SHIVAS LIST

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DIE ELEFANTEN WANDTEN SICH nach und nach von Rashmi ab und schienen sich mit deren bitterem Entschluss abgefunden zu haben. Shiva jedoch konnte sich nicht so einfach mit dem Gedanken anfreunden, dass ein kleines, hilfloses und ganz und gar unschuldiges Elefantenkind sterben musste, nur weil es unter ungünstigen Voraussetzungen geboren wurde. Allzu sehr musste sie an ihre eigene Kindheit denken und daran, wie oft sie es nicht leicht hatte. Aber immer wieder hatte sie sich irgendwie durchgeschlagen und sie war noch da, auch wenn das Schicksal es mit ihr alles andere als gut meinte.

Aus irgendeinem Grund gab ihr die Geburt des Kalbes etwas mehr Zuversicht, dass es vielleicht doch wieder besser laufen könnte. Immerhin waren selbst jene Elefanten dadurch wieder mitten im Hier und Jetzt, die bis vor ein paar Stunden nur stumm hin- und hergewippt sind. Auch Sadhana, ihre Mutter, schien die Alte zu sein oder etwa nicht?

»Rashmi hat die richtige Entscheidung getroffen«, sagte diese plötzlich ernsten Tones. »Hätte ich damals gewusst, in welche Schwierigkeiten und welches Elend mich mein eigenes Kalb bringen würde, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, es aufzuziehen.« Sadhanas Worte trafen Shiva wie ein Speer ins Herz.

»Aber Mama? Das meinst du doch nicht ernst?« Shiva schluckte schwer und schaute ihre Mutter traurig an. Diese wandte sich jedoch von ihr ab.

»Siehst du? Nun hat sogar deine eigene Mutter begriffen, was sie da für einen Teufelsbraten auf die Welt gebracht hat.« Nirriti warf Shiva einen verächtlichen Blick zu.

All die Jahre hatte ihre Mutter sie vor genau diesen Anfeindungen bewahren wollen. Doch jetzt war sie es, die ihrer eigenen Tochter diesen Schmerz und diese Herabsetzung schenkte. Shiva versank in tiefe, düstere Gedanken. Sollten am Ende doch alle recht haben und sie war schuld an all diesem Unglück? Hatte sie das alles heraufbeschworen mit ihrer ungestümen Art und wohnte ihr vielleicht tatsächlich ein böser Geist inne?

So langsam schwand die gerade erst wieder aufkeimende Zuversicht, die die bevorstehende Geburt in ihr weckte, und jede negative Erfahrung schnitt sich erneut in ihre Seele und schien alle Narben wieder aufzureißen. Aber vielleicht konnte sie es schaffen, sie alle noch vom Gegenteil zu überzeugen, und das Kalb retten.

Shiva griff mit ihrem Rüssel nach einem etwas größeren Stein und schätzte die Entfernung zu Patis Behausung ab. Dann warf sie den Stein und hatte vor, ihn damit aus dem Schlaf zu reißen. Der Stein verfehlte sein Ziel. Schnell schaute sie zu den anderen Elefanten, aber die waren tief in ihren eigenen finsteren Gedanken versunken und nahmen keine Notiz von ihr. Schließlich warf sie einen zweiten Stein und der traf die strohbedeckten Begrenzungen von Patis Behausung. Sie wartete eine Weile – nichts passierte. Dann wiederholte sie den Vorgang mehrere Male und endlich erkannte sie einen blassen, flackernden Lichtschein in Patis Bau.

Nervöses Zucken ging unter den Elefanten um und Rashmi stellte sich instinktiv wieder gerade hin, um alle Zeichen der bevorstehenden Geburt zu verbergen. Dann trat Pati, der junge Zweibeiner, aus seiner Hütte und streckte sich erst einmal ausgiebig, bevor er mit müden Augen in der Gegend umherblickte.

»Was will der denn jetzt hier?«, knurrte eine der Elefantinnen.

»Das hat uns gerade noch gefehlt!«, schnaubte Tivra und scharrte mit dem Fuß auf dem Boden herum.

»Reiß dich zusammen, Rashmi. Vielleicht schaut er nur kurz nach dem Rechten und geht dann wieder schlafen«, gab auch Nirriti ihren Senf dazu.

»Was glaubst du vorlaute Göre, was ich gerade versuche!«, gab ihr Rashmi erneut Konter.

Shiva konnte sich ein heimliches Schmunzeln nicht verkneifen, als sie sah, wie Nirriti sich beleidigt umdrehte. Dann jedoch kam Pati auf sie zu, schien aber von den anderen Elefanten keine Notiz zu nehmen.

✅ SHIVA - Das Leben eines ElefantenWhere stories live. Discover now