so far away

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Ein paar rote Spritzer landeten auf dem Asphalt, als Yoongi ohne hinzuschauen einen langen und sehr gelangweilten Strich über die Mauer zog und weiterlief ohne den Finger vom Sprühkopf zu nehmen. Mal wieder war er nachts unterwegs, Mal wieder fühlte er sich nicht gut.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er wie das Geräusch, das die Sprühdose machte, wenn man den Kopf herunterdrückte, verschwand. Er ließ seinen Arm sinken; blickte die Wand entlang, an der sich jetzt ein bestimmt 15 Meter langer roter Strich befand, welcher jedes Graffito, das auf dieser Spanne gesprüht worden war, durchschnitt wie ein Messer. Er wusste nicht, warum er das getan hatte, es war einfach passiert und ihn interessierte es eigentlich auch nicht wirklich. Auch interessierte es ihn nicht wirklich, dass es leicht regnete und seine Klamotten schon ein wenig durchnässt waren. Im Gegenteil. Er liebte es, wenn es regnete und er allein draußen war. Dann schien die Welt so ruhig und still, fast niemand war auf den Straßen, fast niemand sah ihn an, er war einfach nur für sich.

Was ihn aber dann doch interessierte, war die Tatsache, dass er sich unwillkürlich wieder in die Nähe von dem Tanzstudio begeben hatte, in dem er neulich dem Rothaarigen dabei zugesehen hatte, wie er tanzte und dabei so unglaublich gut aussah. Er blickte sich um und wusste augenblicklich, dass er nur einmal links abbiegen musste, um wieder an das schmutzige Fenster und hoffentlich wieder zu dem Rothaarigen zu kommen.

Er hob seinen Arm wieder und sprayte kurz darauf einen Pfeil auf die Wand, der in die Richtung des Tanzstudios zeigte. Warum genau er das tat, war ihm nicht klar, aber es machte Spaß seine Zeichen zu hinterlassen.

So machte er sich auf den Weg zu seinem Ziel und hinterließ in einem Abstand von paar Metern immer wieder eine Markierung. So zierten kleine Pfeile und Sternchen Yoongis zurückgelegten Weg und als er schließlich vor dem Fenster stehen blieb, sprayte er ein rotes Kreuz auf die gegenüberliegende Wand, als Zeichen, dass hier sein Zielort war, oder, wenn man es auf eine Schnitzeljagd bezog, von denen der 17-Jährige in seiner Kindheit, in der alles noch so einfach gewesen war, nicht genug hatte kriegen können, lag hier der lang ersehnte Schatz.

Er wandte den Kopf auf der Suche nach dem rothaarigen Tänzer, doch sehr zu seiner Enttäuschung war der Saal dunkel und keine Menschenseele war zu sehen. Traurig sah Yoongi das Fenster einige Minuten an, wie als könne es etwas dafür, dass der junge Mann sich heute dagegen entschieden hatte zu trainieren. Er wollte sich gerade umdrehen und schweren Herzens den Weg nach Hause antreten, da bemerkte er, wie eine Gestalt um die Ecke bog.

Schnell verschwand Yoongi hinter einer Ecke, damit er von der Gestalt, die sich zu seiner großen Freude als der Tänzer herausstellte, nicht entdeckt werden konnte.

So beobachtete er den jungen Mann, der mit Kopfhörern in den Ohren die Straße entlang lief, einen Schlüssel in der Hand. Mit diesem Schlüssel blieb er vor einer ziemlich unscheinbar wirkenden Tür stehen, welche für Yoongi aber verdammt nach dem Eingang zu dem Tanzstudio aussah.

Der Rothaarige verschwand auch durch diese Tür, nachdem er sie aufgeschlossen hatte. Und kurz darauf wurde der Raum mit dem schäbigen Fenster in grelles Licht getaucht, was Yoongi wieder an das Fenster treten ließ und Hoseok, der aber nichts von dessen Anwesenheit bemerken zu schien, beobachtete. Er sah ihm dabei zu, wie er erstmal seine Sporttasche in die Ecke stellte und dann kurz darauf mit seinem Handy zu einer Art Mischpult ging, dass er an dieses auch anschloss. Allerdings konnte Yoongi nur erahnen, dass durch dieses Mischpult-artige Teil die Musik auf die Boxen übertragen wurde, denn kurz darauf konnte er sehen, wie Hoseok in die Mitte des Raumes sprintete und begann sich aufzuwärmen, hören tat der 17-Jährige von seinem ungewöhnlichen Zuschauerplatz absolut nichts, sehr zu seinem Bedauern.

Zehn Minuten später war Hoseok offenbar fertig damit sich zu dehnen und ein paar Kraftübungen zu vollführen. Denn nun begann er in Yoongis Augen ziemlich komplizierte Schritte langsam zu wiederholen und sich währenddessen immer wieder selbst zu verbessern.

So arbeitete er sehr akribisch an der Fußarbeit in zweiten Teil des dritten Achters, obwohl diese eigentlich nicht besonders aussagekräftig war. Aber dennoch. Wenn er auf den Meisterschaften auch nur den Hauch einer Chance haben wollte, musste alles perfekt sein, jede noch so kleine Bewegung musste sitzen, und zwar ausnahmslos.

Schließlich, als Hoseok das Gefühl hatte, dass er einigermaßen gute Arbeit, was das Wiederholen seiner Schritte anging, geleistet hatte, lief er nochmal zu seinem Handy und schaltete den Song ein, auf den er seine Choreografie zugeschnitten hatte.

'Dumb Litty' war etwas aggressiver als Hoseok es gewohnt war, auch waren die Rap Parts sehr schnell und hart, aber genau das machte den Song so einzigartig und Hoseok hatte sofort gewusst, dass er diesen für die Meisterschaft nehmen musste, auch einfach aus dem Grund, weil er hier drin seine Wut auf Jeongguk verpacken konnte.

Denn als die ersten Takte in dem kleinen Raum widerhalten und Hoseok mit dem Intro, das darin bestand, das er sich langsam aus einer sitzenden Position in eine stehende Position brachte und dort dann noch zwei Body-Rolls vollführte, fühlte er sich viel besser, fast so als sei er in einer anderen, besseren Welt.

Und während er so nichts ahnend von seinem kleinen „Fan" auf der andern Seite des Fensters tanzte, fragte sich Yoongi wie man bitte so unglaublich weich und so unglaublich hart zu gleich seinen Körper bewegen konnte. Er verfolgte jeden von Hoseoks Schritten atemlos und bewundernd. Er sah aus als würde er seit dem er geboren wurde nur das tun, obwohl das natürlich nicht stimmen konnte.

Während Yoongi Hoseok so akribisch beobachtete und jede seiner Bewegungen in sich aufsaugte, wie als wären sie so lebensnotwendig wie Wasser, begann Hoseok sich langsam etwas beobachtet zu fühlen, obwohl das seiner Meinung nach doch überhaupt keinen Grund dazu gab, da hier zu dieser späten Stunde niemand unterwegs sein würde.

Niemand bis auf Yoongi.

Denn dieser starrte immer noch mit großen Augen und ziemlich auffällig in das Fenster und es grenzte fast schon an ein Wunder, dass der Tänzer den 17-Jährigen noch nicht entdeckt hatte.

Das lag unter anderem aber auch an Yoongis schneller Reaktionsfähigkeit, die er besaß. Denn Hoseok drehte sich, eben weil er sich beobachtet fühlte, genau in Yoongis Richtung. Dieser aber war bevor die Augen des 19-jährigen das Fenster in Augenschein nehmen konnten unter dessen Sims verschwunden und harrte dort nun in gebückter Postion aus, darauf wartend, dass Hoseok seine Position vor dem Fenster verließ und weiter tanzte, Yoongi weiter zeigte, was er konnte.

Doch dem war leider nicht so, zwar verließ Hoseok seine Position vor Yoongis "Guckloch", doch da er sich ziemlich sicher gewesen war, dass dort gerade noch jemand gestanden hatte, hatte er beschlossen nachzusehen, ob dort wirklich jemand war, oder ob die Übermüdung einfach nur ihren Preis einforderte. So durchquerte Hoseok die kleine Eingangshalle und drückte kurz darauf vorsichtig die Tür auf, die auf die Straße führte.

Als Yoongi dies bemerkte, verfiel er sofort in Panik. Wenn er entdeckt wurde, dann würde auffliegen, dass er diesen Hoseok schon seit einer gefühlten Ewigkeit beobachtete. Er würde für einen Stalker gehalten werden und das wollte Yoongi unter allen Umständen vermeiden. Also lief er so schnell ihn seine Füße tragen konnten und möglichst so, dass Hoseok ihn nicht sah, zur nächstbesten Hausecke und verschwand hinter dieser. Hoseok, welche gerade in dieser Sekunde auf die Straße trat, konnte nur noch eine vage Gestalt ausmachen, die hinter der nächsten Hausecke verschwand. Also war er doch von irgendjemandem beobachtet worden. 

Doch als sein Blick, den der 19-Jährige  noch einmal prüfend über die ruhige Gasse vor sich hatte schweifen lassen, an einer Sprühdose hängen blieb, die ganz sicher noch nicht unter dem Fenster gelegen hatte, als er gekommen war, war seine Neugier geweckt.

Als er sie aufhob und in der Hand drehte, konnte er die Metallkugel, die zum Mischen der Farbe im Inneren der Dose zuständig war, von innen gegen die Dosenwand klappern hören. Ein paar rote Spritze zierten die blecherne Dose und – sehr zu Hoseoks Überraschung – befand sich ebenfalls sein große Y auf der Dose, das dort mit einer anderen Farbe aufgesprüht worden war. Er sah sich das Y an, überlegte, was es damit auf sich haben könnte, kam aber auf kein Ergebnis, das für ihn Sinn ergeben würde.

Also nahm er die Dose mit nach drinnen, wenn die seinem Beobachter gehörte, dann würde dieser später oder morgen wieder kommen und Hoseok würde die Chance bekommen zu wissen, wer ihm so im Stillen bei seinen Trainingseinheiten zusah.

Er wusste nicht, dass er mit dieser Person noch einiges durchleben würde. Sowohl gutes als auch schlechtes.

Agust D | YoonseokWhere stories live. Discover now