DAS MONSTER DAS IHR WOLLTET

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JENE NACHT BLIEB SHIVA ihr ganzes Leben lang in Erinnerung und hinterließ tiefe Narben, nicht nur auf ihrer Haut, sondern vor allem auf ihrer Seele.

Sie fühlte sich die ersten Tage nach diesem Unglück schuldig. Schuld am Tod ihrer Mutter und des jungen Pati. Doch dann beschloss sie, nicht für den Rest ihres Lebens trauern zu wollen. Sie hatte bereits so viel Schmerz und Kummer erdulden müssen, auf dem Weg vom kleinen Kalb mit dem krummen Rüssel bis zu jungen Elefantenkuh, die gefangen von haarlosen Affen schwere Arbeiten verrichten musste und angebunden ihrer Freiheit beraubt war.

Shiva kam eines Tages – es tobte gerade ein furchtbarer Gewittersturm übers Land – zu der Erkenntnis, das in jedem Falle sie selbst immer das Opfer gewesen ist. Sie war es, die man ausgelacht und beschuldigt hatte. Sie war es, die eigentlich nur akzeptiert und ein Teil der Herde und des Dschungels werden wollte. Aber die Herde wollte sie nicht – der Dschungel wollte sie nicht.

»Dann will ich euch auch nicht.«

Shiva schwor sich, das zu sein, was sie offenbar ohnehin schon immer sein sollte – einsam. Sie sah keinen Sinn mehr darin, weitere Jahre damit zu verschwenden, irgendwo dazugehören zu wollen. Deshalb schwor sie sich an jenem Tag, niemals wieder freundlich zu einem Tier zu sein.

»Sie wollten immer nur ein Monster in mir sehen. Fein! Dann sollen sie dieses Monster kriegen.«

Shiva kehrte in den Dschungel zurück, aus dem sie stammte. Einige Tage lang beobachtete sie Aasthas Herde. Ihre ehemalige Leitkuh war in der Zwischenzeit verstorben und Chandani wurde zur neuen Anführerin erklärt.

»Wenigstens nicht die alte Bindi«, dachte Shiva und wollte sich gerade abwenden, als sie ein aufgeregtes Trompeten hörte.

»Mama! Da ist ein ganz gruseliger Elefant hinter den Bäumen!«, rief ein kleines Kalb und eilte schnell zur Herde zurück, zu der auch Shiva einst gehörte.

Wie nicht anders zu erwarten erkannte Bindi ihre alte Kameradin sofort und schaffte es, innerhalb kürzester Zeit jedwede Untat zu erzählen, die Shiva jemals begangen hatte. Natürlich kannten selbst die jüngsten Herdenmitglieder die Geschichten, die man sich über die Elefantin mit dem krummen Rüssel erzählte, der ein böser Geist innewohnte. Schnell brach Panik unter den Dickhäutern aus und die größten und kräftigsten Kühe rannten aufgebracht auf Shiva zu, um sie zu vertreiben.

»Verschwinde, Dämon! Du hast hier nichts mehr zu suchen. Du hast deine Mutter und Nirriti getötet!«, riefen sie ihr zu,

Nirriti hatte ihre schweren Verbrennungen also nicht überlebt. Shiva fühlte sich durch diese Neuigkeit bestätigt, dass Nirriti die Strafe erhalten hatte, die sie verdient.

»Meine Mutter hat mich verachtet und Nirriti war der wahre Dämon!«, antwortete Shiva und warf mit einem großen Ast nach den anderen Elefanten. »Sie haben nicht anderes als den Tod verdient, genauso wie ihr. Eines Tages werde ich mich bei euch allen rächen. Verlasst euch darauf.«

Dann drehte sich Shiva um und ging zurück in den Dschungel und der Einsamkeit, die sie mittlerweile so sehr liebte.

Sie genoss die Furcht, die alle Tiere vor ihr hatten und sie tötete – diesmal nicht aus Versehen, wie es damals geschehen war, sondern mit Absicht. Wo sie hinkam, gab es nur eins, was die kleineren Tiere tun konnten – fliehen, so schnell sie konnten.

Eines Abends hatte sie einen jungen Tiger erspäht, der allein durch den Wald schlenderte. Shiva wusste, dass es Amit war, der älteste Sohn von König Alok.

Sie zögerte keinen Augenblick, bäumte sich vor dem Kater auf und trat ihn mit dem rechten Vorderfuß derart heftig auf den Kopf, dass der Prinz sofort tot war.

Damit hatte Shiva endgültig ein Exempel statuiert, welches die Verbannung aus Aloks Reich nach sich zog.

»Das Monster, das sie wollten, haben sie bekommen.«

✅ SHIVA - Das Leben eines ElefantenWhere stories live. Discover now