Kapitel 26

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Menschen werden vergessen, was du gesagt hast. Menschen werden vergessen, was du getan hast. Aber Menschen werden niemals vergessen, welches Gefühl du ihnen vermittelt hast.

Nervös kaute ich auf meinem Fingernagel herum, während ich mir mit zitternden Händen das Adams Handy gegens Ohr presste. Immer wieder schwirrten mir die furchtbarsten Gedanken durch den Kopf. Was wenn Luis sich etwas Schlimmes angetan hatte? Immerhin dachte er, dass ich tot wäre.

 Dann endlich passierte etwas...jemand nahm ab. „Hi, hier ist Luis!", „Luis, Gott sei Dank gehst du ans Handy ich...", „Vermutlich habe ich keinen Bock mit euch zu reden als Schnauze halten und wieder anrufen. Ciao ihr Penner!". Ohne weiter etwas zu sagen, legte ich auf. „Mist!", fluchte ich. „Mailbox?", fragte mich Adams Stimme hinter mir. Enttäuscht drehte ich mich um und gab ihm sein Handy zurück. „Sag ich ja. Er hat keine Lust mit irgendwem zu reden. Und ich weiß, dass er seine Mailbox nicht abhört. Es tut mir leid." Niedergeschlagen senkte ich den Kopf. Was sollte ich denn nun tun? Mein wohl einziger Freund war irgendwo da draußen...allein.

„Ich werde jetzt wieder reingehen. Sag Bescheid, wenn du noch irgendetwas brauchst.", murmelte Adam und drehte sich zum Gehen um. Ich warf noch einen letzten Blick auf die leuchtende Stadt unter mir, dann lief ich ihm hinterher. „Adam!", rief ich „Warte...kannst du mir Luis Zimmer zeigen?", verwirrt sah mein Gegenüber mich an. „Vielleicht finde ich etwas, das uns hilft ihn zu finden."

 Kurze Zeit später stand ich in einem ordentlichen Raum. Ein Bett, ein großer Schrank, ein Schreibtisch und zu meiner Freude ein kleines Bücherregal. Mehr hatte Luis nicht in seinem Zimmer stehen. Die Farbauswahl war auch eher schlicht und unaufgeregt gehalten. Weiß und blau. Klassisch und elegant. Trotz der doch recht spärlichen Einrichtung wirkte sein Zimmer gemütlich und einladend. Ja, irgendwie mochte ich es hier. Ich ging auf den Schreibtisch zu und sah mir die Sachen genau an. Ein Laptop, ein paar Papiere mit Rechnungen, Daten und anderen Sachen und ein gerahmtes Bild. Es zeigte eine ältere Frau mit schütterem grauen Haar, die freundlich und sanft in die Kamera lächelte und einen großen Mann mit schwarz grauen Haaren der auch ein sehr freundliches Lächeln im Gesicht hatte. Vor den beiden stand ein junges Mädchen mit den gleichen schwarzen Haaren und intensiven grünen Augen. Seine Familie...das musste seine Familie sein.

„Luis hat nie von ihnen gesprochen.", sagte plötzlich eine Stimme hinter mir. Adam war hinter mich getreten und betrachtete das Bild. „Ich wusste nicht mal, dass er eine Schwester hat.", murmelte er eher zu sich selber. Ich verbiss mir eine spitze Bemerkung über die „enge" Freundschaft der beiden. „Kennst du das Passwort für seinen Laptop?", fragte ich ihn daher. Doch Adam schüttelte nur fragend den Kopf. Frustriert seufzte ich auf und fing an die Schubladen zu durchwühlen. „Vielleich ist er ja zu seiner Familie gefahren, oder zu einer Freundin oder...keine Ahnung aber wir müssen doch was finden.", ich war inzwischen ziemlich verzweifelt und wusste einfach nicht mehr was ich noch tun sollte.

Nachdem der Schreibtisch sich als nicht ganz so hilfreich entpuppte, nahm ich mir seinen Kleiderschrank vor. Es waren dort nicht viele Klamotten drin und auch hier scheiterte meine Suche kläglich. Mit einem genervten Stöhnen ließ ich mich auf das Bett fallen. Adam hatte schon vor gefühlten Stunden den Raum verlassen. Nun lag ich also alleine hier auf Luis Bett und starrte nutzlos an die Decke.

Plötzlich kam mir eine Idee. Das Bücherregal. Das hatte ich noch nicht durchforstet. Schnell machte ich mich an die Arbeit und durchsuchte die verschiedenen Bücher. Doch auch diese Suche stellte sich als Fehlanzeige heraus. Frustriert nahm ich das letzte Buch aus dem Regal. Die unendliche Geschichte. Ich schlug das Buch auf und...und zog scharf die Luft ein.

 „Erinnerst du dich noch an die Weihnachtszeit auf der Insel? Das war meine liebste Zeit. Schneemann bauen auf der Wiese, heiße Schokolade am Kamin und Mum die uns das Buch vorgelesen hat. Ich vermisse dich großer Bruder. In Liebe, deine Pheobe."

Pheobe. So hieß also seine Schwester. Aufgeregt machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo ich Adam auch schließlich antraf.

„Ich habe was!", rief ich ihm euphorisch zu. Erschrocken sprang Adam vom Sofa auf und sah mich an. „Hier!", ich wedelte mit dem Buch vor seiner Nase rum, „Seine Schwester heißt Pheobe und sie spricht hier von einer Insel oder so. Kannst du damit was anfangen?" Adam sah sich das Geschriebene einen Moment grübelnd an. „Mit dem Namen kann ich nicht viel anfangen aber mit der Insel schon." „Erzähl schon!", drängte ich ihn. „Luis hat mir davon erzählt. Seine Eltern besitzen eine kleine Insel in der Nordsee. Eine Hallig um genau zu sein. Dort hat er immer Weihnachten gefeiert." „Vielleicht ist der dort! Weißt du wo das ist? Weißt du wo wir hinmüssen?", fragte ich ihn aufgeregt. Adams Miene verdunkelte sich. „Tut mir leid. Ich habe keine Ahnung. Ich werde ein paar Leute beauftragen, mal sehen ob die was finden." Erleichtert atmete ich endlich ein. Wir hatten eine Spur. Das war etwas Gutes.

„Du siehst müde aus.", bemerkte Adam schließlich von der Seite. In diesem Moment überkam mich tatsächlich eine unendlich schwere Müdigkeit. Ich war seit Stunden auf den Beinen gewesen und hatte kaum Ruhe gehabt. „Geh, leg dich etwas hin. Ich wecke dich wenn wir etwas haben." Nickend drehte ich mich um und ging in mein Zimmer.

Dort angekommen schaffte ich es gerade noch mir eine schwarze Leggins und einen schwarzen Pullover aus dem Schrank über zu ziehen und mich in die Decke zu kuscheln.

 Die letzten 24 waren der reinste Albtraum gewesen. Mein Bruder hatte mich verraten, mein Vater würde mich sogar verkaufen um seine Ehre wiederherzustellen, Luis war einfach verschwunden und Adam? Ja, Adam verhielt sich irgendwie anders. Irgendwie freundlich. Es tat gut mich auf diese Weise mit ihm unterhalten zu können. Nicht diese ständige Angst zu haben, er würde mir vor die Nase halten wie naiv und schwach ich doch wäre. Mein Leben hatte sich in den letzten Wochen komplett geändert. Hätte mir jemand vor einem Monat gesagt, dass ich hier landen würde, hätte ich diese Person vermutlich ausgelacht.

Meine Gefühle gingen komplett mit mir durch. Ich fing einfach an zu weinen. Und in diesem Moment war es okay. Ich fühlte mich irgendwie erleichtert.



Beast and his BeautyWhere stories live. Discover now