Piraten

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Die beiden Männer brachten Esra und ihren Bruder auf ein überdachtes Oberdeck, wo sie bereits erwarten wurden. Der Regen fiel in schweren Tropfen auf die Plane, die über vier Stangen gespannt war und verzweifelt versuchte alle unter ihr vor der Nässe des langsam abschwächenden Sturmes zu bewahren. Unter der kleinen Gruppe aus Menschen tat sich bald ein bärtiger, großer Mann, als Anführer hervor. Seine Art in Mitte dieser Menschen zu stehen, allein mit seiner bloßen Anwesenheit, die Dynamiker der ganzen Gruppe zu bestimmen, war etwas, das sich Esras Wahrnehmung nicht entziehen konnte. Sie richtete ihren Blick starr auf einen Punkt in den schweren Wolken, versuchte keine Miene zu verziehen. Der Mann schüchterte sie ein.

Er musterte sie alle eindringlich, zuerst die Feen. Langsam erhob er sich von seinem Stuhl, der nicht aussah, als ob er für einen Mann von solcher Größe oder Präsenz geschaffen war, und trat einige Schritte auf die Neuankömmlinge zu. Sein Blick wanderte zu seinen Untergebenen. Der kleine, fette der Beiden hatte seine Hand mit festem Griff um Esras Arm gelegt, fast als fürchtete er, sie würde sich losreißen und wegrennen. Das Mädchen meinte zu merken, wie sich der Druck seiner Finger unter der eindringlichen Musterung verstärkte.

„Wieso sind es vier?"

Esra hätte beinahe laut aufgelacht. Die Stimme des Mannes, der ihr noch vor Sekunden Angst gemacht hatte, passte nicht zu seiner Erscheinung. Sie war überzeichnet hoch und nasal, die Stimme eines Kindes, nicht die eines Erwachsenen. Der Angesprochene, der sich an sie klammerte, schien der Situation nichts Lustiges abgewinnen zu können. Seine Antwort klang unsicher, viel mehr wie ein leises Flehen als eine Feststellung.

„Die drei anderen waren auch auf dem Schiff. Wir hatten keine Anweisungen für sie, deshalb wussten wir nicht-..."

Der Anführer deutete ihm mit einer ausschlagen Geste an, still zu sein. Sein Blick ruhte auf Nael und er schien zu überlegen.

„Der Junge kann vielleicht am Schiff arbeiten, vielleicht taugt er was. Bist du der Sohn dieses Mannes?" Er deutete Richtung Meer, wo die entfernten Lichter der verlassenen Fair Lady im Regen tanzten.

Esra beobachtete erstaunt, dass ihr Bruder nicht die Augen abwendete und das Kinn oben hielt. Ihr fiel auf, dass er fast so groß wie sein Gegenüber war.

„Nein."

Der Mann nickte nachdenklich und trat dann auf Esra zu. Er verharrte nur knapp vor ihr, das Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem eigenen entfernt. Sie konnte seinen fauligen, warmen Atmen auf ihren Lippen spüren. Angewidert wandte sie sich ab, doch ein kalter Finger drehte ihren Kopf zurück und zwang sie dazu in das hässliche Gesicht zu blicken, das jetzt von einem schmutzigen Grinsen verzerrt war.

„Mit einem jungen Mädchen sind wir Männer doch immer gnädig. Du wirst uns sicher auch von Nutzen sein." Esra verspürte den Drang ihn anzuspucken, doch der Griff an ihrem Oberarm erinnerte sie daran, dass das wohl mit einem Todesurteil gleichzusetzten wäre. Also sagte sie nichts, sondern wandte nur den Blick ab. Bevor der Mann auf seinen Platz zurückkehrte, machte er mit seinen schweren Händen eine kurze Geste in Richtung der alten Fee. Er wendete sich an die beiden, die auf der Fair Lady waren.

„Ich weiß nicht warum ihr den Alten mitgebracht habt, aber für die anderen beiden finden wir vielleicht etwas. Ihr habt euren Auftrag erfüllt. Ihr habt euch mein Vertrauen zurückgewonnen. Aber das nächste Mal werdet ihr nicht so einfach davonkommen. Ich erwarte absolute Disziplin von meinen Matrosen. Und jetzt bringt die vier weg, aber sperrt die Feen und Menschen getrennt ein, ich habe kein Interesse an einem Komplott."

Die beiden nickte, offensichtlich erleichtert, und Esra wurde von Deck gezerrt. Am Fuße eine alte Treppe trennte man sie von ihrem Bruder, und der kleine Mann, der ihren Arm immer noch fest umklammert hielt, stieß die Türe zu einem kleinen modrigen Zimmer auf. Das einzige Licht, dass die kahlen Wände des Raumes milchig zeichnete, fiel vom Flur durch den niedrigen Türrahmen. Hinter Esra wurde die alte Fee in das Zimmer gestoßen, dann fiel die Türe zu und das Klicken des Schlosses, hinterließen sie und einen alten Mann der vor wenigen Minuten noch ihr Gefangener war, in undurchdringlicher Dunkelheit. Zunächst stellte sich Esra auf einen Angriff ein, den Körper angespannt, die Hände wie ein Schild vor die Brust gehoben. Feen waren für ihre Nachtsichtigkeit bekannt, das Mädchen meinte sogar bemerkt zu haben, dass sie die Dunkelheit bevorzugten, doch sie wartete zwanzig, dreißig Sekunden, bevor ihr bewusstwurde, dass es keinen Kampf geben würde. Erst als die Stille von einem lauten Husten durchbrochen wurde, ließ sie die Arme endgültig sinken. Ihre Sorge erschien ihr mit einem Mal lächerlich, sie wusste in welchem gesundheitlichen Zustand sich ihr Mitgefangener befand, sie wusste, dass sie in dieser Art von Kampf vermutlich die Oberhand gewinnen würde. Ihre Schulterblätter entspannten sich und Esra atmete tief durch. Sie ließ sich auf den kalten Boden sinken. Es war der Alte, der zuerst sprach.

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⏰ Last updated: Jan 02, 2021 ⏰

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Wings - Flüsternde Rache [Slow Updates]Where stories live. Discover now