5 | River

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Das alles ist mir zu viel. Ja, ich spüre eine gewisse körperliche und seelische Anziehung zu Nikan. Aber nur, weil mein Körper auf ihn reagiert, muss mein Verstand das noch lange nicht. Früher oder später werde ich den Kampf gegen mich selbst verlieren, aber bis dahin werde ich versuchen ihm aus den Weg zu gehen. Dass er obendrein noch äußerst attraktiv ist, hilft nicht meine Gefühle zurück zuhalten. Er ist von großer Statur. Nicht so ein Riese, wie sein Freund, aber immerhin überragt er mich. Dann noch diese dunklen Haare, die dunklen Augen und diese verdammten breiten Schultern. Seine Haut trägt einen gewissen Ton, einen bronzefarbenen Schimmer. Wie bei so vielen Wandlern. Aber das sind alles nur Äußerlichkeiten. Sie sagen nichts über seinen Charakter aus und meiner Meinung nach, ist er ein bisschen zu sehr von sich überzeugt.

Olivia und Freja befinden sich wieder im Festzelt, wo ich eigentlich auch sein sollte, um zu helfen. Aber dafür habe ich jetzt keine Nerven. Alles dreht sich, meine Gedanken scheinen benebelt zu sein und ich kann mich nicht entscheiden einen Schritt vor oder zurück zu gehen. Doch ich Kämpfe gegen den Drang mich umzudrehen an. Als würde ich durch knietiefes Wasser waten. Als würden Hände meine Knöchel umschließen, ganz fest zu Fäusten formen und mich zurück ziehen.
“Habt ihr Lust auf eine Abkühlung?“, frage ich die zwei, in dem Bewusstsein, dass sie genau wissen, wovon ich spreche, als ich es endlich zum Festzelt schaffe.
“Warum bist du vorhin abgehauen?“, möchte Freja wissen und schaut mich überrascht durch ihre braunen Augen an.
“Sie hat's erwischt“, antwortet Olivia für mich und grinst breit in die kleine Runde.
“Ich will nicht darüber reden. Also was ist jetzt? Kommt ihr mit?“, frage ich erneut, allerdings mir schärfen Ton und als die beiden zustimmend nicken, verlassen wir das Zelt und laufen in den Wald hinein.
Nach und nach landen unsere Klamotten auf dem Boden, bis wir nackt sind und uns verwandeln können.
Wir sind ein ziemlich bunter Haufen. Freja mit ihrem hellen, fast weißen, Fell. Ich im Kontrast dazu in schwarz und Olivia, die ihre Natürlichkeit wieder präsentiert und das Lila gegen ihre ursprüngliche Farbe eintauscht. Ein Rotbraun, das in der Sonne manchmal golden erscheint.
Wir laufen auf unseren vier Pfoten durch den Wald und liefern uns ein Wettrennen zwischen den Bäumen. Wir jagen gerne gemeinsam durch den Wald und könnten diese Strecke wahrscheinlich im Schlaf laufen. Ich sehe die Bäume und Äste an mir vorbei zischen und wende meinen Blick kurz ab, um zu schauen, wo sich meine beiden Begleiterinnen befinden. Als ich das bekannte Rauschen des Wassers hören kann, setze ich meine Pfoten tief auf den Waldboden auf und nehme noch einmal an Geschwindigkeit zu. Die Bäume lichten sich langsam und ich kann bereits den See erkennen. Olivia und Freja sind ein paar Meter hinter mir. Diesmal werde ich das Rennen gewinnen.
Mit einem letzten großen Sprung verlassen meine Pfoten den Boden und ich lande im Wasser. Noch während ich am tauchen bin, verwandle ich mich zurück, tausche Fell gegen Haut und durchbreche als Mensch die Wasseroberfläche. Neben mir höre ich ein Platschen und wenig später strecken auch Freja und Olivia ihre Köpfe aus dem Wasser.
Wir machen das gerne, hier baden.
Manchmal feiern wir sogar kleine Partys an diesem See. Es ist der perfekte Ort, um ungestört nachdenken zu können oder einfach nur Spaß zu haben.
So wie jetzt, wenn wir im See schwimmen.
“Wer zuerst am Wasserfall ist“, ruft Olivia und ist schon abgetaucht und davon geschwommen.
“Hey, das ist unfair!“, bemerkt Freja und beginnt ihr hinterher zu paddeln. Ich würde es ihr gleich tun, wenn da nicht dieses prickelnde Rauschen unter meiner Haut zu spüren wäre. Gerade als ich dachte ihm entkommen zu sein. Zumindest für einen kurzen Augenblick.
Nikan ist hier.
Irgendwo im Wald zwischen den Bäumen, aber ich kann ihn nicht erkennen. Doch seine Blicke liegen auf mir, da bin ich mir sicher. Diese Hitze und das intensive Gefühl, das meinen Nacken eisern umklammert, es ist das selbe Gefühl, wie eben in der Küche. Ich kann ihm wohl nicht entkommen. Doch er hält noch einen gewissen Abstand. Vermutlich, weil Olivia und Freja bei mir sind.

Nachdem wir eine Weile in dem See geschwommen sind, beschließen die Zwei wieder zurück zu gehen. Ich teile ihnen mit, dass ich später nachkommen werde und bleibe im Wasser.
Es dauert einen Moment bis von Olivia und Freja auch in der Ferne nichts mehr zu hören ist und als ich wieder alleine bin, höre ich das Knacken des Unterholzes und Schritte, die sich nähern. Ohne mich umzudrehen weiß ich, dass Nikan da steht und mich beobachtet. Es ist anders, wenn er mich beobachtet. Nicht so wie bei meiner Schwester oder jemand anderem aus dem Rudel. Ich kann ebenso seine Präsenz spüren, doch ich kann auch spüren, dass er mich ansieht. Ich nehme ihn wahr und vor meinem inneren Auge bildet sich ein Abbild seiner selbst, als würde er direkt vor mir stehen, mit mir zusammen im Wasser schwimmen. Nur Zentimeter entfernt. Doch in Wahrheit durch Wasser und Luft getrennt.
Für einen Moment tauche ich unter Wasser in der Hoffnung, dass er dann verschwinden wird. Doch das ist ein lächerlicher Gedanke. Er wird mich nicht in Ruhe lassen, bis ich mit ihm geredet habe. Vielleicht sollte ich ihm einfach erklären, was meine Gründe sind, ihm entkommen zu wollen. Denn ja, so ungewohnt es sich anfühlt, ist mein Vertrauen Nikan gegenüber jetzt schon so groß, wie das, das ich meiner Schwester gegenüber bringe und genau das ist ein Teil des Problems. Er ist da und ich könnte mich auf der Stelle in ihn verlieben, wenn ich das zulassen würde, aber ich genieße es, so wie es ist. Ich bin gerne allein und habe meine Gedanken nur für mich. Aber mit einem Gefährten an meiner Seite würde ich diese Freiheit aufgeben. Ich würde ihn an erster Stelle setzen, noch vor mir und das kann einfach nicht gesund sein.
Als ich wieder auftauche, sehe ich ihn am Ufer stehen. Allein dieser Anblick stellt etwas mit mir an, dass ich genieße und zugleich verabscheue. Er strahlt Dunkelheit und Macht aus. Allein seine Kleidung, die eigentlich nur aus einer schwarzen Jeans und einem schwarzen Oberteil besteht, verleiht ihm eine gewisse Düsternis. Es macht mir Angst. Nicht die Dunkelheit an sich sondern, dass es mich so sehr anzieht. Er ist wie die Nacht, die die Sonne verschlingt und mit ihr alle Strahlen, die die Welt erhellen.
“Ich habe dir deine Klamotten mitgebracht“, informiert er mich und hält einen Stapel Stoff in die Höhe.
Oh Götter, diese Stimme!
Als ich aus dem Wasser steige, bin ich überrascht, dass er seinen Blick nicht über meine entblößte Haut schweifen lässt. Nein, er starrt mir direkt in die Augen und damit auch in meine Seele. Ich kann das Verlangen seinerseits deutlich spüren, aber ignoriere es weitestgehend. Viel zu sehen gibt es da sowieso nicht. Meine Haare sind lang genug, um alle intimen Körperstellen bedecken zu können.
“Danke“, antworte ich knapp und nehme ihm meine Sachen aus der Hand. Zu meiner Überraschung dreht er sich sogar um, das ich mich problemlos umziehen kann. Es ist irgendwie süß und passt so gar nicht zu dem, was ich bisher von ihm mitbekommen habe. Es ist nicht wie in der Küche, als er mir sehr nah war. Nein, jetzt hält er respektvoll Abstand und das fühlt sich sogar noch intimer an.
“Ich möchte einfach nur mit dir reden. Wenn es dir lieber ist, können wir auch mit einigen Metern Abstand nebeneinander zurück laufen. Aber bitte renn nicht wieder weg. Ich möchte dich kennen lernen, River.“ Als er meinen Namen ausspricht, muss ich hart schlucken. Seine Stimme ist rau und klingt wie ein Knurren, doch mein Name ist ihm sanft über die Lippen geglitten. Er genießt es ihn auszusprechen und kostet förmlich jeden Buchstaben genüsslich aus, als wäre es der letzte Bissen eines Schokokuchens.
Als ich wieder vollkommen bedeckt bin, stelle ich mich ihm gegenüber und antworte: “Ich laufe nicht weg, versprochen. Wir können ganz normal nebeneinander herlaufen.“
Er sieht mich zufrieden an und lässt seinen Blick über mein ganzes Gesicht wandern. Was er wohl über mich denkt? Ob er sich mich als Gefährtin vorgestellt hat? Ich bin mindestens fünf Jahre jünger, klein und definitiv nicht stark genug, um an der Seite eines Alphas zu stehen. Warum hat uns das Schicksal nur zusammen geführt? Hat es sich einen Scherz erlaubt? Die kleine River und der große einsame Wolf.
“Hör auf mit den Zweifeln und erklär mir lieber, warum du vor mir davon läufst“, verlangt er und setzt sich in Bewegung.
“Ich laufe nicht vor dir weg“, antworte ich und weiß nicht, warum es so trotzig klingt. Warum lüge ich überhaupt? Natürlich laufe ich vor ihm weg!
“Ach, wie würdest du es denn sonst nennen?“, möchte er wissen und lacht.
Oh Himmel, dieses Lachen!
“Ich laufe nicht vor dir weg“, wiederhole ich, doch füge noch hinzu: “Ich laufe vor der Zukunft weg.“
“Das musst du mir näher erklären“, antwortet er und schaut mich verwirrt an. Wir laufen mit geringem Abstand nebeneinander her. Er schaut mich an, doch mein Blick ist auf meine nackten Füße gerichtet. Ihn jetzt anzusehen würde mich nervös machen und ich bin so schon nervlich total durcheinander.
“Ich bin erst seit zwei Jahren in diesem Rudel. Meine Schwester und meine Freunde leben hier. Zum ersten Mal in meinem Leben, habe ich eine richtige Familie. Menschen, die mir vertrauen und die ich liebe. Du bist ein Alpha und hast dein eigenes Rudels, du kannst nicht einfach bei mir bleiben und das würde ich auch nie verlangen. Dass du für mich auserwählt wurdest heißt, dass ich wieder von hier weg muss. Außerdem wird viel geredet. Ich weiß, dass von mir viel erwartet wird, wenn ich deine Gefährtin bin, aber ich weiß nicht, ob ich so viel Verantwortung tragen möchte“, erkläre ich und schaue ihn nun doch zögerlich an, als er nicht sofort antwortet. Seine Stirn liegt in Falten und er sieht nachdenklich in die Ferne. Offensichtlich nimmt er sich meine Wort zu Herzen.
“Erstens, bist du meine Gefährtin, daran kannst du nichts ändern. Zweitens, kann ich deine Bedenken verstehen. Aber ich bin noch bis zur Zeremonie hier, das heißt du hast Zeit dich auf alles vorzubereiten und ja, ich würde mich freuen, wenn du mich danach begleitest. Ich habe solange darauf gehofft, dich endlich zu treffen“, antwortet er und schenkt mir einen liebevollen Blick. Oh man, er macht es einem auch wirklich nicht leicht.
“Und was machst du, wenn ich mich weigere? Wenn ich dich nach der Zeremonie nicht begleite? Sperrst du mich dann wie eine Prinzessin in einem Turm ein?“, necke ich ihn und grinse frech. Doch witzig ist diese Vorstellung nicht. Zutrauen würde ich es ihm schon irgendwie.
“Du wärst keine Prinzessin, du wärst meine Königin. Aber ich werde nichts gegen deinen Willen tun. Ich hoffe einfach, dass du dich selbst für mich und deine Zukunft entscheidest“, antwortet er und darauf kann ich tatsächlich nichts erwidern. Im Honig um den Mund schmieren ist er einsame Klasse.
Ich eine Königin?
Dass ich nicht lache!
“Ich werde dich einfach auf Schritt und Tritt verfolgen. Jedes mal, wenn du mir davon läufst, werde ich dich jagen. Du kannst mir nicht entkommen. Ich werde immer an deiner Seite sein, bis du dich in mich verliebst und freiwillige mit mir kommst.“ Es klingt wie eine Drohung und ich weiß nicht, ob seine Worte dafür sorgen, dass ich wieder die Flucht ergreifen möchte, ihm eine Ohrfeige verpassen möchte, weil er so überheblich klingt oder ihn in die Arme fallen möchte.
“Okay, ich kann dir vielleicht nicht entkommen, aber ich kann dich ignorieren. Ich kann das Gefühl ignorieren, dass mich zu dir zieht. Vielleicht gibst du dann auf“, antworte ich und funkel ihn böse an. Warum vordere ich ihn überhaupt heraus?
“Wenn du spielen möchtest, fein. Aber glaub nicht, dass ich dich dadurch weniger will. Ganz im Gegenteil. Ich kann es kaum erwarten dir zu zeigen, wie sehr ich dich will.“ Und schon wieder klingt es wie eine Drohung. Seine Worte schockieren mich so sehr, dass ich abrupt stehen bleibe und ihn fassungslos anschaue. Er ist so sehr von sich überzeugt, dass er keinen Zweifel daran hegt, dass ich ihm verfallen bin und er hat Recht. Doch diese selbstsichere Art spielt mir in die Karten, denn es fällt mir dadurch leichter ihn nicht so unwiderstehlich zu finden. Also lächle ich einfach und gehe stumm weiter bis wir wieder an der Siedlung angekommen sind. Dass er mir nicht von der Seite weicht, war hoffentlich nicht Wort wörtlich gemeint. Denn es geht mir schon jetzt höllisch auf die Nerven.
Aber er meint das todernst. Unfassbar!
Als ich mich wieder im Festzelt befinde, um an der Dekoration weiter zu arbeiten, steht er die ganze Zeit am Rand, an ein Balken gelehnt und starrt mich an. Zur Belustigung der anderen Zwei. Freja kann sich ihr Kichern nicht verkneifen und auch Olivia grinst mich hämisch an. Na Super! Das werden ein paar lange nervenaufreibende Tage werden.

MoonshadowWhere stories live. Discover now