DER HINTERHALT

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SHIVA KONNTE AUSSER sich selbst niemanden in näherer Umgebung ausmachen und entschied sich, zurück nach Hause zu gehen. Es dämmerte bereits und sie fürchtete, dass sie sich später verlaufen würde. Angestrengt schaute sie auf den Boden, um die Spuren zu finden, die sie und Nirriti auf dem Weg hierher hinterlassen hatten. Doch es schien so, als hätte sie jemand weggewischt.

Buchstäblich aus heiterem Himmel traf Shiva ein Stein am Hinterkopf.

»Aua! Was soll das? Wer war das?«, fragte sie, rieb sich mit der Rüsselspitze die schmerzende Stelle am Kopf und blickte in die Baumwipfel hinauf.

»Das fragst du noch, du dreistes Balg?«, erklang eine übellaunige Stimme unweit über ihr.

»Ich weiß nicht, wer du bist! Warum machst du das?«

»Warum ich das mache?«, stellte die Stimme höhnisch eine Gegenfrage. »Wir fragen uns eher, warum du das machst!«

»Was mache ich denn? Ich will nach Hause gehen, mehr nicht!«, sagte Shiva und spürte, wie sie zu zittern begann.

»Ja, nachdem du beinahe unseren gesamten Vorrat aufgefressen hast, den wir in tagelanger Arbeit zusammengetragen haben!«, rief die Stimme und Shiva konnte endlich eine Silhouette aus einem den Banyan-Bäumen auftauchen sehen.

»Dieses Gebiet gehört den Rhesusaffen, Eindringling!« Ein besonders großes Exemplar kletterte erhaben den Stamm des Baumes herunter und setzte sich anklagenden Blickes vor Shiva hin.

»Das, das tut mir leid. Ich wusste das nicht. Ich –«

»Spar dir das Gestammel!«, unterbrach der Affe sie und starrte ihr scharf in die Augen.

Shiva konnte diesem Blick kaum standhalten. Auch, wenn sie ihn in der Größe um einiges überlegen war, war sie dennoch ein Tierkind und er der Anführer einer ganzen Bande. Deren Mitglieder kamen nach und nach ebenfalls aus den Baumwipfeln heraus und setzten sich um sie und ihren Anführer.

»Wir alle, jeder einzelne, den du hier siehst, kann bezeugen, dass du dich an unserem Nahrungsvorrat hergemacht hast«, fuhr der älteste Rhesusaffe fort, seine Anschuldigungen Shiva gegenüber kundzutun.

»Kumar hat recht! Wir haben alle gesehen, wie du, ohne mit dem Rüssel zu zucken, immer und immer mehr gefressen hast!«, rief eine der jüngeren Äffinnen.

»Wenn du dir heimlich ein oder zwei Elefantenäpfel genommen hättest, würden wir ein Auge zudrücken, junges Fräulein«, ergriff Kumar, der Anführer wieder das Wort, der seinen strengen Blick weiterhin nicht von Shiva ließ. »Doch du hast nahezu alle Äpfel gefressen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie jemanden gehören könnten!«

»Aber, aber ich –«

»Unterbrich mich nicht!«, ließ Kumar Shiva nicht ausreden. »Auch an dem Sauergras hast du dich gütlich getan. Wir brauchen es zur Polsterung unserer Nester, wenn wir Junge haben. Das scheint dich ja nicht zu interessieren, was?«

»Doch, ich –«

»Wir sehen uns gezwungen, dies deiner Herdenführerin zu melden. Wo befindet sich Aastha momentan?«

Kumars Worte stießen auf aufgeregten Zuspruch. Kreischend sprangen die Affen umher und klatschten in die Hände. »Vergeltung! Vergeltung!«, riefen sie alle und machten sich auf den weg, die Elefantenherde zu finden.

»Wir rasten dort hinten irgendwo auf einer Lichtung«, sagte Shiva kleinlaut und befürchtete, dass man diesen Affen mehr Glauben schenken würde, als ihr, die sie ja bereits in vielen Schwierigkeiten gesteckt hatte. »Aber ich dachte wirklich, dass –«

✅ SHIVA - Das Leben eines ElefantenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt