Brennendes Versprechen

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Nael war acht Jahre alt, als er den Mann sterben sah. Er sah nicht aus wie sich der Junge einen Menschen, der starb vorstellte. Er war nicht alt und er war nicht grau. Nael dachte bis zu diesem Zeitpunkt, dass zum Tod das alt und grau sein dazugehörte, sowie das Salz zum Meer, wie die Angst zur Nacht. Er dachte man müsse alt und grau sein, um zu sterben.

An jenem Tag herrschte reges Treiben auf dem Markplatz. Nael erinnerte sich an den Geruch von Fisch und dem Rufen von Verkäufern, die versuchten die vorbeieilenden Menschen zum Stehen bleiben, zum Kaufen, zu animieren. Es war Sommer in Kiranos und die Luft war schwer und feucht, sie schien die Leute zu erdrücken. Die Dienstboten eilten, aber sie wirkten träge und müde. Selbst die Hunde und die Kinder, in deren Natur die Lebensfreude lag, schienen träge. Sie spielten nicht im heißen Staub, sondern suchten im Schatten des Tempels verzweifelt einen Platz, den die brennende Hitze der hochstehenden Sonne nicht erreichen konnte.

„Warum kommt Esra nicht mit?", fragte Nael und zupfte seine Mutter am Stoff ihrer hellen Stoffhose.

„Weil das hier für sie nicht wichtig ist, mein Schatz", antwortete Ariana Scrope und griff nach der Hand ihres Sohnes. Nael erinnerte sich genau an ihre Hände. Warm und weich und sanft. Er hatte sich gefragt, ob sich die Hände aller Mütter so anfühlen würden.

„Warum ist es für sie nicht wichtig, aber für mich schon?"

Er blickte seine Mutter verwundert an. Seine Ratlosigkeit ließ Ariana schmunzeln. Sie ging in die Knie und strich Nael über das dunkle Haar.

„Ist es, weil sie ein Mädchen ist? Sie sagt es wäre unfair, wenn es deswegen ist."

Ariana kniff ihrem Sohn in die Wange und lächelte.

„Es ist, weil du einmal das machen wirst, was Papa macht. Das ist etwas worauf du stolz sein kannst, Nael. Aber dafür musst du lernen wie wichtig es ist deinem Vater immer zu gehorchen und was passieren kann, wenn du es nicht tust. Verstehst du das, mein Engel?", fragte sie und ihre Augen fanden Naels. Seine Mutter blickte ihm nur selten in die Augen. Nael verstand nicht genau was sie ihm gesagt hatte, aber er hatte das Gefühl, dass es etwas Wichtiges sein musste, wenn sie ihn so ansah. Und er war erst acht Jahre, deshalb ließ es ihn auf einmal ganz groß fühlen, wenn seine Mutter ihm etwas sagte, das klang als wäre es von Bedeutung. Er nickte und Ariana zog ihn weiter, durch die verschwitzen Körper, durch die erdrückende Hitze, weiter, bis zur Mitte des Markplatzes.

Hier hatte sich eine Menschentraube gebildet, deren Zentrum Nael nicht ausmachen konnte. Seine Mutter hielt seine Hand etwas fester und kämpfte sich mit ihm durch die Menge. Entschuldigung und Es ist seine erste Hinrichtung und die Leute begannen zur Seite zu weichen. Einige Männer klopften Nael väterlich auf die Schulter. Wird schon kleiner Mann. Schön die Augen offenlassen.

Er probierte es. Er hielt die Augen offen als sie den Mann auf das Podest führten und er hielt sie offen als der Verurteilte angewiesen wurde den Kopf auf den schmutzigen Sockel zu legen, so nah an Nael, dass er nur einen großen Sprung hätte machen müssen, um direkt vor dem Mann zu stehen. Er sieht ein wenig aus wie Vater, dachte er. Nicht das Gesicht, aber der Bart und die Augen. Verbissen. Die Farbe der Haare war dieselbe. Nael wollte sich schon fast abwenden, doch der feste Griff seiner Mutter erinnerte ihn daran den Blick starr nach vorne gerichtet zu halten. Er hielt die Augen offen, als das Beil auf das Genick des Mannes der wie Vater aussah herabschoss und er hielt sie offen als der Kopf von seinem Körper fiel, wie ein Kind, das am Jahrmarkt von einem Esel geworfen wurde. Er hielt sie offen als einige rote Spritzer den Saum seiner Hose färbten. Erst als das Blut begann den Boden zu tränken und der Mann mit einem Mal nicht mehr wie Vater aussah, sondern nur noch ein Kopf war, ohne Mensch, schloss Nael die Augen. Er fühlte Arianas warmen Hände und er roch immer noch den Geruch von Fisch, doch er schien sich allmählich mit einem eisernen, unverwechselbaren Geschmack zu vermischen. Nael riss sich los und rannte.

Wings - Flüsternde Rache [Slow Updates]Where stories live. Discover now