12.

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Ungläubig sieht er vom Schlüssel in seiner Hand zu mir und wieder zurück.
"Dein Ernst?!"
Ich seufze innerlich. Doch dann nicke ich. "Danke für deine Hilfe. Geht viel schneller so. Außerdem schuldest du mir noch meine Fahrstunde."
Ich höre, wie er leise "Wow." flüstert. Anscheinend ist es ziemlich offensichtlich, dass ausser mir und meinem Bruder sonst niemand auf den Fahrersitz meines Wagens kommt.
"Aber fahr vernünftig, das hier ist kein Wagen für deine wilden Rennen." Offiziell zumindest. Praktisch kann dieses Auto locker mithalten auf der Straße. Und was noch viel wichtiger ist, ich will nicht zu viel über Shanes Fahrstil wissen vor Montag. Er kennt meinen wahrscheinlich auch kaum und ich will nicht irgendwelche Vorteile ihm gegenüber haben.
Sanft lässt er die Kupplung kommen und gibt etwas Gas, als der Motor direkt aufröhrt.
"Wahnsinn, wie viel PS stecken da unter der Haube?!?" entfährt es ihm begeistert.
"Ein paar. Ein paar mehr... Original hätte der A1 ja 200. Der hier hat knappe 330."
"Holy Shit! Das ist schon bisschen geil... Sorry." Er grinst mich schief an, aber ich verstehe seine Begeisterung vollkommen.

Entspannt lehne ich mich im Sitz zurück und schaue zu, wie die Landschaft an mir vorbeizieht.
"Wo bringst du uns überhaupt hin?" frage ich irgendwann. Die Ruhe zwischen uns ist extrem entspannend. Keineswegs unangenehm. Nicht mal das Radio ist an, Shane wollte den Motorsound nicht übertönen oder so.
"Ich habe Hunger. Also gehen wir essen."
Zweifeln schaue ich ihn an, dann schaue ich an mir runter. Weite Stoffshorts, ein einfaches, dunkelblaues Top. Er selbst trägt auch nur die typische Basketballshorts und ein Tshirt. Ziemlich sicher haben wir auch noch irgendwo Dreckflecken an den Armen, vom schrauben vorhin.
Er zieht einen Mundwinkel nach oben und wirft mir einen Seitenblick zu, ohne den Kopf zu drehen. "Ich habe da schon was im Kopf, da können wir auch in dem Aufzug hin. Keine Sorge. Und nein, wir gehen nicht nur zu Mäkkes."
"Aber Gedanken lesen kannst du nicht, oder?" frage ich misstrauisch nach.
"Naja, wer weiß?"
Ich seufze theatralisch. "Also, woran denke ich gerade?" frage ich und drehe mich zu ihm, wobei ich mich bemühe, eine möglichst neutrale Miene aufzusetzen. 
Er lächelt sanft und dreht sich ebenfalls zu mir. Die Spannung zwischen uns steigt spürbar, da wir uns plötzlich wieder so nah sind. 
Kurz blitzt der Gedanke in meinem Kopf auf, ihn zu küssen und direkt verschnellert sich mein Puls. Unbewusst öffne ich meinen Mund ganz leicht und lecke mir leicht über die Unterlippe.
Shane schluckt hörbar und sein Blick fällt auf meine Lippen. 
Er beugt sich zu mir, doch seine Lippen streifen nur leicht meine Wange, als er in mein Ohr flüstert. "Hmmm, willst du wirklich, dass ich das ausspreche? Dann kann ich dir aber nicht mehr garantieren, dass wir nur essen gehen, Kleine."
"Du weichst mir aus." grinse ich in sein Ohr. 
Er lehnt sich wieder zurück und legt eine Hand an den Türgriff. "Sherlock Holmes bei der Arbeit? Vielleicht solltest du öfter mal so aufmerksam sein, dann würden dir einige Dinge nicht entgehen."
Verwirrt schaue ich zu, wie er das Auto verlässt. Auch, als er meine Tür öffnet und mir gentlemanlike die Hand reicht, starre ich noch durch das Fenster. Was war denn das bitte?!
"Kleine, kommst du? Ich verhungere sonst noch. Und du doch auch."
Als ich mich nicht rühre, nimmt er plötzlich sanft meine Hand in seine. "Du nimmst das doch bitte nicht ernst?! Es war ein dummer Scherz, verdammt!"
Ich nicke wie ferngesteuert und lasse mich von Shane aus dem Auto ziehen. Erst jetzt bemerke ich, wo wir sind. Mitten im Nirgendwo, auf einem beinahe leeren Parkplatz. Bevor ich etwas sagen kann, zieht mich mein Fahrer hinter sich her, Richtung Strand. Moment mal, Richtung Strand?!
"Shane, sind wir etwa am Meer?!? frage ich aufgeregt. 
"Vielleicht bist du doch nur Watson." murmelt er stirnrunzelnd. Im Gegenzug strecke ich ihm die Zunge raus und beeile mich etwas, um auf seiner Höhe zu gehen.
Ziemlich unerwartet biegt er links ab, hinter die Dünen. Dort liegt total versteckt ein kleines Ferienhäuschen, welches komplett in den Dünen selbst verschwindet. Man sieht eigentlich nur die Terrasse und die Fensterfront. Shane geht zielstrebig darauf zu und zückt einen Schlüssel.
"Was ist das hier?" frage ich ihn, als er mit einer Decke unter dem Arm wieder zu mir zurückkehrt.
"Das vergessene Ferienhaus meiner Eltern. Also nicht vergessen, aber irgendwie nutze nur noch ich es. Wenn ich einfach mal raus will. Früher waren meine Eltern oft mit mir hier, aber mittlerweile... Vielleicht finden sie es albern, Familienurlaub wie früher zu machen." zuckt er mit den Schultern. "Also ist das mein kleiner Rückzugsort. Und wenn du das jemandem verrätst, dann wird das sehr unangenehm für dich, okay?" brummt er und zieht mich dann an der Hand sanft hinterher, Richtung Strand. Stirnrunzelnd folge ich ihm. "Hast du mir gerade gedroht? Und jetzt tust du so, als wäre nichts gewesen?" frage ich ihn gereizt, als wir uns auf die Decke fallen lassen. Er ignoriert mich und tippt irgendwas an seinem Handy. Sein Ernst?! Enttäuscht von seinem Stimmungswandel ziehe ich meine Beine an die Brust, schlinge meine Arme um die Knie und lege mein Kinn darauf ab. In Gedanken versunken starre ich auf das ruhige Wasser. 
Okay, fassen wir zusammen: Seit einer knappen Woche gehe ich jetzt hier zur Schule, habe ein paar nette Mädels kennengelernt. Kaiden hat ein paar Jungs gefunden, die fast jeden Tag bei uns rumhängen und mit einem von ihnen sitze ich am Arsch der Welt am Strand, lasse mich von ihm bedrohen und habe keine Ahnung, was er eigentlich will. Oh und natürlich der schwierigste Punkt: Wir werden morgen Abend ein Rennen gegeneinander fahren, ohne dass er weiß, dass ich es bin. Ehrlich gesagt zweifle ich überhaupt nicht an meinem Sieg. Ich habe von dem Besten gelernt. Einzig die Tatsache, dass es ausgerechnet Shane ist, gegen den ich fahre, macht mir zu schaffen. Ich mag ihn wirklich gern, und das nach der kurzen Zeit.

Neben mir lässt sich Shane wieder auf die Decke fallen. Wann ist er bitte aufgestanden? War ich so in Gedanken? Shane rückt zu mir ran und erst jetzt bemerke ich die zwei Pizzakartons und die Bierflaschen in seiner Hand. Woher...? Meine Verwirrung scheint mir ins Gesicht geschrieben, denn Shane lacht und hält mir eine Pizza und eine geöffnete Flasche hin. Ich lege meinen Kopf schief und sehe ihn an, als ich die Sachen annehme.
"Okay, wie komme ich zu der Ehre?" frage ich, als ich meinen Karton öffne und mir eine perfekte Salamipizza entgegenlacht.
Shane zuckt mit den Schultern. "Naja, irgendwie habe ich dich ja nun entführt und ein Date von gestern bin ich dir auch noch schuldig gewesen. Und irgendwie wollte ich mich für Freitag entschuldigen. Ich will dich nicht mit meinem Müll vollheulen und so."
Sanft stoße ich ihm meinen Ellbogen in die Rippen. "Dafür sind Freunde da. Keine Widerrede. Und keine Sorge, ich werde es auch niemandem erzählen. Ach und versprochen, ich komme Montag wenigstens kurz vorbei um dir Glück zu wünschen. Nate hat mich neulich gebeten, ob ich bei ihm vorbeikommen kann, das hab ich total vergessen gehabt. Okay?"
Er wirkt enttäuscht. "Na gut. Wenigstens etwas. Und jetzt lass es dir schmecken, bevor alles kalt wird." Shane deutet auf die Pizza und beginnt dann selbst zu essen.
Woher er plötzlich diese wunderbare Pizza gezaubert hat, ist mir zwar nach wie vor ein Rätsel, aber ich möchte mich nicht beschweren.

Vollgefuttert lasse ich mich nach hinten auf die Decke fallen und beobachte den Himmel. Dem dumpfen Geräusch nach schlussfolgere ich, dass auch Shane sich hingelegt hat. Ich drehe meinen Kopf ein kleines Stück in seine Richtung und begegne seinem aufmerksamen Blick.
Ungewohnt schüchtern lächle ich ihn an und wende mich dann der mittlerweile untergehenden Sonne zu.
Ich höre, wie Shane neben mir leise kichert und schaue verwundert zu ihm rüber. Unbeholfen zuckt er mit den Schultern, als er sich aufrichtet. "Da haben wir schon wieder das mit der kitschigen Situation."
Nachdenklich nicke ich. "Hmhm. Stört es dich?" Aus dem Augenwinkel nehme ich seinen überraschten Gesichtsausdruck wahr, und wie er dann selbst nachdenklich wird.
"Nein. Nein, ganz im Gegenteil. Irgendwie gefällt es mir." Zufrieden legt er seinen Arm um meine Schultern und zieht mich an sich. Ich bin von seiner Nähe wie berauscht und lehne glücklich seufzend meinen Kopf an seine Schulter. Seine Hand streichelt über die nackte Haut an meinem Arm und verursacht mir immer und immer wieder kleine Gänsehaut-Schauer.

Und so sitzen wir da, schweigen entspannt vor uns hin und ich, ich genieße einfach seine Nähe, ohne es mir ernsthaft eingestehen zu wollen. Was in seinem Kopf wohl vorgeht?



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Meh. Ich bin nicht so richtig zufrieden, in meinem Kopf ist die Szene voll schön und eigentlich viel mehr als ein doofer Lückenfüller. Deswegen habe ich auch so lange gebraucht - sorry falls jmd drauf gewartet hat.

Btw, das Bild- so ungefähr stelle ich mir Shane vor. <3

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt