3. Kein Fahrrad zu besitzen ist problematisch

24 4 0
                                    

Drittes Kapitel

Kein Fahrrad zu besitzen ist problematisch

Oliver

„Ich fasse es immer noch nicht, dass du mein Fahrrad geschrottet hast!," murmelt Mai nun schon zum fünften Mal und beobachtet, wie die Fahrradmechanikerin das, was vom Vorderreifen übrig ist nach hinten in die Werkstatt rollt.

Es ist Mittwoch, und da die Werkstatt erst heute geöffnet hat, konnten wir eben erst Mais Fahrrad abgeben. Ich war am Montag schon hier gewesen um nach den Reparaturkosten zu fragen und bin anschließend mit dem Gedanken nach Hause gegangen, dass ich Fahrräder und ihren Aufbau jahrelang unterschätzt habe. Anscheinend wurde bei dem Zusammenstoß der Schaltzug zerrissen und die Bremsen tun es auch nicht mehr.

Abgesehen davon, dass das Vorderrad komplett unbrauchbar geworden ist und der Lenker an der rechten Seite etwas verbogen ist, war das Fahrrad ohnehin in schlechtem Zustand, wie mir die Mechanikerin am Montag erzählt hat. Aber das sage ich Mai nicht. Sie hängt zu sehr an diesem Rad.

„Ich habe es ja nicht freiwillig geschrottet," erwidere ich auf ihren Vorwurf hin. „Es war ein Unfall." Mehr oder weniger. Meiner Meinung nach, war ich an dem Unfall auf jeden Fall weniger beteiligt als diese Studentin.

„Du hast selber gesagt, dass du komplett schwarz gekleidet warst, Olli!," erinnert mich meine kleine Schwester und verschränkt die Arme vor der Brust. „Das ist mindestens fahrlässig, wenn nicht sogar grob Fahrlässig, wenn man bedenkt, dass es Abend und dunkel war und vor Gericht würdest du definitiv nicht ohne eine Verwarnung davon kommen."

Ich weiß nicht, ob es vor Gericht wirklich so laufen würde, aber ich werde meiner Mutter sagen, dass Mai weniger Anwaltsserien gucken soll. Mit vierzehn Jahren sollte sie ihrem sieben Jahre älteren Bruder nichts von großer Fahrlässigkeit erzählen.

„Zumindest wärst du besser dran als die Studentin," überlegt Mai laut weiter. „Was die Schuldfrage angeht ist sie definitiv schlechter dran. Wenn sie nicht den Blinker gesetzt und sich umgeguckt hat, kann sie froh sein, dich kaum getroffen zu haben. So viele Jugendliche können einfach kein Auto fahren, das sagt Papa auch immer. Und sowieso: Radfahren ist viel umweltfreundlicher. Wer fährt denn bitte mit dem Auto als Student?"

„Lass uns aufhören darüber zu reden," bitte ich sie und klopfe ihr auf die Schulter. „Sie hat gesagt, sie hätte mich nicht gesehen und sie bezahlt die Hälfte der Reparatur."

„Das ist ja wohl das mindeste!"

„Mai, ich weiß, du hängst sehr an dem Fahrrad aber sein wir ehrlich, du bist schon fast zu groß dafür." Das ist nur die halbe Wahrheit, schließlich kann ich das Fahrrad noch fahren aber ich bin mir sicher, dass Mai in nächster Zeit weiter wachsen wird.

Mais Blick durchbohrt mich und ich boxe sie spielerisch in die Schulter. „Ja, du bist schon richtig groß geworden, kleine Schwester," necke ich sie und sehe wie ihre Mundwinkel zucken.

Die Mechanikerin kommt zurück und legt den endgültigen Check auf den Tisch.

„Vorkasse?," fragt sie und ich nicke. Als wir aus der Werkstatt gehen sagt Mai noch: „Sieh nur zu, dass du das Geld zurück bekommst. Sonst knöpfe ich mir das Mädchen vor, was meinen Bruder überfahren hat."

Doch ich bin sicher, dass sie das Geld bezahlen wird. Und wenn nicht, sitzt sie ja anscheinend in den Vorlesungen meines Vaters. Dann wird Mai sie sich schon vorknöpfen können.

▪︎▪︎▪︎

Ich komme zu spät zum Treffen, was zum einen daran liegt, dass ich mir nicht mehr Mais Fahrrad ausleihen kann und zum anderen daran, dass der Chef des Diners in dem ich ab und zu arbeite mir einen Vortrag über den neuen Terminator Film gehalten. Ein Vortrag, in dem meiner Meinung nach zu oft die Wörter Emanze, Geldmacherei und Faceliftig vorgekommen sind. Ich hätte ihm nie sagen sollen, was ich studiere.

Mary - Eine Geschichte in Lila und GrünNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ