| 67. GOLDEN CAGE

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Kalias Lippen entfloh ein Seufzen.

Es waren bereits mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, und noch immer erinnerte sie sich nicht. Da waren Bilder in ihrem Kopf - Ein Bildschirm, ein Stück Papier, ein Mädchen in einem Blusenkleid mit Kniestrümpfen, ein Junge, der ihr die Hand hinstreckte, ähnlich verwirrt, ähnlich verzweifelt - Ian, ihr Distriktpartner, wie sie inzwischen herausgefunden hatte - dunkle Kabel, aus denen helle Funken sprühten, Ruß, der durch die Luft waberte, aus den Schornsteinen eines Fabrikgebäudes drang - aber da waren keine konkreten Szenen, nichts, woran sie sich nachhaltig erinnerte, nur flüchtig aufblitzende Bilder, die ebenso schnell verschwanden, wie der Strom die Leitungen ihres Heimatdistrikts hinabsauste.

Plötzlich - Schritte auf dem Flur, ein Klopfen an der Tür.

Kalias Hände verschränkten sich ineinander, und sie versuchte, die aufkommende Furcht hinunterzuschlucken.

( Du kannst davor nicht weglaufen. Früher oder später musst du dich dem stellen, was außerhalb dieses vermeintlich sicheren Zimmers auf dich wartet - was auch immer es ist. )

Der Türknauf drehte sich. Unheilvoll fielen die Schatten des Flures in den warm beleuchteten Raum -

Cassandra betrat das Zimmer.

»Es ist Zeit.«

Kalia nickte stumm.

Sie erhob sich vom Bett, ihre Füße berührten den flauschigen Teppich -

Ihre Knie zitterten.

( Während sie auf die Tür zulief, an Cassandra vorbeischritt, versuchte sie, nicht daran zu denken, was sie schlimmstenfalls erwarteten könnte - )

Schweigend schloss Cassandra zu ihr auf, führte sie durch den dunklen Flur.

( Kein Zurück mehr. )

Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.

DIE KÜCHE WIRKTE STERIL.

Steril und schmucklos - noch schlimmer, die weiß lackierte Oberfläche der Möbel, zusammen mit den unnatürlich anmutenden Deckenstrahlern und dem einfach gehaltenen Interior, erinnerten Kalia stark an den Saal, in dem sie aufgewacht war - allein und verwirrt, ihre Gedanken untermalt vom bloßen Rauschen der Klimaanlage.

Helle Deckenleuchten strahlten hinab auf einen reich gedeckten Tisch, auf dem sich die allerfeinsten Köstlichkeiten befanden - Glasplatten, auf denen sich exotische Früchte häuften, edle Kristallkaraffen, in denen bunte Flüssigkeiten vor sich hin sprudelten - weiße Schalen, die die verschiedensten Salate enthielten, geflochtene Körbe, gefüllt mit zart geröstetem Weißbrot, bis hin zu silbernen Platten, auf denen sich gebratenes Hühnchen stapelte.

Doch Kalia würdigte das Festmahl keines zweiten Blickes, lag ihr Fokus doch auf dem Mann, der neben dem Esstisch stand.

Gekleidet in ein Ensemble aus weißem Hemd und tiefblauen Anzughosen, mit dunklem Haar und dunklen Augen, einem ernsten Gesicht mit noch ernsteren Gesichtszügen, beobachtete er sie, so, wie sie ihn beobachtete.

born to die ✘ the hunger games [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt