11

8 1 0
                                    

Ich spüre ein Ziehen, allerdings nicht so, wie in den vergangenen Malen. Es tut nicht weh und es fühlt sich auch nicht so an, als ob sich etwas durch meine Haut bohren würde. Nein, es ist anders. Ich kann es nicht beschreiben, aber es fühlt sich . . . gut an.

Ich merke kaum, wie Alex einige Schritte von mir wegtritt. Stattdessen versuche ich, meine Konzentration aufrecht zu erhalten, da ich nicht weiss, was passieren würde, wenn ich das nicht tun würde.

Ich halte meine Augen weiterhin geschlossen und traue mich nicht, sie zu öffnen. Obwohl ich deutlich spüre, dass etwas geschieht, habe ich keine Ahnung, was gerade passiert. An meinen Schultern lastet ein Gewicht, das immer etwas schwerer wird, aber es ist nicht mit Schmerzen verbunden.

Öffne deine Augen.

Ich folge Alex' Befehl und öffne meine Augen.

Meine Augen haben sich schon vorhin an die Dunkelheit im Wald gewöhnt, sodass ich Alex erkennen kann, der einige Schritte vor mir steht. Kurz flackert das Bild und ich sehe ihn klar, aber sofort verschwindet es wieder. Ich schüttle meinen Kopf, als ob ich etwas vertreiben wollte, dann sehe ich ihn wieder an. Seine Augen leuchten wieder und um seine Hand zucken Blitze, sodass ich etwas erkennen kann.

Ich kann seinem Gesichtsausdruck nicht ablesen, ob es funktioniert hat, allerdings kann man das bei Alex nie. Ich habe noch keinerlei Gefühle in Alex Blick ausmachen können. Selbst wenn er mich angrinst bleiben seine Augen kalt und ausdruckslos. Von dem Ton seiner Stimme fange ich gar nicht erst an.

«Hat es funktioniert?», frage ich leise.

Sieh selbst.

Ich nicke und atme tief ein, bevor ich meinen Kopf nach hinten drehe. Und Metallflügel sehe.

Ich hätte vor Freude am liebsten gelacht. Ich weiss nicht, ob diese Freude daher rührt, dass ich keine Schmerzen gehabt habe oder weil ich Flügel habe. Aber wenn ich verhindern kann, dass ich diese Schmerzen wieder durchleben muss, könnte das ganze Mutantending sogar einigermassen gut ausgehen. Einen kurzen Moment lang geniesse ich es sogar, dass ich so bin. Wie Alex gesagt hat; es gibt Vor- sowie Nachteile. Und in diesem kurzen Moment sehe ich nur die Vorteile.

Einerseits muss es jetzt auch noch in umgekehrter Reihenfolge funktionieren. Aber an das will ich noch gar nicht denken. Ich erschauere, als ich daran denke, dass es nicht funktionieren könnte.

Aber ich verdränge den Gedanken und bewege den rechten Flügel nach vorne, damit ich ihn betrachten kann. Es fühlt sie so normal – natürlich – an, die Flügel zu bewegen, dass man meinen könnte, ich mache das schon mein ganzes Leben lang.

Erneut bin ich fasziniert von den Flügeln, von denen ich jeden Zentimeter wahrnehme. Und eigentlich ist das ja völlig absurd, denn ich meine, sie sind aus Metall! Aber das scheint meinen Körper nicht zu kümmern. In dem schwachen Licht, das von Alex ausgeht, versuche ich die Flügel mal anders zu sehen. Zum ersten Mal betrachte ich sie als etwas, das gut ist und nicht etwas, das ich so schnell wie möglich loswerden will. Die einzelnen Federn, die exakt wie Vogelfedern aussehen, mit einer Detailgenauigkeit, die unglaublich ist. Als ob man eine Feder genommen und sie in flüssiges Metall getaucht hätte. Der Spitze Dorn, der sich am oberen Ende der Flügel befindet und schärfer als jedes Messer aussieht – einer Kralle gleicht.

Ich bewege den rechten Flügel noch ein Stück nach vorne und streiche mit meiner Hand darüber, so wie ich es in der ersten Nacht tat. Und wieder spüre ich, wie scharf die Federn sind, obwohl meine Haut keinen Schaden davon nimmt. Ich frage mich, was die Flügel sonst noch so können, wenn ich richtig mit ihnen umzugehen lerne.

Und jetzt bemerke ich, dass, auch wenn die Flügel mir Angst machen, ich sie bewundere und auf irgendeine Weise froh bin, dass ich sie habe. Oder ich gestehe es mir jetzt endlich ein.

Shadow and IronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt