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Die Warterei ist eine Qual.

Vor gerade mal zwei Stunden wurden Ben und Amber aus dem Raum geführt und wir haben seither nichts von ihnen gehört. Ich habe mich an die Wand gesetzt und versuche etwas Schlaf zu bekommen, aber es gelingt mir nicht. In meinen Kopf schwirren zu viele Dinge herum.

Im Vordergrund steht die Tatsache, dass ich möglicherweise schon bald gegen jemanden kämpfen muss. Und nicht einfach nur, bis dieser aufgibt, sondern bis er oder ich tot ist. Besonders grosse Angst habe ich, dass ich gegen Alex antreten muss oder Charley. Ich hätte bei keinen von ihnen die Kraft – den Willen – auch nur einen Funken meiner Kraft zu brauchen. Was würde dabei wohl herauskommen? Ich denke, niemand von uns dreien würde den anderen töten. Normalerweise würde ich ja niemanden töten, aber Katherine wird uns zweifelslos dazu zwingen.

Wie es Alex wohl damit geht? Er hat schon getötet und es geht ihm nicht wirklich gut damit. Es hat ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Wie er wohl früher gewesen ist? Was hat das mit ihm angestellt?

Endlich geht die Tür wieder auf und ich setze mich sofort auf. Auch Charley steht auf und stellt sich neben mich. Und nach kurzer Zeit folgen alle anderen unserem Beispiel und es geht nicht lange, bis alle stehen. Ich weiss nicht, was ich erwarte. Dass beide zurückkommen? Denn das wird nicht passieren. Ich richte meinen Blick einfach auf die Tür.

Ben tritt ein. Von Amber keine Spur.

Obwohl ich Amber nie gekannt habe, sammelt sich Wasser in meinen Augen an und Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich stehe einfach da und weine stumm. Einigen der anderen geht es nicht anders und auch Ben wischt sich eine Träne weg. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es ihm geht. Er läuft mit gesenktem Blick an uns vorbei und setzt sich in eine Ecke. Den Kopf vergräbt er in den Händen und seine Schultern beben von unterdrückten Schluchzern.

Nach und nach setzen sich die anderen, doch ich bleibe stehen. Noch immer völlig ungläubig, dass das gerade passiert ist. Erst jetzt wird mir wirklich bewusst, in welcher Situation wir stecken. Ich schlinge die Arme um mich und salzige Tränen rinnen mir übers Gesicht.

Dann fühle ich starke Arme um mich, die mich an sich ziehen.

Alex.

Ich schmiege mich an ihn und versuche nicht daran zu denken, dass das Charley oder Alex sein könnten, die bald nicht mehr hineinkommen. Die beiden zu verlieren würde mich zerstören.

Irgendwann sitze ich wieder am Boden, ohne zu wissen, wann ich abgesessen bin, noch immer an Alex gelehnt, bis ich schliesslich in einen unruhigen Schlaf falle.


Die nächsten Tage über geschieht nichts. Kein weiterer Kampf, keine weiteren Toten. Es macht mich krank daran zu denken, dass Katherine sich gerade mit ihren neuen Kräften vertraut macht.

Wie ich schon vermutet habe, befindet sich ein Badezimmer in diesem Raum, zu dem wir unbeschränkt Zutritt haben. Zweimal am Tag wird uns etwas zu Essen und zu Trinken gebracht, das wir alle wortlos entgegennehmen. Im Raum herrscht eine drückende Stille. Niemand redet.

Seit dem Kampf zwischen Ben und Amber habe auch ich kaum ein Wort mit Charley und Alex gewechselt. Und auch von den anderen geht kein Geräusch aus. Diese Stille macht mich beinahe verrückt.

Doch sosehr ich mir auch einen Wechsel herbeiwünsche, so sehr verfluche ich es, als Roy wieder eintritt. Da würde ich lieber wochenlang stumm herumsitzen. Denn das bedeutet nur den unnötigen Tod eines weiteren Mutanten.

«Serene», beginnt er. Ein blondes Mädchen erhebt sich daraufhin zögernd. Sie ist etwa gleich alt wie ich und wirkt völlig unscheinbar. Sie ist eine der Personen, die mir nicht auffallen würden, wenn ich ihnen begegnen würde. Roy wartet noch einen Moment, den zweiten Namen aufzurufen, sieht sich um und sucht offensichtlich jemanden. Ich hoffe bloss, dass nicht ich, Alex oder Charley die nächsten sind. Doch als er den nächsten Namen aufruft, hätte ich mich am liebsten verkrochen, denn genau das ist eingetroffen. «Und Shay.»

Shadow and IronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt