Kapitel 11

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„Was denkst du, was du da gerade tust?" Meine Stimme ist kontrolliert, auch wenn alles in mir tobt. Aber es würde nichts bewirken, wenn ich jetzt schreien würde. Es würde Beverly nicht helfen und das ist alles, was gerade zählt. Die Tür hinter uns ist geschlossen. Also kann ich mit ihm sprechen, wie ich will. Ich könnte wirklich schreien, aber ich darf jetzt die Kontrolle nicht verlieren. Es wäre fatal. Deswegen kontrolliere ich jeden Muskel in meinem Körper, jede Nuance in meiner Stimme und spreche mit ihm so kalt und streng von oben herab wie mit einem ungezogenen Kind. „Es ist ihre Entscheidung und die respektiere ich Janet. Wenn du es nicht tust, solltest du vielleicht von ihr wegbleiben." Es scheint eine ganz neutrale Aussage zu sein. Komplett ruhig und objektiv. Warum ist er gerade nur so verdammt ruhig? Warum kann er ihre Entscheidung unterstützen? Er besiegelt Beverlys Todesurteil, wenn er sie jetzt gehen lässt und spricht nur vom respektieren ihrer Wünsche. Wie kann er nur so blind sein? 

Beverlys blasses Gesicht vor meinem inneren Auge, ihre schwache Stimme, mit der sie mich bittet sie gehen zu lassen, in meinem Ohr, lassen mich verzweifeln. Es tut mir in der Seele weh und tief in mir weiß ich, dass ich Julian nicht umstimmen kann, aber ich muss es zumindest versuchen. Ich kann nicht einfach aufgeben. Das habe ich schon bei Beverly nicht getan. Auch bei Beverly habe ich es versucht und das nicht nur ein Mal. Es geht um Beverly's Leben und es gibt wenig was wichtiger wäre. „Weißt du überhaupt, was du tust, oder hat dir deine blinde Liebe jeglichen Verstand geraubt? Beverlys Werte sind bei weitem nicht gut, oder stabil genug, um sie zu entlassen. Sie hat hohes Fieber und ihr Blutdruck schießt durch die Decke. Es ist zu gefährlich. Siehst du das nicht?" Es ist nicht fair ihn so zu beschuldigen, aber das ist mir egal. Er muss begreifen, was er da anstellt. Außerdem ist es die Wahrheit und das weiß er. Er weiß doch eigentlich, wie es aussieht. Er hat doch verdammt nochmal auch Medizin studiert. Und eigentlich ist er doch auch ein brillanter Arzt. Oft genug habe ich ihn so erlebt. Wie oft er sich mit Eltern auseinandergesetzt hat, die ihre Kinder gegen seinen Rat mit nach Hause nehmen wollten? Er hat nie aufgehört, bis sie zugestimmt haben. „Ich bin doch nicht...... Das hat doch gar nichts damit zu tun! Was unterstellst du mir?" Er hat angefangen zu schreien und wenn er schreit, hat er eine Stimme, die einen vor Angst zittern lässt, die einem einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt, die einem sämtliche Luft aus den Lungen presst. Noch nie habe ich einen Menschen getroffen, dessen Stimme, wenn er schreit, so anders ist. Ich hätte Julian nie so eine Stimme zugetraut. Jedem, aber nicht ihm. Aber es macht mir keine Angst. Ich habe auch schon ganz anderes erlebt. Bösartige Außerirdische, die die Menschheit versklaven wollen, sind schon beängstigender, als ein einfacher Mann. Auch wenn ich meine Waffe in solchen Situationen schon vermisse. Aber das er schreit zeigt mir, dass ich an einen wunden Punkt gekommen bin. Ich muss jetzt aufpassen, dass es nicht eskaliert. Aber es zeigt mir auch, wie verzweifelt er eigentlich ist unter dieser ganzen Fassade. Vielleicht ist es doch nicht ganz hoffnungslos. 

„Julian", setze ich an. Ganz ruhig. Jetzt bringt schreien noch weniger als zuvor, auch wenn es befreiender wäre. So unheimlich viel befreiender. „Du weißt doch, dass Beverly hohes Fieber hat. Und du willst sie einfach so alleine zuhause lassen, nachdem ihr Kreislauf vor ein paar Stunden fast komplett zusammengebrochen ist?" Meine Stimme ist scharf und schneidend. Vielleicht ein bisschen zu sehr, aber er muss es begreifen und ich kann nicht mehr ruhig bleiben, auch wenn ich es gerne würde. „Es ist ihr Wunsch. Und wenn sie es sich zutraut, dann schafft sie das auch. Sie ist kein kleines Kind mehr. Außerdem willst du sie doch nur hierbehalten, weil du sie liebst", wirft er mir an den Kopf. Es ist nur, weil er sich in Rage geredet hat, weil er verzweifelt ist und Angst hat, Beverly zu verlieren, ob nun an mich oder an den Tod spielt dabei keine Rolle. Dabei will ich Beverly doch gar nicht. Ich liebe sie nicht und ich würde sie ihm auch nie wegnehmen wollen. „Aber das kannst du dir abschminken. Beverly und ich sind fast zusammen. Sie wird dich nie lieben. Sie ist nicht so wie du. Sie ist normal!" Mein erster Impuls ist es ihm eine zu knallen für das, was er behauptet hat, oder zumindest ihn anzuschreien, aber ich schaffe es mich soweit zu beruhigen es nicht zu tun. Er meint es nicht so, zumindest hoffe ich es. Ich hätte ihn nie so eingeschätzt. Nie hätte ich gedacht er wäre einer der Männer, die... die ihr wehgetan haben. Ich kann es einfach nicht glauben. Es fühlt sich an, als hätte er mich geschlagen, auch wenn er es nicht getan hat. Seine Hand ist nicht mal in meiner Nähe. „Sag sowas nie wieder. Du bist eine Schande für die Menschheit." Meine Stimme ist scharf und schneidend, aber auch lauter, als ich will. Dabei will ich es gar nicht. Will nicht laut werden, aber der Gedanke an den toten Körper in einem Zimmer, das ganze Blut auf dem Teppich, auf dem wir so oft gesessen haben. Meine beste Freundin Rose. Nein. Sie war nicht meine beste Freundin. Sie war so viel mehr als das. Sie war die erste und einzige Frau, die ich in meinem Leben geliebt habe. Der einzige Mensch, der mein Herz jemals so berührt hat. Ich habe sie gefunden auf dem Teppich liegend. Sie hatte mich angerufen, nur 15 Minuten vorher. Sie hatte sich entschuldigt und ich hatte so ein Ungutes Gefühl, regelrecht Panik. Ich erinnere mich an ihre Mutter, die sich auf sie wirft und mit ihrem toten Körper in den Armen vor und zurück schwankt, wie ich in der Tür hilflos, überfordert stehen geblieben bin, bevor ich hemmungslos schluchzend einfach weggelaufen bin. Durch die Stadt, bis zu unserem Treffpunkt, an dem wir uns fast jeden Tag getroffen haben, wo ich dann einfach dagestanden bin, geweint und geschrien habe, bis irgendwann meine Mutter kam und mich in ihre Arme gezogen hat. All das bricht wieder über mich herein und ich kann es gerade noch verhindern in Tränen auszubrechen.

„Ich liebe Beverly nicht", versichere ich Julian ein paar Sekunden, nachdem ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe mit unendlich trauriger, ruhiger Stimme. Mein Herz ist gebrochen von dem Loch, das Rose dort hinterlassen hat. Nie wieder werde ich das Riskieren, was passiert ist. „Ich liebe Beverly nicht und genau deshalb solltest du mir die Entscheidungen überlassen. Ich bin objektiver. Ich will nur ihr bestes, glaub mir. Sie braucht Hilfe", flehe ich ihn an, aber er sieht mich nur verächtlich an. „Du wirst sie nicht zu irgendwas zwingen, was sie nicht will. Sie wird bekommen, was sie will und dafür werde ich sorgen. Erzähl jemand anderem deine 'Ich liebe sie nicht' Geschichte, aber mich kannst du damit nicht mehr belügen. Ich habe gesehen, wie du sie ansiehst. Wie du ihren Namen flüsterst. Aber sie gehört mir und ich werde dafür sorgen, dass sie nach Hause kommt!", brüllt er mich an. So sicher kann das mit der Beziehung zu ihr also nicht sein, wenn er mich als eine solche Bedrohung empfindet, dass er das für nötig hält und ein Teil in mir jauchzt vor Freude, aber ich spüre es kaum. Nur diese unendliche Leere. „Ich will nichts von ihr Julian. Sie ist meine Chefin. Nichts weiter. Ich will nur, dass sie gesund wird. Hast du dir mal ihre Vitalwerte angeguckt? Es ist zu gefährlich für sie alleine zuhause. Sie hat doch niemanden, der ihr hilft, der aufpasst, dass sie sich nicht zu sehr anstrengt. Wenn sie umkippt, ist niemand da, der einen Krankenwagen holt. Sie könnte tagelang in ihrem Haus liegen und niemand merkt es. Es ist lebensgefährlich, merkst du das nicht?" Es ist ein Vorwurf, aber den braucht er anscheinend jetzt, auch wenn es nicht viel zu bringen scheint, denn er beharrt stur auf seiner Meinung. Ein letztes Mal versuche ich es, auch wenn ich nicht damit reche, dass er nachgeben wird. Er ist einfach zu stur und ich... Ich bin zu fertig von den Bildern in meinem Kopf. „Überleg doch mal Julian. Was ist, wenn sie etwas braucht, aufsteht, das Gleichgewicht verliert und fällt. Sie könnte sich den Kopf an einer Kante anschlagen und verbluten, ohne, dass irgendjemand das mitbekommt. Möchtest du sie derart in Gefahr bringen? Du liebst sie und willst ihr Leben wissentlich so leichtsinnig aufs Spiel setzen? Wenn du das wirklich tust, liebst du sie nicht wirklich." Ist es zu hart? Wahrscheinlich ja, aber wenn es ihr Leben rettet ist es das eindeutig wert. Ich will nie wieder einen Menschen verlieren. Nicht, wenn ich es verhindern kann. „Ich habe es versprochen Janet. Ich habe ihr versprochen sie zu fahren. Du weißt, dass ich niemals ein Versprechen brechen werde." Für einen Moment habe ich das Gefühl, dass er dieses Versprechen bereut, aber das hält nur für einige Sekunde. Dann wird sein Blick wieder hart und er spricht kalt weiter: „Außerdem ist sie alt genug, um selbst zu entscheiden, ob sie zuhause alleine zurechtkommt, oder nicht. Außerdem könnten wir sie sowieso nicht aufhalten. Sie kann sich jeder Zeit auf eigene Gefahr selbst entlassen. Da fahr ich sie lieber selbst nach Hause, als dass sie sich ein Taxi ruft. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich werde ihr ihren Willen lassen. Wir werden es ihr nicht ausreden können. Du weißt, wie stur sie ist." Ich sehe ein leuchten in seinen Augen, wenn er an sie denkt und wenn er von ihr spricht wird seine Stimme weich und sanft. Er liebt sie wirklich. Ich warte auf eine Reaktion meines Körpers, aber sie kommt nicht. Alles was ich spüre, ist die Leere.

„Du hastrecht", seufze ich nach ein paar Sekunden des Schweigens. Warum hat er verdammtnoch mal recht? Sie ist stur. Stur wie ein Bock. Auch wenn es mir noch so weniggefällt, werde ich es akzeptieren müssen. „Sie wird sich nicht überredenlassen. Jetzt, nachdem du es ihr angeboten hast, erst recht nicht mehr. Aberlass mich sie fahren Julian, ich..." Ich verstehe nicht, warum ich es will. DieWorte verlassen meinen Mund bevor ich darüber nachdenken kann. Ich vertraue ihmnicht. Habe das Vertrauen verloren, als er ihr gesagt hat, dass sie nach Hausedarf. „Nein", fällt er mir unsanft ins Wort, „Ich werde sie fahren. Ich habe esihr versprochen. Es ist meine Aufgabe." „Ich bin nicht so aufgebracht wie duJulian und meine Schicht ist um. Ich kann sie sofort nach Hause bringen. Ichdenke sie würde es so wollen. Lass mich es tun", versuche ich ihn umzustimmen,auch wenn meine Ausreden mehr als Fadenscheinig sind. Außerdem muss ich daraufachten nicht die Zeit zu vergessen, damit Cassy nicht auf mich warten muss,aber es wird schon nicht so lange dauern. „Ich werde sie fragen", bestimmtJulian und ich nicke ihm zu. Er weiß, dass ich es sonst tun würde und das willer vermeiden. Sie wird zustimmen, das weiß ich. Ich kenne sie gut genug, um zuwissen, dass sie hier weg will. Und zwar so schnell wie möglich.

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⏰ Last updated: Mar 12, 2020 ⏰

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