Kapitel 8

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„Ich brauche ein Zimmer und eine zusätzliche Decke und zwar sofort!“ Julian schreit die Schwester an, die uns entgegenkommt, um zu helfen. Es passt nicht zu ihm. Es passt nicht zu ihm so impulsiv zu sein. Vor allem nicht zu jemandem, der nur helfen möchte. Die Schwester kann doch nichts dafür, dass er Beverly so sehr schätzt. sie kann nichts für seine Anspannung.

Julian rennt fast zu dem Zimmer, dass die Schwester uns in Sekundenschnelle nennt. Sie tut mir leid, dass sie das abbekommt, aber ich bin zu angespannt um mich jetzt darum zu kümmern. Immerhin geht es Beverly immer schlechter. Es bleibt keine zeit mehr.

Vorsichtig legt Julian Beverly in das Bett, dass in der Mitte des weißen Zimmers steht und leise schließe ich die Tür wieder hinter uns. Schließlich muss ja nicht sofort die ganze Klinik sehen, dass Beverly hier ist. Das würde  sie nicht wollen und das kann ich auch durchaus verstehen. „Ganz ruhig. Ich kümmere mich um dich“, flüstert Julian ihr mit einer Stimme zu, die ich nicht mal von ihm erwartet hätte. Sie ist unheimlich ruhig und liebevoll, wenn er mit ihr spricht. Keine Spur der Kälte, die noch vor wenigen Minuten in seiner Stimme lag, als er mit mir gesprochen hat, als er dachte ich würde sie ihm wegnehmen wollen, aber das will ich doch gar nicht.

Seine Hand fährt durch ihre Haare, während er sie mit der anderen ungelenk zudeckt. Es sticht mir ins Herz, wie er mit ihr umgeht, auch wenn ich nicht genau weiß warum. Es tut einfach weh. Inzwischen stehe ich an der Seite ihres Bettes. Wie ich hierhergekommen bin weiß ich schon nicht mehr. Es ist einfach passiert. Ich fühle ihren rasenden Puls an meinen Fingern. Ich habe Angst um sie. Habe solche Angst, dass ich es kaum schaffe zu atmen. Mein Kopf pocht, so stark pumpt mein Herz das Blut durch meinen Körper. Meine Ohren klingeln. Das Gefühl kenne ich. Es ist ganz normal, wie mein Körper auf die ganze Situation gerade reagiert. Jedes mal, wenn eines der SG Teams verwundet durch das Tor gekommen ist, ging es mir so. Es hat meine Aufmerksamkeit fokussiert auf das, was vor mir war.  Aber diesmal ist es nicht nur das. Diesmal sind es auch die Vorwürfe in meinem Kopf. Wenn sie jetzt stirbt ist es meine Schuld! Ich hätte sie niemals gehen lassen sollen! Ich habe doch gewusst, wie schlecht es ihr geht! Ich habe doch gewusst, wie schwach ihr Kreislauf ist! „Beverly“, flüstere ich leise, sanft ihren Namen, ohne darüber nahzudenken und ihr Puls beruhigt sich. Das ist sicher nur Zufall. Das kann nichts mit mir zu tun haben. Es ist unmöglich, dass das mit mir zu tun hat. Wahrscheinlich ist es nur die Anwesenheit eines Menschen. Es könnte genauso gut jeder andere hier stehen und sie würde genauso reagieren. Ich sehe auf und blicke direkt in Julians wütend funkelnde Augen. In ihnen ist nichts mehr von der Freundlichkeit und Wärme geblieben, die sie hatten, bevor er gesehen hat, wie ich auf dem Parkplatz neben Beverly gekniet habe. Sie machen mir Angst, sollen mir sagen, dass ich Beverly in Ruhe lassen soll. Dass sie ihm gehört und er dafür sorgen wird, dass ich kein angenehmes Leben haben werde, wenn ich es nicht mache. Vorsichtig öffnet sich die Tür, aber selbst dieses leise Geräusch klingt in der angespannten Stille zwischen uns wie der Schuss einer Kanone. Sofort liegen unsere Blicke auf der Tür, in der die Schwester steht, die Julian angeschrien hat. Total verschüchtert tritt sie ein und wirft Julian einen verängstigten Blick zu. „Jetzt kommen Sie schon her“, blafft Julian sie an. Langsam tritt sie auf Julian zu. Sie hat Angst vor ihm. Ich sehe es in ihren Augen und es gefällt mir garnicht. So kann er doch nicht mit anderen Menschen umgehen. Ich weiß er macht sich Sorgen um Beverly, das mache ich mir auch, aber trotzdem kann er nicht einfach jeden anschreien, der ihm gerade im Weg steht. „Danke“, sage ich gezwungen ruhig zu der Schwester, die Julian die Decke in die Hand gibt, und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. Dankbar lächelt sie mich an und verlässt schnell den Raum. Wahrscheinlich um einem erneuten Wutanfall von Julian vorzubeugen, was ich ihr auch nicht verübeln kann. „Gleich wird dir wärmer“, flüstert Julian Beverly leise zu, während er die zweite Decke über ihr ausbreitet. Langsam wandelt sich meine Sorge in Wut. Inzwischen hat sicher auch der letzte Idiot verstanden, dass er sie liebt, trotzdem kann er doch nicht mit ihr umgehen. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit, oder solange sie so bewusstlos ist, dass sie sich nicht wehren kann. Ich habe sie zumindest nie vorher so gesehen und jetzt benimmt er sich wie ihr Freund. Es ist einfach nicht richtig.  Außerdem vergisst er über diese Gefühlsduselei Was im Moment wirklich wichtig ist. Meine Finger werden langsam gefühllos. Fangen an zu zittern. Lange werde ich ihren Puls nicht mehr überprüfen können. Er muss sie endlich anschließen, sonst...
Endlich greift Julian nach den Kabeln, um sie an die Monitore anzuschließen. Ganz vorsichtig befestigt er die kleinen, klebenden Plättchen an ihrem Brustkorb. Ihr Puls unter meinen Fingern wird wieder schneller. Sie scheint mehr mit zu bekommen, als wir denken. Einem Impuls folgend beginnt meine freie Hand von Julian unbemerkt über ihren Arm zu streichen und sie beruhigt sich wieder. In dem Moment befestigt Julian das letzte Plättchen und sieht mich wieder an. Sofort zuckt meine Hand wieder zurück und ich lasse auch ihr Handgelenk los. Der Monitor fängt leise an zu piepen. Die Töne kommen schnell hintereinander. Zu schnell. Viel zu schnell und für einen Moment scheint mein Herz still zu stehen. Julian versucht sie zu beruhigen. Flüstert ihr zu, dass alles gut ist. Fährt ihr mit der Hand über die Haare, aber das Piepsen wird nur immer schneller. Schneller und schneller, bis es fast einem durchgehenden Aton ähnelt. Panisch sehe ich sie an, während mein Herz es ihrem gleich tun zu wollen scheint und immer schneller schlägt. ,Sie darf nicht sterben!', schreit es in meinem Kopf, während Julian sie anfleht bei ihm zu bleiben, obwohl er genauso gut wie ich wissen sollte, dass ihr das nicht helfen wird.
Bevor ich mir darüber klar werde, habe ich eine Spritze in der Hand. Die langjährige Erfahrung übernimmt die Kontrolle und ich bin unheimlich dankbar dafür. Ohne auch nur das geringste Anzeichen eines Zitterns gebe ich ihr das Medikament, dass ihren Kreislauf wieder beruhigen sollte. Und es wirkt. Ihre Herzfrequenz sinkt wieder und sie erhöht sich auch nicht, als Julian ihr den Klipp an den Finger macht, der ihre Sauerstoffsättigung überprüft.
So schnell diese plötzliche Sicherheit gekommen war, so schnell verschwindet sie jetzt aber auch wieder um blankem Entsetzen platz zu machen. Einsetzen über das, was in dem Bett vor mir liegt. Ihre sowieso blasse Haut schimmert weiß. Auf ihrer Stirn glitzert Schweiß und ihre Lippen sind rau und rissig. Quälend langsam und angestrengt hebt und senkt sich ihr Brustkorb. Sie ist dünn. Fast schon zu dünn, wenn ich betrachte, wie wenig sich ihr Körper unter den Decken abzeichnet, wie deutlich man ihre Rippen unter der dünnen Haut erkennen kann, die gerade nicht von der Decke verdeckt werden. Wie deutlich ihr Schlüsselbein hervorsticht. Immer wenn ich sie im Gang gesehen habe, ist mir das nie aufgefallen, weil ihr Kittel es kaschiert hat, alles versteckt hat unter dem weiten Stoff, aber jetzt gibt es ihn nicht mehr. Die Decken verbergen zwar einen direkten Blick, aber es ist nicht mehr schwer zu erkennen. Warum ist mir das vorher nicht aufgefallen? Warum habe ich nicht bemerkt, wie schlecht es ihr wirklich geht? Warum habe ich sie nicht aufgehalten? Ich hatte es doch in der Hand. Ich hätte sie aufhalten können. Ich hätte sie zurückhalten können, aber ich bin gegangen, habe sie ihrem Schicksal überlassen, obwohl ich es besser wusste. Warum habe ich es nicht getan? Warum habe ich sie gehen lassen? Langsam strecke ich die Hand nach ihrem Gesicht aus, aber kurz bevor ich es erreiche, höre ich Julians aufgebrachte Stimme. „Was machst du da?“, fragt er mich mit einer Stimme kälter als Eis. „Nichts“, bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus und ich zucke erschrocken zurück. Die eisige Kälte in seiner Stimme erschreckt mich. So kenne ich ihn gar nicht. Immer lag in seiner Stimme eine gewisse wärme, aber jetzt? Jetzt ist sie nur noch kalt. Eiskalt. Aber es ist nicht nur seine Stimme, die mich erschreckt, es ist auch mein eigenes Verhalten. So etwas wie gerade darf nie wieder passieren. Ich muss mich wieder unter Kontrolle kriegen.
„Ich sollte kurz…“ Ich drehe mich um und zeige mit meinem Kopf zur Tür. Ich brauche ein paar Minuten, um mich wieder zu beruhigen. Wieder die Kontrolle über mich zu bekommen. Julian nickt mir mit eiskaltem Blick zu und ich renne fast zur Tür raus. Kurz bevor ich den Raum verlasse, blicke ich nochmal zurück auf Beverly. Auf ihren dünnen, verlassen wirkenden Körper, ihr trauriges, ausgemerkelktes Gesicht. „Pass auf dich auf“, flüstere ich ihr leise zu, „Ich komme bald wieder. Ich verspreche es dir.“ Dann fällt mein Blick auf Julian, der mich immer noch mit seinem Blick verfolgt und mir bleibt die Luft weg. Sein Blick erinnert mich an die Boshaftigkeit und die Kälte, die die Goa'uld immer an den Tag legten. Ich hätte es niemals von ihm erwartet. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Erinnerungen an früher drohen wieder hoch zukommen. Schnell drehe ich mich um und schließe die Tür hinter mir.
Schwer atmend lehne ich mich an die kühle Tür hinter mir und warte, bis ich wieder ruhiger werde. Warum? Wie kann Julian sich in ein paar Stunden nur so verändern? Wie kann aus einem Mann, dem ich nicht einmal zugetraut habe eine Fliege zu erschlagen innerhalb von ein paar Minuten eine solche Kälte und Boshaftigkeit entwickeln? Natürlich, er liebt sie, aber er muss in mir doch keine Konkurrenz sehen. Selbst wenn ich in Beverly verliebt wäre, was vollkommen absurd ist, würde ich nichts von ihr wollen. Ich will nicht lieben und ich habe mir vor langer Zeit geschworen nie wieder einen Menschen auf diese Art in mein Leben zu lassen und diesen schwur werde ich nicht brechen.
Mein Atem beruhigt sich und ich gehe langsam weg von diesem Zimmer. Von Julian, aber auch von Beverly. Je weiter ich mich von ihr entferne, desto unruhiger werde ich. Der Gedanke sie mit ihm zurückzulassen, macht mich ganz unruhig, aber vielleicht bilde ich es mir auch nur ein.

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