10.

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"Egal, ich bin nicht hier, um mich auszuheulen, weil ich nicht weiß, was mich Montag erwartet. Und wenn du wirklich kommst, würde mich das ehrlich sehr freuen. Dann ist es vielleicht auch ein bisschen egal, wenn ich verliere."
"Du denkst, ich könnte dich also trösten?" grinse ich ihn an.
"Vielleicht?" er lächelt mich zweideutig an und kommt näher. "Weißt du eigentlich, wie unglaublich schön du bist?" raunt er plötzlich.
Mit großen Augen starre ich ihn sprachlos an und beiße mir auf die Unterlippe.
Er nähert sich mir weiter und meine Gedanken rasen in alle möglichen Richtungen.
Kurz bevor unsere Lippen aufeinander treffen muss ich traurig lächeln. "Bei wie vielen Mädchen hat das eigentlich schon funktioniert?" Kaum habe ich die Frage ausgesprochen könnte ich mich ohrfeigen. Wie vor den Kopf gestoßen zuckt er zurück und runzelt kurz die Stirn. Dann glänzen seine Augen und er beginnt zu grinsen. "Zumindest hat es bislang keine bemerkt. Aber vielleicht beruhigt es dich, dass es längst nicht so viele waren wie du denkst."
"Du tust aber nicht viel dafür, dass ich anders denke."
"Verdammt, warum musst du so unglaublich kompliziert sein..." knurrt er gereizt und springt auf. 
Sprachlos schaue ich zu, wie er Richtung Haus verschwindet. Langsam rappele ich mich auf und packe die Decke zusammen. Dann begebe auch ich mich zum Haus. Von Shane sehe ich keine Spur mehr. Frustriert seufze ich und ärgere mich über mich selbst, als ich mich abschminke und zu Bett gehe.

Den Samstag verbringe ich zu 80 Prozent in meinem Zimmer- plane ich zumindest. Shane wird nach dem Desaster von gestern wohl kaum heute mit mir ausgehen wollen.
 Ich verlasse den Raum nur kurz, um mir etwas zu essen zu holen und in der Küche einen Brief unserer Eltern zu finden, in dem sie uns erklären, dass sie spontan auf eine Art Hochzeitsreise- Gedenkreise gehen. Für 2 Wochen. Danke Mum und Dad, dass ihr so tolle Eltern seid, die stets für ihre Erzeugnisse da sind. Ich habe nicht darum gebeten, zu existieren. Das habt ihr so beschlossen. Aber meine hitzigen Gedanken helfen mir da auch nicht weiter und richten sich vielleicht auch eher gegen mich selbst, weil ich insgesamt einfach sauer bin.

"Heee, Schwesterherz?" Kaiden steckt vorsichtig den Kopf in mein Zimmer.
"Was gibt's, Lieblingsbruder?" frage ich genervt. Irgendwie war ich bis eben froh, allein zu sein.
Schmollend schiebt er sich in den Raum. "Ich finde meine Autoschlüssel nicht. Kann ich deinen Audi nehmen? Ich will paar Sachen besorgen und vielleicht noch die Jungs treffen, mal schauen."
"Klar. Aber pass bitte auf mein Baby auf. Mal schauen, vielleicht fahre ich nachher noch zu Nate. Bisschen Dampf ablassen. Also wunder dich nicht, wenn ich dann nicht da bin."
"Aber ich dachte du hast heute Abend was mit Shane vor?!" entsetzt schaut er mich an.
"Das... hab ich wohl gestern irgendwie versaut. Frag mich jetzt bitte nicht. Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist." Gereizt fahre ich mir mit den Fingern durch meine Haare.
Klugerweise sagt Shane tatsächlich nichts, sondern schnappt sich nur den Autoschlüssel und verschwindet. Ich hingegen warte noch auf Antwort von Nate, ob er heute spontan Zeit hätte, für eine Trainingseinheit.
Als er antwortet ist es schon später Nachmittag, doch ohne zu zögern mache ich mich auf den Weg. Ein Glück habe ich mehr als ein Auto und so steige ich in meinen geerbten Mazda.

Einige Stunden später kehre ich vollkommen erschöpft zurück und spüre bereits den Muskelkater. Ausnahmsweise haben wir heute tatsächlich nur trainiert, für alles andere war ich einfach nicht in Stimmung. Und dafür liebe ich Nate ein bisschen. Er nimmt mir nichts übel, er zwingt mich zu nichts und akzeptiert mich und meine Marotten einfach.

Ich betrete das Haus und sehe schon im Eingangsbereich mehrere Paar Schuhe stehen. Offensichtlich ist mein Bruder wieder zuhause. Und er ist nicht allein, die Jungs sind wieder mit da. Kurzentschlossen begebe ich mich erst unter die Dusche, bevor ich zum Spielzimmer gehe. Nachdem ich meine Aggression beim Kickboxen abbauen konnte, habe ich nichts mehr gegen einen entspannten Abend mit Gesellschaft.
Ich öffne die Tür und erstarre. Dass Shane auch da sein wird, hätte ich mir ja denken können, ich hohle Nuss! Doch irgendwas stimmt nicht, alle schauen mich an, als hätte ich gerade eine Waffe auf sie gerichtet.
"Heeeeeey Schwesterchen! Was machst du denn schon hier?" Kaiden kommt mir ausgebreiteten Armen auf mich zu und meine relativ gute Laune schlägt sofort um. Der will mit irgendwas verheimlichen. Abwehrend hebe ich die Arme und lache ihn an. "Was hast du angestellt, hm? "
Ich kann zusehen, wie ihm das Grinsen aus dem Gesicht rutscht. "Jungs, ihr bekommt ihn sofort wieder." Damit greife ich seine Hand und ziehe ihn auf den Flur. "Also? Sag es einfach gleich, dann hast du es hinter dir."
Er räuspert sich kurz und schaut mich unglücklich an. "Naja... Wir waren ein bisschen unterwegs, hier und da. Und dann ist uns aufgefallen, dass es schon echt spät ist und Shane dich ja eigentlich ausführen wollte und dann habe wir uns beeilt nach Hause zu kommen.." Seine Stimme überschlägt sich beinahe und ich ahne schon was er mir gleich gestehen wird. "Jedenfalls...Keine Ahnung was passiert ist, aber der Motor klappert und die Kontrollleuchte blinkt..." Betreten sieht er mir in die Augen. "Die Jungs wollten gleich schauen und so, aber ich meinte, dass du das sicherlich nicht wollen würdest. Außerdem hatte ich bisschen Angst, der Wagen ist ja nicht mehr serienmäßig, da machen die bestimmt eher was kaputt als alles andere... "
Wie lange sitzt man eigentlich für Mord? Ich atme tief durch und schlucke meinen Ärger runter. Hilft ja alles nix. "Okaaaaay. Puh." ATMEN, nicht ausrasten! "Ich schaue mir das dann wohl morgen an. Ich... ähm, ja ich gehe dann wohl einfach direkt ins Bett. Schlaf gut, Jojo."
Er nimmt mich noch einmal kurz in den Arm und kehrt zu den Jungs zurück. Als er in der Tür ist, rufe ich ihn kurz zurück. "Jojo! Und bitte, mach dir keinen Kopf. Ich kriege das schon hin." Erleichtert lächelt er mich an. Ich drehe ich um verschwinde in Richtung meines Zimmers. Bin ich wirklich so ein Biest, dass es meinem Bruder so schwer fällt, mir sowas zu sagen?  Unbewusst bin ich zu unserem Fitnessraum gelaufen, und fange an, auf den Boxsack einzuprügeln. Offensichtlich habe ich nicht schon alle Energie und Wut verballert. 
Mein Kopf scheint zu explodieren, so viele Gedanken schwirren darin umher.
Erinnerungen an Ethan. An all die verrückten Sachen die wir gemacht haben. Wie er mir Autofahren beigebracht hat. Wie wir uns immer näher gekommen sind. Wie er zu mir kommen wollte, um ganz altbacken meinen Dad um seinen Segen zu bitten. Verdammt, der Mann wollte mich heiraten. Nicht einmal Kaiden hatte ich davon erzählt. Weinend breche ich vor dem Boxsack zusammen und bemerke anfangs nicht, dass sich jemand neben mich setzt und seinen Arm um mich legt. Doch das heiße Kribbeln, dass meinen Körper bei jeder seiner Berührungen durchfährt, verrät ihn. Mein Unverständnis mir selbst gegenüber, was hier mit mir passiert, lässt mich noch stärker aufschluchzen. Dabei weiß ich es doch ganz genau und verdränge es einach nur. Ich mag Shane wirklich gern. Und ich glaube, ich bin dabei, ihn immer mehr zu mögen, obwohl ich ihn kaum kenne. Seine pure Anwesenheit beruhigt mich und mach mich irgendwie .. zufrieden. Wenn Shane in meiner Nähe ist, denke ich nicht ständig an Ethan. 

Langsam verebben meine Tränen und ich stelle fest, dass ich sein Shirt ziemlich durchnässt habe. "Sorry..."murmle ich leise ohne ihn anzuschauen.
Shane brummt nur belustigt. "Wenn es dir dadurch wenigstens ein bisschen besser geht, dann darfst du noch viel mehr als mein Shirt vollheulen. Okay?"


HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt