43.

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So richtig wach sind wir beide am nächsten Morgen noch nicht, als das Klingeln meines Telefons uns aus dem Schlaf schrecken lässt.
"Kalista, wo bleibst du? Mom und Dad wollen doch heute Mittag mit uns essen gehen. Du hast nur noch knappe zwei Stunden."
"Shit! Das habe ich total vergessen! Ich bin noch bei Liam..."
"Hmpf. Zieh dich an, ich fahre los und hol dich ab."
"Nicht nötig, ich bringe sie." grummelt Liam in den Hörer und legt auf. Grinsend beugt er sich über mich. "Ich mag manchmal einfach keine Überraschungsgäste." raunt er und legt seine Lippen erst sanft auf mein Schlüsselbein, bevor er intensiv an der Haut saugt.
"Machst du mir gerade einen Knutschfleck?" keuche ich auf.
"Der eine mehr oder weniger machts jetzt auch nicht mehr..." flüstert er und bevor ich etwas erwidern kann, verschließt er meinen Mund mit seinem.

Der Moment, als wir uns etwa eine Stunde später der Auffahrt meines Hauses nähern ist zum erstem Mal merkwürdig.
"Danke fürs Bringen."
"Kein Problem." lächelt er kurz angebunden.
Nachdenklich schaue ich wieder aus dem Fenster. "Du hast mir gestern das erste Mal eine rote Ranunkel geschenkt." fällt mir plötzlich auf, als ich die etwas lädierte Blume in meinen Fingern drehe.
Seine Augen blitzen für einen Moment auf, doch er starrt weiter auf die Straße. Ich kann das Haus bereits sehen. "Kann sein. Ist es wichtig?"
"Ich weiß nicht, sag du es mir?"
Ich sehe, wie er sich auf die Lippe beißt und ein beklemmendes Gefühl macht sich in meiner Brust breit.
Dann hält er das Auto an und wir steigen aus. Aus dem Kofferraum holt er meinen Rucksack und drückt ihn mir in die Hand. Ich habe den Eindruck, er hat es eilig.
"Der Tag - und der Abend- mit dir waren wunderschön. Danke, dass du mitgekommen bist... Und so." Meine Stimme ist seltsam belegt.
"Ich danke dir, Kalista. Viel Spaß mit deinen Eltern. Schreib mir, wenn du wieder zuhause bist, okay?" Er küsst mich so flüchtig, dass es auch ein Windhauch hätte sein können. Bevor ich noch etwas sagen kann, sitzt er in seinem Auto und startet den Motor. Verstimmt und müde schleppe ich mich ins Haus um mich schnell umzuziehen und etwas zu schminken. Denn dass diese Nacht nicht nur aus schlafen bestand, sieht man nicht nur an meinen Augenringen. Der eine mehr oder weniger... Pff, er muss das ja auch nicht alles abdecken, denke ich traurig lächelnd. Ich weiß, dass wir jetzt dringend miteinander reden müssen, wie es weitergeht und irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass mir dieser Gesprächsausgang gefallen wird.
Erstmal jedoch muss ich ein Familienessen hinter mich bringen.

Mein Gedanken machen mich verrückt und ich kann mich einfach nicht auf das konzentrieren, was meine Eltern erzählen. Kaiden wird mich später nochmal auf den aktuellen Stand bringen, was sie so zu sagen hatten.
Immer wieder spielt sich Liams Abschied vor meinem inneren Auge ab, durchmischt mit merkwürdigen Kommentaren und Blicken von Stacy gestern...

"Sage mal, hast du überhaupt irgendwie zugehört, was Mom und Dad erzählt haben?"
"Ganz ehrlich? Nein."
"Liam scheint dir ordentlich den Kopf verdreht zu haben." lacht er leise.
"Ich ihm aber wahrscheinlich nicht."
"Quatsch. So wie er dich schon die ganze Zeit angeschaut hat. Ihm sind gestern fast die Augen rausgefallen, als er dich gesehen hat."
"Ja aber, sicherlich nicht, weil er sich unsterblich in mich verliebt hat, Kaiden."
Er schweigt einen Moment betreten und seufzt dann. "Mom und Dad haben die Firma verkauft. Sie wollen dann erstmal auf Weltreise gehen."
"Schön für sie. Ändert das für uns irgendwas? Ist doch eigentlich alles so wie immer"
"Sie haben uns jedem eine Penthouse-Wohnung gekauft, weil sie das Haus verkauft haben. Wir sind dann sozusagen Nachbarn."
"Was zur Hölle? Und sowas besprechen sie nicht vorher mal mit uns?!"
"So sind sie halt." winkt er ab. Anscheinend hat er sich schon damit abgefunden. Klar, was sollen wir auch großartig machen? Das einzige wäre, zu sagen, dass ich die Wohnung nicht will, doch das, was ich bisher verdiene reicht nicht für eine vernünftige Wohnung und den Lebensstil den ich führe.
"Keine Sorge, es gibt auch eine große Tiefgarage. Mit Werkstattplatz für dich. Zumindest ein bisschen kenne sie uns ja doch."
"Wann ist es so weit?"
"Wir sollen uns die Wohnungen heute noch anschauen und ihnen sagen, was noch gemacht werden soll. Das machen dann Handwerker im Laufe der Woche und am Wochenende kommt dann ein Transportunternehmen für unseren Kram."
"Das haben die schon gut durchgeplant." bemerke ich trocken und zücke abwesend mein Handy, um Liam zu schreiben.

Hast du heute Abend Zeit? <3 -Kalista

"Na komm, aufschieben hilft auch nicht. Wir kommen schließlich nicht drumherum." sagt Kaiden und hält mir seine Hand hin, um mich von meinem Bett hochzuziehen. "Sie wollen sogar mitkommen." ergänzt er lächelnd.
Ich zucke nur mit den Schultern und begebe mich aus der Haustür. Dad hat bereits seinen stinkenden SUV vorgefahren und wartet auf meinen Bruder und mich, dass wir einsteigen. Mom sitzt lächelnd auf dem Beifahrersitz und studiert Reisebroschüren.
Während der Fahrt checke ich die Antwort von Liam.

Sicher, für dich doch immer. Um 8 in der Pizzeria? -Liam

Traurig lächelnd bestätige ich seinen Vorschlag und versuche, mich auf meine neue Heimat zu konzentrieren.

Zugegeben, die Wohnungen sind wirklich schön und bis auf ein paar Farbwünsche für die Wände habe ich nichts zu bemängeln. Trotzdem kann ich mich gerade einfach nicht richtig freuen. 
Auch, als ich mich später auf den Weg zur Pizzeria mache, kann ich mir kaum ein Lächeln abringen.
Nachdenklich lehne ich an meinem Wagen, den ich auf dem Parkplatz abgestellt habe. Von Liam ist noch nichts zu sehen, was schon etwas untypisch für ihn ist. Bislang war er immer super pünktlich.
Als mein Handy klingelt, denke ich schon, es ist Liam, um mir abzusagen. Doch es ist Adrian.
"Kalista, ich habe dir ein Bild geschickt, gerade eben. Kennst du die Mädels darauf?"
"Ehh, Moment." Ich öffne die Nachricht mit dem Bild und erstarre. 
Auf dem Foto sind Anna und Svea im Hintergrund zu sehen. Und ein Haufen anderer Leute weiter vorn, aber die beiden stehen direkt neben meinem Wagen und schauen in Richtung des Bodens. Auf was genau kann man leider nicht erkennen.
"Kalista?" tönt es aus dem Lautsprecher. Schnell hebe ich das Gerät wieder an mein Ohr.
"Ja, ja, das sind zwei Mädels aus meiner Klasse. Wir waren mal sowas wie... befreundet. Jetzt haben sie sich Stacy als Gesellschaft ausgesucht. Svea und Anna."
"Hm. Okay, danke."
"Adrian!" rufe ich noch ins Telefon, doch er hat schon aufgelegt, ohne mir mehr zu verraten. Stacy und die beiden andern Mädels würden doch wohl nicht so weit gehen und mein Leben aufs Spiel setzen, oder?
Weiter darüber nachdenken kann ich allerdings nicht, denn Liams Wagen biegt auf den Parkplatz ein.
"Hast du Hunger?" fragt er mich lächelnd, nachdem er mich mit einem Kuss auf die Wange begrüßt hat.
"Nicht viel. Du?"
"Ich komme vom Training, ich sterbe vor Hunger." Er nimmt meine Hand und zieht mich zu einem Tisch in der Ecke.

"Ich ziehe nächste Woche um." sage ich tonlos, nachdem wir einen Moment geschwiegen haben. "Unsere Eltern haben ihre Firma verkauft und wollen für mindestens 6 Monate auf Weltreise gehen. Haben für Kaiden und mich Wohnungen gekauft und uns abgeschoben."
Entsetzt schaut Liam mich an. "Aber ihr bleibt hier in der Stadt?"
"Ja. Sie wollten es uns nicht antun, schon wieder die Schule zu wechseln. Nett, oder?"
"Immerhin kümmert es sie, dass ihr nicht auf der Straße sitzt oder so."
"Na, was würde das denn für ein Licht auf sie werfen, wenn die erfolgreichen Eltern plötzlich Kinder hätten, die auf der Straße leben?" lache ich bitter auf.
"Sieh es so, du kannst eine legendäre Einweihungsparty schmeißen. Mila hat mir erzählt, du hättest da einen verdammt guten DJ an der Hand."
"Haha, ja, hat sie dir erzählt, dass Kaiden bald in ihrem Club auftritt?"
Er nickt und bis unser Essen kommt, schafft er es immerhin, mir ein kleines Lächeln ins Gesicht zu zaubern und der Veränderung nicht ganz so negativ gegenüber zu stehen.
Hand in Hand schlendern wir wieder zu unseren Autos und bleiben schließlich vor seinem Wagen stehen. Schweigend lehnen wir uns an der Motorhaube an und starren einen Moment in den Nachthimmel.
"Kalista."
"Liam."
Beginnen wir gleichzeitig, schauen uns an und müssen lachen. Für einen Moment erwacht etwas Hoffnung in mir, dass er mir nicht sagt, dass sich unsere Wege jetzt trennen.
"Okay, fang du an." lasse ich ihm den Vortritt.
"Ehm, okay. Puh." stammelt er vor sich hin. "Also... dieses Du und ich... Ich ... Ich mag dich wirklich. Vielleicht etwas zu sehr, für eine einfache Freundschaft. Du weißt eigentlich, dass ich nicht so der Beziehungstyp bin, was aber genau das ist, was du brauchst."
"Aber..." meine Stimme versagt und ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen.
Er kann den Blick nicht halten und wendet sich ab. Da wird mir einiges klar.
"Natürlich. Gestern hast du mich ja schließlich in deinem Bett gehabt. Man, ich bin so blöd und bin wirklich auf dich reingefallen. Dachte, ich wäre was besonderes für dich, mit deinen scheiß Ranunkeln. Ich begehre dich. Und mir noch schön gestern Hoffnung auf mehr als nur Sex zu schenken. Hätte ich mal eher gegoogelt, was deine Blumen bedeuten. Nichts mehr als Ich will dich ficken. Gott, ich bin so dumm!" Wutentbrannt und am Boden zerstört lasse ich ihn nicht weiter zu Wort kommen. "Wahrscheinlich warst du schon genervt von mir, als ich dich angerufen habe und den Unfall hatte. Aber du hast dir in den Kopf gesetzt, mich flachlegen zu wollen, also musstest du ja den Besorgten spielen. Glückwunsch, Schauspieler kannst du auch werden, falls du dein Studium doch abbrechen solltest. Und ich dumme Nudel habe mich in dich verliebt." schluchze ich, stoße ihn weg und flüchte in mein Auto. Mit röhrendem Motor entferne ich mich und lasse den Typen, dem ich mein Herz geschenkt habe, einfach auf dem Parkplatz stehen.


HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt