46.

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"Kalistaaaaa!" jemand klopft erbarmungslos an meine Tür. Natürlich nicht irgendjemand. Shane.
Ich brumme irgendetwas, was sich mit viel Fantasie wie ein "Ich komme gleich" anhören könnte und ziehe mir Jogginghose und eine Top an, bevor ich die Tür öffne.
"Morgen." Gähne ich, während Shane mit frischen Brötchen in der Hand meine Küche stürmt. 
"Warum bist du bei mir und nicht bei Kaiden?"
"Der hat nicht aufgemacht, also gehe ich davon aus, dass er schläft. Und während ich Frühstück mache, kannst du ihn wecken gehen, bevor wir in euer altes Zuhause fahren und deine Autos holen." Stimmt, da war was. Gestern Abend hatte ich Shane gefragt, ob er mir helfen kann, meine Wagen herzuholen. Der Mitsubishi ist längst in einer befreundeten Werkstatt, die alle Teile ausbauen, die man noch verwenden kann, bevor das Wrack schlussendlich zum Schrott geht. 
"Du hast wohl nicht so gut geschlafen, was?" lacht Shane, doch mein missgelaunter Blick bringt ihn schnell zum schweigen. Seit der Sache mit Liam habe ich keine Nacht mehr durchschlafen können. Obwohl ich die ganze Zeit versuche mir einzureden, dass es mir alles nichts mehr ausmachen würde.

Seufzend nehme ich Kaidens Schlüssel und tapse rüber in die andere Wohnung. Auch nach mehrmaligen Klopfen und Klingeln öffnet er nicht, sodass ich die Tür aufschließe und eintrete. 
Mein Bruder liegt schnarchend auf seiner Couch, umgeben von grob ausgepackten Kisten. Auf dem Schreibtisch steht bereits sein gesamtes Musikequipment und ich kann mir durchaus lebhaft vorstellen, wie er die Nacht damit zugebracht hat, das schon aufzubauen.
Lächelnd versuche ich ihn zu wecken und tatsächlich sitzt er eine halbe Stunde später mit Shane und mir am Frühstückstisch. Ihm ist durchaus anzusehen, dass auch seine Nacht nicht besonders erholsam war. Auf meine Frage, wann er denn beschlossen hätte, sich zumindest auf die Couch zu legen, weiß er keine genaue Antwort.
"Keine Ahnung, aber ich glaube es wurde schon wieder hell. Und ganz im Ernst, muss ich denn mitkommen? Ich kann doch Shane später dann rumfahren. Also ihr beide fahrt hin, holt die Autos und Shane wollte mir eh nochmal helfen, wegen der Party..."
Ich nicke nachdenklich. Eigentlich sollte das kein Problem sein.
"Wie soll das gehen, zwei Leute und drei Autos?" fragt Shane sichtlich verwirrt.
"Es sind nur noch zwei Wagen." antworte ich kurz angebunden und starre in meine Kaffeetasse.
Seinen verwunderten Blick spüre ich förmlich.
"Du hast es ihm nicht erzählt?" Kaiden scheint entsetzt zu sein, seiner Stimme nach zu urteilen.
"Was erzählt?"
Ich räuspere mich kurz und atme tief durch, um mich zu sammeln. "Der Mitsubishi ist weg. Ich hatte einen ... Unfall."
"Was ist passiert?"
"Nichts weiter. Bin gegen einen Baum gefahren."
"Du? Du fährst doch nicht einfach so gegen einen Baum, verarsch mich doch nicht Kalista! Kaiden schafft das vielleicht, aber du steuerst deinen Wagen auch noch mit geschlossenen Augen. Und erzähl mir nix von wegen Kontrolle verloren, denn ich glaube nicht, dass sowas bei deinen Fahrfähigkeiten passieren kann."
Ich hebe den Blick, erstaunt über seinen Ausbruch und vielleicht auch etwas geschmeichelt von seiner Aussage.
Meinen Bruder, der mit uns am Tisch sitzt, vergesse ich dabei total. Bis er sich zu Wort meldet.
"Nicht einfach so, das stimmt. Reifen zerstochen und Bremsleitungen durchgetrennt. Da hat es jemand ernst gemeint."
"Habt ihr die Polizei verständigt?"
"Klar, damit sie fragen wo ich zuletzt mit dem Wagen war, ich erklären darf, dass ich von einem illegalen Straßenrennen komme und nicht nur ich, sondern auch ALLE anderen Fahrer und Zuschauer ein Verfahren an den Hals kriegen. Natürlich bin ich als erstes zur Polizei gerannt." fauche ich gereizt.
"Sie war nicht einmal beim Arzt." raunt Kaiden Shane zu, dessen Augen sich verärgert verengen.
"Mir geht's gut, keine Sorge. Ich habe so ziemlich nichts abbekommen. Ein paar Freunde haben sich des Wracks angenommen. Die Teile, die Okay sind werden verkauft, der Rest dürfte bereits auf dem Schrott sein."
Shane schnauft nur zur Antwort und schüttelt den Kopf.
Wenig später sitze ich schweigend neben ihm in seinem BMW und zermartere mir das Hirn, was ich sagen könnte, bis Shane meine Gedanken unterbricht.
"Danke, dass du nichts gesagt hast, Kalista. Also zur Polizei. Wir wären wirklich alle ziemlich am Arsch gewesen sonst."
"Sag ich doch." grinse ich ihn an.
Seine Antwort besteht daraus, dass er mir neckisch die Zunge rausstreckt, bevor er den Wagen auf dem Grundstück meiner Eltern abstellt.
Lachend betreten wir die Garage, doch sein Lachen erstirbt, als ich ihm den Schlüssel für den Mazda zuwerfe.
Ungläubig schaut er zwischen Schlüssel, Auto und mir hin und her. Ich nicke ihm nur aufmunternd zu und steige in den Audi.
Ehrfürchtig setzt Shane sich in den anderen Wagen. Es erinnert mich daran, wie ich das erste Mal Ethans Wagen steuern durfte. Niemand sonst durfte den Mazda sonst fahren. Also wird es auch für Shane das erste Mal sein, dass er am Steuer dieses kleinen Monsters sitzt.
Mit dem Unterschied, dass er danach keinen Sex auf der Motorhaube haben wird.
Bei der Erinnerung muss ich Grinsen und mir wird durchaus etwas warm. Schnell starte ich den Motor und fahre los, bevor meine Gedanken mit mir durchgehen.
Wenig später stehen die Autos in der Tiefgarage und ich beschäftige mich in meiner Wohnung damit, Kisten auszupacken und alles einzuräumen, während die Jungs gegenüber wohl weiter an ihrer Musik arbeiten. Ich vermute, dass auch Shane an dem Abend auflegen wird. Das wäre dann das erste Mal, dass ich etwas höre, was er gemacht hat, nicht nur Remixe von Kaidens Songs.

Mittlerweile ist es spät am Abend und ich war bereits einkaufen, habe für die Jungs und mich gekocht und räkele mich jetzt in meiner Badewanne. Wie zu erwarten war, sind unsere Eltern heute nicht vorbeigekommen, irgendwas wäre mit der Firma. Und ganz ehrlich? Es interessiert mich nicht. Es ist mir schlichtweg egal.
Morgen werde ich mich mit den Mädels treffen, letzte Kleinigkeiten für die Wohnung kaufen und insgesamt einfach einen Mädelstag machen. Am Abend wollen wir dann noch ins Kino.
Zufrieden kuschele ich mich in mein großes Bett und schließe die Augen in der Hoffnung, endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen zu können.




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:)

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt