Kapitel 17 - Kleiner Snack für Zwischendurch

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»Sam«, flüsterte Ben meinen Namen, stupste mich am Arm an und riss mich somit aus den zuckersüßen Wunschvorstellungen...
»Was denn?«, gab ich leicht gereizt zurück.
»Ich weiß, dass du absolut keinen Bock auf diesen Mist hast, aber ich bräuchte - wenn du so nett wärst - deine Hilfe.« Verzweifelt schaute er hinab auf sein Blatt und schob es ein wenig näher zu mir heran. Ich hielt ein lautstarkes Seufzen zurück und schaute mir das Zahlenchaos auf seinem Blatt genauer an. Tiefe Furchen bildeten sich auf meiner Stirn und meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich taufe diese Konstellation auf den Namen: »Hol mich hier raus, ich bin zu sexy für diesen einen Scheiß!«


»Das ist dieselbe Aufgabe, die wir als Beispiel aufgeschrieben haben Ben...«
»Wirklich?«
»Nein, natürlich nicht, das war eine Lüge, du Trottel...«
»Was denn jetzt?« Eine gigantische Fliegenklatsche schlug mir in Gedanken vor die Stirn.
»Das erste. Schau einfach nach... Dann hast du wenigstens eine Aufgabe richtig«, meinte ich und zwinkerte ihm zu. Bevor er noch etwas erwidern konnte, streckte ich meinen Arm in die Höhe.
»Was ist, Sam?«, fragte das sichtlich genervte Walross dort vorne auf dem Lehrerstuhl.
»Ich muss mich mal erleichtern, bin gleich wieder da.« Ein leises Kichern raunte durch den Raum. Ohne auf eine Antwort zu warten stand ich auf und verließ das Klassenzimmer. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel schaute ich kurz im Gang nach links, dann nach rechts. Niemand da. Ich machte einen Satz in die Luft und schrie meine Freude stumm heraus, dass ich endlich diesem schrecklichen Gefängnis entronnen war. Fragte sich nur, wie lange ich es herauszögern konnte.


Ich machte mich auf den Weg zum Klo, der mich durch die Gedärme unseres Schulgebäudes führte. Hier in der zweiten Etage waren alle Wände im Flur gelb gestrichen, eine Etage darunter war alles in einem hellen blau gehalten. Von den Wänden her strahlten mich die »Kunstwerke« an, welche all unsere fleißigen Schüler an dieser Schule im Kunstunterricht so hervorgezaubert hatten. Sie hingen da, wie der ans Kreuz genagelte Jesus. Nur mit etwas weniger Blut. Dafür rann mir dieses in ganzen Strömen aus den Augen heraus.


Man hätte auch einen Kackhaufen von einem Hund fotografieren, einrahmen und hier hinhängen können. Mal ehrlich, wer schaut sich denn so etwas an? Ich blieb vor einem besonders... interessanten... Werk stehen und betrachtete es genauer. Auf gelbem Papier thronte ein blauer Taubenschiss, gesprenkelt mit einigen orangen Spritzern, was so aussah, als hätte jemand einen ordentlichen Orgasmus gehabt... Und das mitten im Kunstunterricht! Und ich war nicht dabei! Und dann ist es auch noch orange! Das muss einfach nach Apfelsine schmecken!
Kopfschüttelnd lief ich weiter zum Klo. Bei diesem Anblick hat sich meine Blase nun so verdreht und verknotet, dass ich gar nicht mehr für kleine Sams musste. Musste ich ehrlich gesagt auch schon davor nicht.


Ich verstehe diese Art von Kunst nicht. Eigentlich auch keine andere Form der Kunst, die hier an der Schule im Unterricht praktiziert wird. Die Kunst, das Bett wackeln zu lassen, die beherrschte ich schon bis zur Perfektion! Aber mit Papier? Und Farbe? Pinsel, die so aussahen, als hätte man einem Dildo eine Perücke aufgesetzt?! Nein danke... Und da sollte man eine Intention, oder eine Botschaft sehen? Alles, was ich darin sah, war der Hilfeschrei eines jungen Menschen, der gegen seinen eigenen Willen in einem Raum in einem gefängnisgleichen Gemäuer festgehalten  und dazu gezwungen wird, Farbe zu schlucken, um sie anschließend wieder auf ein Blatt Papier zu kotzen, weil er ansonsten mit einer »schlechten« Zahl bedroht würde, welche bei dem Jugendlichen ein Gefühl auslöst, als würde man mit einer geladenen Waffe auf ihn zielen... Das ist Kunst! Das ist Schule! Das ist die Welt!


Endlich kam ich bei den geheiligten Toren an, welche mich zum göttlichen Brunnen der Erleichterung führen sollten. Es war noch recht früh am Tag und gerade liefen noch die ersten beiden Stunden Unterricht. Deshalb stank es auch noch nicht so bestialisch, als hätten tausend Hunde dort ihr Geschäft verrichtet. Es war mir geradezu so, als könnte ich den süßlichen Geruch eines Duftbaumes erschnuppern, den man dort eventuell aufgehängt hatte. Hoffen durfte man doch...

Tanz für mich, Sing für uns!Where stories live. Discover now