet sie schulterzuckend und führt mich zu den beiden.
Von weitem kann ich förmlich sehen wie angespannt die Stimmung ist. Nikan und Luke stehen gegenüber und werfen sich gegenseitig böse Blicke zu. An der Seite stehen Dean und Dakota, bereit einzugreifen, wenn es brenzlig wird. Doch zu spät. Als Nikans Faust auf Lukes Kiefer trifft, überlege ich nicht lange und laufe auf die beiden Idioten zu. Noch bevor sich Luke für den Faustschlag revanchieren kann, halten ihn sein Bruder und Dakota an den Armen zurück, um schlimmeres zu verhindern.
“Hört auf damit!“, rufe ich den beiden Männern entgegen, ehe ich sie endgültig erreicht habe. Sofort erhalte ich die Aufmerksamkeit aller und betrachte Lukes Gesicht. Okay, nichts zu erkennen. Glück gehabt. Den Sohn des Alphas zu vermöbeln kann nämlich schwerwiegende Folgen haben.
“River-“ Dean möchte mein Einschreiten unterbrechen, doch ich komme ihm zuvor.
“Nein!“ Wütend schaue ich ihn an, doch diese Wut gilt nicht Dean, sonder dem Idioten neben mir, dem ich jetzt auch meine Aufmerksamkeit widme.
Ich nehme seine Faust zwischen meine Hände und dahin ist das Vorhaben ihn nicht zu berühren. Zum Glück unterbindet meine Wut jegliches romantische Gefühl, das ich im Augenblick für Nikan empfinden sollte. Seine Augen mustern mich genau, als ich mir die Knöchel an seiner Hand anschaue. Ebenfalls ist dort nichts Ernstes zu entdecken, aber es sollte sicherheitshalber gekühlt werden.
“Komm mit“, verlange ich und gebe seine Faust wieder frei. Ohne ein weiteres Wort zu Luke oder einem der anderen Anwesenden und Schaulustigen, höre ich, wie er mir folgt und ich kann seine Blicke erneut in meinem Nacken spüren. Aber nicht nur das, die Blicke der anderen sind ebenfalls da.
Also spätestens jetzt weiß jeder über Nikan und mich bescheid.
Bis wir im Haus sind und ich aus dem Kühlschrank ein Kühlpack hole, sagt keiner von uns ein Wort. Mara ist uns gefolgt, aber sofort wieder verschwunden, als sie gesehen hat, dass alles in Ordnung ist.
“Was war das Ziel dieser Aktion? Dadurch machst du es schlimmer, nicht besser“, möchte ich wissen und überreiche Nikan das Kühlpack.
“Das brauche ich nicht“, bemerkt er, doch als ich ihm einen scharfen Blick zuwerfe, nimmt er es an und legt es sich auf die Faust. Mit einem schweren Atemzug lehnt er sich an den Küchentisch und schaut mich an. Ich entgegne ihm bloß mit abwartenden Blicken.
“Ich weiß, dass ich mir dadurch auch keine Hilfe erhoffen kann. Okay? Luke ist manchmal nur so- Er ist eben-“, versucht er sich zu erklären und schaut mich hilfesuchend an.
“Er weiß nicht, was du durchmachst“, antworte ich und Nikan stimmt mir mit einem Kopfnicken zu.
“Ich habe mir das alles aus dem Nichts aufgebaut und erkämpft. Als einsamer Wolf durch die Gegend zu streifen hat seinen Spaß gemacht, doch nicht auf Dauer. Das Rudel und ich haben uns gefunden, weil wir daran glauben, dass es andere Wege zu leben gibt. Klar, sie haben mich als ihren Alpha anerkannt, doch sie sind frei. Ich erwarte nichts von ihnen. Wenn sie im Revier Leben möchten, dann sorgt jeder gleichermaßen dafür, dass es allen gut geht. Sie müssen mich nicht um Erlaubnis bitten, wenn sie etwas tun wollen. Jeder hat eine Stimme und jede dieser Stimmen zählt in gleicher Weise. Wir alle haben uns darauf geeinigt. gemeinsam zusammen zu leben. Wir alleine. Nicht, weil wir in das Rudel hineingeboren wurden und zu bedingungsloser Loyalität verpflichtet sind. Diese Freiheit haben wir uns hart erarbeitet und erkämpft. Wir kämpfen jeden einzelnen Tag darum. Verdammt! Luke hat keine Ahnung wie das Leben da draußen ist. Er ist in Sicherheit aufgewachsen und hat nie das Bedürfnis verspürt, dass es mehr von der Welt geben muss. Bei Silver aufzuwachsen, bedeutet bereits in Sicherheit und Freiheit zu sein. Aber nicht jedem ist so ein Leben vergönnt und er schafft es nicht daran zu denken, dass nicht alle dieses Privileg genießen. Es fällt mir nicht leicht zu betteln. Das hier ist unsere letzte Chance. Wir haben es allein versucht und bevor wir uns mit Silver angefreundet haben, war es verdammt hart, aber wir haben es geschafft. Ich wäre nicht hier, wenn wir nicht bereits alles versucht hätten, um das selber durchzustehen. Aber Scheiße noch Mal, auf Hilfe angewiesen zu sein und darum betteln zu müssen, ist so viel schwerer, als sich alleine durchzuschlagen.“ Aufgebracht hebt und senkt sich seine Brust und erst jetzt wird mir klar, dass meine Wut, die ich bis eben gespürt habe, nicht nur meine war.
“Ich weiß was du meinst.“ Meine Worte scheinen ihn ein wenig zu besänftigen. Dass ich weiter sprechen soll erkenne ich an seinem abwartenden Blick.
“Mara und ich stammen aus einem Rudel im Süden des Landes. Eines der schlimmeren. Unsere Eltern hatten keinen besonderen Stand innerhalb des Rudels, wir also auch nicht. Es war hart. Unsere Meinung und Bedürfnisse haben nicht gezählt. Die jüngere Generation, also wir, hat sich immer mehr dagegen gewehrt, was alles aber nur noch schlimmer gemacht hat. Einige wurden verstoßen, andere hat es härter erwischt. Meinen Eltern zu liebe, habe ich mich im Hintergrund gehalten. Sie glauben bis heute an die alten Traditionen und Gesetze. Aber ich habe es da nicht mehr ausgehalten. Es war keine schwere Entscheidung Mara und Sitka zu begleiten“, erkläre ich meine Vergangenheit im Kurzformat.
Zu sehr ins Detail gehen kann und möchte ich nicht. Aber was ich gesagt habe reicht aus, um Nikan zu verdeutlichen, dass ich genau weiß wovon er spricht.
Vielleicht war es doch kein Versehen des Schicksals, uns zu Seelengefährten zu machen.
“Dann bist du wie ich, wie wir. Ein einsamer Wolf. Zumindest warst du es mal. Auch wenn du immer in einem Rudel gelebt hast, hast du dich nie zugehörig gefühlt. Deswegen bist du meine Gefährtin.“ Verständnis und Erkenntnis erleuchten sein Gesicht. Die Wut scheint vergessen und ebenso die Auseinandersetzung mit Luke.
Als er das Kühlpack beiseite und auf den Tisch legt, kommt er in langsamen Schritten auf mich zu und ich drücke mich noch näher an die Arbeitsplatte der Küche.
“Ich bin nicht einsam. Mein Rudel ist das Redbone Rudel und hier fühle ich mich zu Hause“, widerspreche ich und ziehe die Augenbrauen nachdenklich zusammen. Ein bisschen Wahrheit steckt schon in seinen Worten. Aber das kann ich ihm nicht sagen. Es verwirrt mich.
“Ja, aber das Schicksal hat uns zusammen geführt, weil das hier nicht die letzte Station auf deiner Reise ist.“ Nikan kommt mir so nah, dass uns nur noch ein halber Meter trennt. Seine braunen Augen sind starr auf meine gerichtet. “Du hast selbst gesagt, dass du Veränderungen möchtest. Mehr Freiheit. Das bekommst du bei uns. Deine Meinung und Bedürfnisse sind wichtig.“
Versucht er gerade mich zu locken? Sein Ton klingt gefährlich danach. Ähnlich, wie wenn ich einen der Welpen mit Süßigkeiten bestechen muss, damit sie ihre Hände waschen oder nicht das Gras auf der Wiese essen.
Doch ich muss schlucken, denn er hat absolut Recht! Ja, ich fühle mich hier wohl und geborgen und gut aufgehoben. Aber ich halte mich zurück. Ich bin das brave kleine Mädchen, das sich überall engagiert, aber nie etwas sagt. Ursprünglich wollten wir alle mehr Freiheiten und als ich hier gelandet bin, war ich so überrascht von den Möglichkeiten, dass ich mich selbst nicht mehr hinterfragt habe. Ich habe alles stumm akzeptiert, wie vorher.
“Du kannst solche Dinge nicht sagen“, murmel ich und schaue zu ihm hoch.
“Was? Die Wahrheit? Du kannst nicht davor fliehen. Nicht vor mir und schon gar nicht vor dir selbst“, entgegnet er und schaut mich ernst an. Ich weiß, dass er damit voll ins Schwarze getroffen hat, aber noch bin ich nicht bereit das zu akzeptieren. Vielleicht werde ich nie bereit dafür sein, das zu akzeptieren.
Bevor ich allerdings etwas erwidern kann, werden wir von dem lauten Eintreten einer anderen Person unterbrochen.
“Alles okay?“
Es ist Ian, der wohl eben erfahren hat, was zwischen Nikan und Luke passiert ist und sich Sorgen um seinen Alpha und Freund macht.
Der Buschfunk war diesmal sehr schnell.
“Ja“, versichert Nikan ihm kurz angebunden und lässt mich dabei keine Sekunde aus den Augen. Doch ich nutze den kurzen Moment der Unterbrechung, um mich davon zu schleichen. Ich brauche Abstand. Auch wenn es nicht für lange sein wird, da Nikan enger an mir klebt, als mein eigener Schatten. Doch es wird mir für einen kurzen Moment gelingen, durchatmen zu können.

MoonshadowOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz