Kapitel 1 - Das Gebüsch

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Ich ließ mich auf meinen Stuhl nieder und portionierte die Stücke auf den Tellern. Sie begannen zu essen, während ich lustlos ins Essen stach.

"Mann ist dein Mermin?", schmatzte Onkel William. Seine Frau starb vor zehn Jahren. Er hatte nur einen Sohn, der so alt wie ich oder etwas älter war und seit ungefähr fünf Jahren im Ausland studierte. Ich träumte gerade vor mich hin, "Mia?"

"Hm?"

"Der Termin. Wann ist der Termin zur...äh..."

"Abtreibung?"

Beide hörten auf zu kauen. Sahen sich gegenseitig an.

"Ist schon in Ordnung. Es ist keine Sünde es auszusprechen. In drei Wochen. Bis dahin habe ich noch gut Zeit."

"Ich begleite dich wenn du willst, Süße."

"Schon gut, Mama. Ich meinte es so, als ich sagte, ich will alleine dahin. Ich will momentan einfach alleine sein."

Und weil mir nichts besseres übrig blieb, schob ich die Portion Nudeln in den Mund und begann darauf zu kauen. Geschmacklich viel zu intensiv für meinen trockenen und pappigen Mund.  

[...]

Die Tage darauf zwang mich mein Onkel, das Haus zu verlassen. Mit ihm einkaufen oder spazieren zu gehen. Wir stiegen in den Wagen und fuhren weit weg. In eine andere Stadt, um nicht direkt erkannt zu werden. Suchten uns über Google Maps ein ruhiges Plätzchen in einem Park auf und machten es uns bequem. 

"Mir fehlen nur noch Schlagsahne und Makaronis. Der Supermarkt ist nicht weit von hier. In einer Stunde müssten wir wieder zuhause sein."

"Okay", ich starrte in die Ferne. 

"Mia, du kannst mit mir reden."

Ja. Du kannst mit allen reden. Auch mit deiner Mama. Aber es ist nicht dasselbe, wie, mit einer Freundin zu reden.

Du meinst mit einer Freundin wie Zara Hamilton?

Ja, nur wurde sie von den Mafiosen in Sizilien erschossen...

Wow, danke.

Sorry, das war taktlos...

Wir fanden eine Bank mit Sicht auf eine weitläufige Wiese mit vielerlei Bäumen und Gebüschen. 

"Es ist...alles in Ordnung."

"Was ist mit diesem Andrès?"

"Was soll mit ihm sein?", ich beugte mich vor. Stützte die Arme auf den Knien ab und rieb die Hände aneinander. Starrte auf die Farblosen Äste, die kaum Blätter hatten zu dieser Jahreszeit.

"Hat er dir was getan?"

"Nein, Onkel. Er hat mir gar nichts getan. Ganz im Gegenteil. Er hat meinen Aufenthalt überhaupt erst erträglich gemacht."

"Und was ist mit...naja", er kratzte sich an den Kopf, "der....du weißt schon...."

"Spuck es aus."

"....der...der Schwangerschaft..."

"Achso das", ich sah über meine Schulter zu ihm auf, "es war nichts in Richtung Missbrauch. Bei dem ersten Gespräch mit meinem Anwalt habe ich das angesprochen", ich holte viel Luft aus, bevor ich weitersprach, "es ist von Andrès. Das Kind ist von Andrès. Mein Anwalt ist der Meinung ich sollte ihn nicht deswegen...anklagen. Es generell gar nicht ansprechen. Was sie nicht wissen, macht sie für gewöhnlich nicht heiß."

Das Gesicht meines Onkels verblasste.

"Ich werde abtreiben. Dann sieht es so aus, als wäre nie etwas passiert. Mach dir keine Sorgen, das Gericht wird es nicht erfahren."

"Ach Liebes", seine Augen glänzten leicht und erst jetzt bemerkte ich, wie sehr sein Gesicht von Falten gekennzeichnet war, "du sagst mir, dass ich mir keine Sorgen machen soll? Na, komm her."

Er nahm mich in den Arm und so verweilten wir einige Zeit. Bei dem Gedanken daran, dass mir die erste Verhandlung wie auch die Abtreibung noch bevorstand, begann ich unwillkürlich an zu zittern. Ich löste mich schnell von ihm, "geh du zum Markt. Ich möchte hier noch etwas sitzen bleiben."

"Sicher?"

"Ganz sicher. Los, geh schon", ich schubste ihn von der Bank weg und winkte ihm zu, als er sich schulterzuckend entfernte.

Ich sah ihm hinterher und dann ordnete ich meine Gedanken.

Ich beschloss vorerst nicht an Andrès Mancini zu denken. Zu groß war der Schmerz, dass er nicht mehr bei mir war. Auf dieser Welt war. Sondern unter der Erde lag.

Okay. Nicht weinen.

Irgendetwas Dunkles und Schwarzes beobachtete mich. Gehörte nicht zur Natur, das nahm mein Auge sofort wahr. Ich sah zu einem Gebüsch, mitten auf dem Wiesenplatz, gute fünfzehn Meter von mir entfernt. Und dahinter war etwas. Das wusste ich.

Mein Herz begann zu pochen.

Was soll dahinter sein?!

Ich konnte ganz klar etwas Schwarzes sehen. Die Struktur war einem Menschen ähnlich. Es bewegte sich rasch, aber sobald ich dahin sah, rührte sich nichts. Es befand sich genau hinter diesem Gebüsch.

What the fuck?!

Wow, wow, wow - Mia, wohin gehst du?

Ich sprang auf und lief auf das Gebüsch zu. Aber je näher ich ihm kam, desto größer wurde das ungute Gefühl, das sich in mir breit machte.

Das Gefühl, das, was auch immer dahinter war, anscheinend nicht von mir gesehen werden wollte.

Panik kam in mir auf. Der Gedanke, dass das ein einfacher Paparazzo war. Aber daher besuchten wir ja eine andere Stadt, damit uns eben keiner hinterher jagte. Mit vorgestreckten Armen lief ich auf das keine fünf Meter mehr entfernte Gebüsch zu. Bevor meine Finger die Äste berührten, fuhr ich zusammen.

"Mia! Mia, was machst du da?!"

Ich riss den Kopf zur anderen Seite, an dem mein Onkel an seinem Auto stand und mir zurief. Die Lebensmittel mit einer Hand haltend und mit der anderen winkte er mir zu.

Ich lächelte und nickte. Aber es hätte mich aufgegessen, wenn ich es nicht vollendet hätte. Mit zitternden Knien lief ich um das Gebüsch herum. Ich schob die Äste zur Seite.

Nichts.

Aber nach nichts hatte es vor wenigen Sekunden nicht ausgesehen.

Mach dir nichts draus. War wahrscheinlich ein Paparazzo...

Das sagst du doch nur, um mich zu beruhigen.

If You Love Me Stay With Me [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt