Kapitel 28 - Verwelkte Rosen

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Ich wusste nicht, wo ich hinlaufen sollte. Willkürlich bog ich an Ecken und Straßen ab, welche mich weder nach Hause noch in unsere Bar führten. Ich fühlte mich leer, als hätte man mir meine Organe aus dem Torso gerissen. In diesem Moment verfluchte ich mich selbst und wünschte mich in die Hölle, dass ich Ben so abweisend behandelt hatte. Er hatte das nicht verdient. Gerade in diesem Moment wünschte ich, er könnte an meiner Seite sein. Reue schlängelte sich einer Schlange gleich an meinem Körper aufwärts, legte sich um meinen Hals und drückte immer weiter zu. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und schrieb Ben eine Nachricht, in welcher ich mich so knapp wie möglich bei ihm entschuldigte.


Gerade als ich mein Handy wieder zurückstecken wollte, verharrte ich auf der Stelle mitten auf dem Fußweg. Ein Mann, der fast in mich hereingelaufen war, schnaubte verächtlich und drängelte sich an mir vorbei. Mein Blick fiel auf einen Chatverlauf, den ich seit zwei ganzen Tagen nicht mehr angerührt hatte. Die bloße Tatsache, dass ich von ihm noch immer keine Nachricht erhalten hatte, ließ mein Herz schmerzhaft zusammenzucken. Ich schaltete mein Handy aus und drückte es an meine Brust - die Augen kniff ich zu, um die sich anbahnenden Tränen aufzuhalten. Plötzlich wusste ich, in welche Richtung ich nun gehen musste.


Wie von selbst setzten sich meine Beine in Bewegung und trugen mich durch das Getümmel der Stadt geradewegs zu meinem Ziel. Zunächst ging ich wie jeder andere vor mich hin, doch bald beschleunigten sich meine Schritte, ich lief schneller bis ich gar rannte. Mein Rucksack wurde ordentlich durchgeschüttelt und ratterte auf meinem Rücken - doch das ließ mich nicht stoppen. Die Häuser lichteten sich, die abwechselnd tristen und bunten Fassaden wichen bald schon den Bäumen, Büschen und grünen Wiesen.


Ich flitzte über den Schotterweg, sodass es unter meinen Schuhsohlen angeregt knirschte. Wenige Minuten später fand ich mich zwischen zwei hohen Hecken wieder und lief in ihrem Schlund entlang, bis ich vor einem kleinen Zaun zum Stehen kam. Ich sackte in die Hocke und holte mehrmals tief Luft - einerseits, weil der Sprint sämtlichen Sauerstoff aus meinen Lungen gepumpt hat, andererseits, um mich zu beruhigen. Als ich mich aufrichtete, wummerte mein Herz noch immer bis hoch zu meinen Ohren. Ich öffnete das niedrige Zauntor ohne auch nur hinzuschauen - die Abläufe sind mir mittlerweile ins Fleisch übergegangen. Ich trat auf das Grundstück und ließ hinter mir das Tor wieder ins Schloss fallen.


Erst jetzt fiel mir ein, dass er um diese Uhrzeit meist noch arbeitete. Die Erkenntnis traf mich wie eine Ohrfeige und eine glühende Kälte schlich sich in meine Wangen. Ich seufzte einen Fluch und trat auf die Wohnungstür zu. Ich hatte nicht das Interesse den ganzen Weg wieder zurückzulaufen und so ließ ich mich einfach vor der Tür auf den kalten Stein nieder. Die Sonnenstrahlen wurden durch das kleine Vordach abgehalten, sodass der Wind mir kühl um die Ohren wehte. Ich zog die Beine näher an meinen Körper und legte meinen Kopf samt Arme darauf.


Eine Zeit lang saß ich einfach nur da - und atmete. Irgendwo in der Ferne zwitscherten Vögel, Wasser plätscherte in einem der Nebengärten. Das Blättergerüst der Bäume raschelte vergnügt, während eine Hummel laut brummend über den Rasen flog und nach frischen Blumen Ausschau hielt. Ich ordnete meine wirren Gedankengänge und versuchte mir krampfhaft die Worte zurechtzulegen. Ich hatte nur eine Chance - würde ich diese nicht ergreifen, würde der letzte Faden, an welchem mein Herz über der Schlucht baumelte, ebenfalls reißen.


Ich schlug mit der flachen Hand auf den Steinboden, was ein Klatschen hinaus in die Welt sandte. Mein Herz wollte sich einfach nicht beruhigen, sondern pumpte stattdessen ununterbrochen ganze Ströme an Blut durch meinen Körper. Meine Adern hatten sich längst zu Stromschnellen verwandeln. So konnte ich mich nicht konzentrieren, mir nicht überlegen, was ich sagen sollte. Unüberlegt sprang ich auf, wodurch meine Welt kurzzeitig ins Wanken geriet. Als ich mein Gleichgewicht wiedererlangt hatte, klopfte ich schließlich an die Tür. Keine Sekunde später wich ich einen Schritt zurück. Ich hatte so laut dagegen gehämmert, dass selbst ein tauber Mensch aus seinem Tiefschlaf gerissen worden wäre.

Tanz für mich, Sing für uns!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt