Kapitel 6

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Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt jeden Tag hierher zu kommen, obwohl es erst vor ein paar Woche war, dass ich dieses Gebäude zum ersten Mal betreten habe. Alle Leute sind unheimlich hilfsbereit und nett und es gibt so viel zu tun, dass alles schnell zur Selbstverständlichkeit wird. Nur eine Sache gibt es, an die ich mich wahrscheinlich nie gewöhnen werde.

Beverly.

Immer noch schlägt mein Herz jedes mal schneller, wenn ich sie sehe. Jedes Mal sage ich mir, dass es nur die Hormone sind, aber langsam glaube ich mir selbst nicht mehr, wenn ich es jemals wirklich getan habe. Aber solange die Hormone schuld sind, jann ich das Thema ignorieren.

Nachdem ich die Post an der Information abgeholt habe, gehe ich ins Ärztezimmer, genau wir jeden anderen Morgen auch. Es ist ein schön hell und praktikabel eingerichtetes Zimmer, das in zwei Teilräume geteilt ist. Außerdem ist genug Platz für alle vorhanden. Mehrere Tischgruppen stehen in den zwei Teilräumen verteilt, auf denen teilweise Computer stehen. Im hinteren Raum ist die halbe Wand von Bücherregalen verdeckt, in denen die wichtigsten Nachschlagewerke zu finden sind. Auf der rechten Seite der Tür hängt ein weißer Vorhang, durch den man in einen kleinen Raum mit Spinden kommt, der vor allem zum Umziehen gedacht ist, wenn man zum Beispiel mehre Schichten hintereinander hat, oder es in einem Patientenzimmer zu größeren Schwierigkeiten kommt, oder zu unkontrollierbaren Blutungen, was leider ab und zu mal vorkommt.

„Guten Morgen Janet. Hast du gestern noch einen schönen Abend gehabt?“, begrüßt Julian mich fröhlich, während er eine Akte aus einem Fach zieht, einen Kaffee in der Hand. Lächelnd erwidere ich seinen Gruß.

„Naja es geht. Cassy ist gestern beim Sport umgeknickt und konnte kaum noch laufen. Das war im ersten Moment ein echter Schock.“ Ich seufze, den Kopf voll mit Bildern von gestern, als ich Cassy früher abholen musste, weil sie sich verletzt hat.

Als ich ankam saß sie tränenüberströmt in einem Stuhl im Sekretariat, ein Kühlpack fest auf ihren Knöchel gedrückt. Ich glaube so schnell werde ich diesen Schreck nicht wieder vergessen. Aber es ist ja alles gut gegangen.

Erleichtert atme ich auf und verscheuchen damit die Bilder aus meinem Kopf, bevor ich mir selbst einen Kaffee aus dem hinteren Raum, in dem die geliebte Kaffeemaschine aller Ärzte steht, hole. „Alles gut, oder soll ich mir das mal ansehen? Du siehst besorgt aus“, fragt er mich sofort besorgt und stellt seine Tasse auf den Tisch. Er geht davon aus, dass ich wie alle Ärzte die Objektivität verliere, wenn es um meine Familie geht. Natürlich hat er Recht, aber das schaffe ich auch noch alleine. Schließlich ist sie nur umgeknickt. Es ist nichts gebrochen, also muss sie auch nicht operiert werden. „Nein, das ist nicht nötig“, versichere ich ihm schnell, „Es ist höchstens eine Bänderdehnung. Ich habe es fachgerecht verbunden und wenn es anschwillt, oder nach einer Woche noch wehtut, dann darfst du sie dir anschauen.“ Ich lächle ihn an und er lächelt zurück. „Gut. Solange du dir Hilfe holst, wenn irgendwas ist.“ Er ist ernst, aber trotzdem lächelt er leicht. „Keine Sorge Julian. Ich weiß, wo meine Grenzen sind“, versichere ich ihm deshalb schnell.

„Guten Morgen“, kommt eine Stimme aus der Tür, die mein Herz schneller schlagen lässt. Alles in mir scheint sich zu freuen diese Stimme zu hören, nur mein Kopf nicht und ich muss ihm Recht geben. Nichts an der Reaktion meines Körpers ist gut. Trotzdem drehe ich mich um, um genau das zu sehen, was ich schon erwartet habe.

Beverly steht in der Tür, einige Mappen in der Hand. Sofort beginnt mein Herz noch etwas schneller zu schlagen.

Wird das denn niemals wieder aufhören? Können meine Hormone nicht irgendwann mal wieder aufhören verrückt zu spielen?

„Julian, Lilith ist heute bei dir“, fährt sie mit ihrer weichen Stimme fort, die mir den Atem stoppen lässt. Wie kann die Stimme eines Menschen nur so wundervoll klingen, dass man ihr am liebsten den ganzen Tag zuhören möchte? Verzweifelt darüber, was in meinem Kopf gerade passiert, versuche ich es zu stoppen, aber es scheint mir einfach nicht gelingen zu wollen. Jetzt bloß nicht in ihre Augen sehen.

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